AN DIE STAATS- UND REGIERUNGSCHEFS DER EU
Als Autoren, Wissenschaftler und Künstler sind wir verpflichtet, im Sinne der Menschenrechte zu handeln. Es obliegt uns daher, unsere Position zur Flüchtlingspolitik der EU zum Ausdruck zu bringen. Die Vereinbarung vom 18. März 2016, der zufolge "irreguläre" Asylsuchende aus Griechenland in die Türkei zu deportieren sind, ist widerrechtlich. Sie verstößt gegen die Menschenrechte, wie sie die UN 1948 kodifiziert, gegen internationales Recht, und gegen EU Recht. Wie Alexander Betts, Direktor des Refugee Study Center der Universität Oxford, erklärt, und Juristen wie Guy S. Goodwin-Gill, ehemaliger juristischer Berater von UNHCR (1976-1988), glauben, ist die Maßnahme, was die Menschenrechte und das Gesetz betrifft, kaum haltbar. Das Recht, gegen das man damit verstößt, basiert auf der UN Convention von 1951 und dem Protocol von 1967.
Zu den relevanten Prinzipien internationalen Rechts zählen: 1. Das Gebot der Nicht-Zurückweisung ( non-refoulement); 2. Das Verbot der kollektiven Depor-tation; 3. das Recht der Asylsuchende auf Bewegungsfreiheit, Integration, Erziehung und Arbeit; 4. Das Verbot des Menschenhandels. Ein weiteres Prinzip findet sich im EU Dokument Förderung der Demokratie und der Menschenrechte (2014-2020). Im Geiste dieses Instruments hätte man in die Abmachung eine Klausel über die unbedingte Achtung der Menschenrechte und die Presse-freiheit in der Türkei einbauen sollen. Die Abmachung, indem sie finanzielle Vorteile für die Türkei in Form von Aufhebung von Visa-Restriktionen und Erweiterung des Zollvereins vorsieht, stellt eine Art "Menschenhandel" dar. Zu befolgen wäre dagegen Richtlinie 2001/55/EG des europäischen Rates, die ein menschenwürdiges Vorgehen zum verbindlichen Ziel erklärt.
Die EU hat die Werte kompromittiert, die ihre Daseinsberechtigung ausmachen. Seit Anbeginn standen Frieden und Recht im Mittelpunkt der europäischen Idee. Diese Ideale hat man jetzt verspielt. Auf dem Gebiet der Menschenrechte hat die EU auf der Weltbühne an Glaubwürdigkeit verloren. Den Anspruch, als eine Gemeinschaft des Rechts zu gelten, hat sie in Frage gestellt. Die Migranten sind schutzlos den aktuellen Maßnahmen ausgeliefert. Einschüchterung, Inhaf-tierung und Deportation gehören zu den notwendigen Folgen dieser Politik -- jeweils Formen der Gewalt. Alles Gute, das in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg mühsam erarbeitet wurde, um eine Wiederholung des größten Unrechts aller Zeiten zu verhüten, hat man aufs Spiel gesetzt. Diesen Missstand gilt es aufzuheben, um alle Asylsuchende nach den Grundsätzen der UN zu unterstützen, ihnen Hoffnung auf ein neues Leben zu schenken, und Europas Stellung als Hort der Menschenrechte wiederherzustellen.
UNTERSCHRIFTEN
Jeremy Adler
Aicha Arnout
Alice von Bieberstein
Alfred Brendel
Anne Casile
Catherine Coquio
Isabelle Coutant
Marianne Dautrey
Didier Debaise
Kurt Drawert
Peter Filkins
Dorothée Fraleux
Hans-Martin Gauger
Christoph Geiser
Arlette Girardot
Rüdiger Görner
Maria Chiara Gnocchi
Durs Grünbein
Peter Gülke
Pierre Halen
Hanna Hannah
Peter Härtling
Irene Heidelberger-Leonard
Hartmut von Hentig
Dževad Karahasan
Aurélia Kalisky
Joachim Kalka
Navid Kermani
Sophia Könemann
Mona Körte
Katrin Kohl
Werner von Koppenfels
Michael Krüger
Geoffrey Lachassagne
Charlotte Lacoste
Frank Lemonde
Gertrud Leutenegger
Roswitha Matwin-Bushmann
Katharina Mommsen
Robert Menasse
Adolf Muschg
Per Øhrgaard
Uwe Pörksen
Sandra Pocceschi
Marion Rousset
Tuvia Rübner
Anthony Rudolf
Joachim Sartorius
Ingo Schulze
Marisa Siguan
Agnese Silvestri
Katrin Solhdju
Olga Stanislawka
Fritz Stern
Michael Stolleis
Jonathan White
Karin Winkelvoss
Lea Ypi
Adam Zagajewski
Darmstadt, den 2. Mai 2016