EU-Flüchtlingspolitik:Nehmt ihr Migranten auf? Wie viele?

Lesezeit: 2 Min.

Drei der 47 im Januar geretteten Flüchtlinge warten auf der Sea Watch 3 vor dem sizilianischen Hafen Syrakus darauf, an Land gehen zu dürfen. (Foto: Federico Scoppa/AFP)

Wenn auf See Gerettete an Land müssen, feilschen die EU-Staaten jedes Mal aufs Neue darum, wer sie aufnimmt. Jetzt plant die EU eine Übergangslösung.

Von Thomas Kirchner

Es ist ein unwürdiges, ja erbärmliches Spektakel, das sich alle paar Wochen wiederholt: Ein Rettungsschiff mit Dutzenden Flüchtlingen an Bord will einen maltesischen oder italienischen Hafen ansteuern. Die Behörden verweigern die Erlaubnis, das Schiff ist blockiert. Zuletzt musste die Sea-Watch 3 zwei Wochen auf dem Meer kreuzen.

In Brüssel greift dann Paraskevi Michou, Leiterin der Generaldirektion für Migration und Inneres, zum Handy. Der Reihe nach fragt sie die EU-Regierungen ab: Nehmt ihr Migranten auf? Wie viele? Sie hat immer dieselben Gesprächspartner am Ohr, die Sache könnte längst Routine sein. Doch am Ende entscheiden auch noch andere mit in den Hauptstädten, das macht es immer wieder kompliziert. Es wird gefeilscht, manchmal Tage, manchmal Wochen - dann dürfen die Geflüchteten endlich an Land.

Rettungsschiff auf dem Mittelmeer
:Sieben EU-Staaten einigen sich auf Aufnahme von Sea-Watch-Flüchtlingen

Die 47 Flüchtlinge an Bord des Rettungsschiffs "Sea-Watch 3" dürfen in Italien an Land. Dass Rettungsmissionen oft behindert werden, hat fatale Folgen, wie neue Zahlen des UNHCR zeigen.

Dass es so nicht weiter gehen kann, ist klar. Immer wieder hat Innenkommissar Dimitris Avramopoulos die EU-Politiker beschworen, eine dauerhafte Lösung zu finden. Im Dezember regte er "temporary arrangements" an, eine Interimsregelung also. Vorübergehend deshalb, weil die EU eigentlich dabei ist, die Frage der Flüchtlingsverteilung dauerhaft neu zu regeln. Doch leider stockt die Reform der Dublin-III-Verordnung noch immer.

Sie sollte, so die ursprüngliche Idee, einen festen Verteilungsschlüssel etablieren. Gegen die Quote sperren sich mittel- und osteuropäische Staaten, deshalb stecken die Verhandlungen seit mehr als zwei Jahren fest. Obwohl kaum jemand in Brüssel noch an einen Erfolg glaubt, hält man die Fiktion aufrecht, es könnte irgendwann doch noch klappen. Bis die Dublin-Reform kommt, die vielleicht niemals kommt, soll die Übergangsregelung eine "Brücke" bilden, so die EU-Kommission.

Am Donnerstag sprachen die EU-Innenminister bei ihrem Treffen im rumänischen Bukarest darüber. Es sei "unwürdig", dass bei jedem Schiff die Diskussion über die Aufnahme neu entflamme, sagte Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU). Deshalb sei auch die Bundesregierung für einen "temporären Ad-hoc-Mechanismus", an dem sich möglichst viele Länder beteiligten. Bisher würden einschließlich Deutschlands neun der 28 EU-Staaten mitmachen. Dies sei "schon mal ein schöner Erfolg", aber "noch zu wenig". Unter anderem ist das Schlüsselland Italien noch nicht dabei. Die kritische Masse läge bei etwa 15 Staaten, heißt es in Brüssel.

Kommt der "temporäre Ad-hoc-Mechanismus" - eigentlich ein Widerspruch in sich - also bald? Das hätte große Vorteile, sagte jüngst Filippo Grandi, Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. Denn damit ließen sich "unnötige Spannungen" zwischen den EU-Regierungen vermeiden. Und das peinliche Gefeilsche um die Aufnahme käme nicht ständig in die Schlagzeilen.

Doch EU-Diplomaten sind skeptisch. Es werde "schwierig", das noch vor der Europawahl im Mai hinzubekommen, sagt einer. Und danach? "Wird es immer noch schwierig sein." Das hat nicht zuletzt mit der Sorge in den EU-Staaten zu tun, dass aus der Übergangslösung eine permanente wird.

Die Kommission drückte den Gedanken in ihrer Mitteilung vom Dezember aus, als sie frohgemut schrieb, die Interimslösung könne "die Kernelemente des künftigen Systems vorwegnehmen". Das liefe auf eine Lösung hinaus, die Länder wie Deutschland seit Beginn der Verhandlungen verhindern wollten: dass eine Gruppe von willigen Staaten die Aufnahme von Flüchtlingen unter sich organisieren müsste, und alle anderen dürften sich drücken. Die rumänische EU-Ratspräsidentschaft hat den Anstoß der Kommission aufgenommen und die Mitgliedstaaten um ihre Meinung gebeten. Man werde ausloten, ob es für eine temporäre Regelung eine Basis gebe, heißt es in einem Diskussionspapier.

Was der Kommission konkret vorschwebt, ist im Detail offen. Geklärt werden müssten zumindest: ein Aufnahmeschlüssel, Auswahlkriterien für die zu verteilenden Asylsuchenden und die Frage der Abschiebung. All dies liegt noch in weiter Ferne. "Wir wären ja schon froh, wenn wir ein dauerhaftes Kommunikationssystem bekämen", seufzt ein EU-Diplomat.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bootsflüchtlinge
:Auch im Mittelmeer gilt das Recht

Die Europäische Menschenrechtskonvention ist keine Frage der Moral - die Konvention ist bindend. Warum es ein klarer Rechtsverstoß ist, wenn Italien die libysche Küstenwache aktiviert, um Flüchtlingsschiffe nach Libyen zu bringen.

Gastbeitrag von Roya Sangi

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: