Asylpolitik:Wie Seehofer Flüchtlinge nach Italien zurückschicken will

Matteo Salvini und Horst Seehofer 2018 in Innsbruck

Deutsch-italienische Beziehungen: Matteo Salvini und Horst Seehofer im Juli bei einem Treffen in Österreich.

(Foto: dpa)
  • Italien will künftig Flüchtlinge zurücknehmen, die über Österreich nach Deutschland einreisen wollen, in Italien aber schon einen Asylantrag gestellt haben.
  • Im Gegenzug will sich Deutschland verpflichten, von Italien ebenso viele Asylsuchende zu übernehmen, die auf Rettungsschiffen nach Italien gekommen sind.
  • Im Durchschnitt, heißt es im Bundesinnenministerium, gehe es bei dem Rücknahmeabkommen um 1,5 Flüchtlinge pro Tag.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Der Theaterdonner war groß, das Zerwürfnis mit der Bundeskanzlerin gewaltig. Im Konflikt um die Zurückweisungen von Flüchtlingen an der deutsch-österreichischen Grenze aber ist Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nun einen Schritt weiter gekommen, zumindest einen kleinen. Nach Vereinbarungen mit Spanien und Griechenland hat auch Italien einer Rahmenvereinbarung zugestimmt, jedenfalls mündlich. "Es fehlen jetzt nur noch die zwei Unterschriften von dem italienischen Kollegen und von mir", sagte Seehofer am Donnerstag im Bundestag. "Um Reisekosten zu sparen, tauschen wir die Papiere aus", so der Minister weiter. Daher könne es vielleicht "noch ein paar Tage" dauern. "Aber das ist ein Erfolg."

Das Dokument, auf dessen Unterzeichnung Seehofer seit Wochen sehnlich wartet und das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ist eine erste Rahmenvereinbarung und noch kein verbindlicher Vertrag. "Beide Seiten werden zusammenarbeiten, um die Außengrenzen zu schützen, die illegale Migration einzudämmen, die Migrantenströme auf dem Meer und die Sekundärmigration zu steuern", heißt es in der Übereinkunft. Sie umreißt die grundsätzliche Bereitschaft des italienischen und des deutschen Innenministers, ein Geschäft auf Gegenseitgkeit abzuschließen.

Vorgesehen ist, dass Italien künftig Flüchtlinge zurücknimmt, die über Österreich nach Deutschland einreisen wollen, in Italien aber schon per Fingerabdruck registriert wurden und dort einen Asylantrag gestellt haben. Im Gegenzug will sich Deutschland verpflichten, von Italien ebenso viele Asylsuchende zu übernehmen, die auf Rettungsschiffen nach Italien gekommen sind, aber nicht einreisen dürfen. Strittige Punkte wie etwa die Frage, wie die Asylsuchenden zurück nach Italien befördert werden sollen und welche Rolle Österreich dabei spielen könnte, wurden offen gelassen. Sie sollen in einer weiteren Vereinbarung geregelt werden.

Mittelmeeranrainer wehren sich gegen die ungerechte Flüchtlingsverteilung

Die Unterzeichnung der politischen Rahmenabsprache mit Italien setze nach den Absprachen mit Griechenland und Spanien "ein weiteres wichtiges Signal zu geordneten Verhältnissen im Bereich der europäischen Migrationspolitik", hieß es am Donnerstag im Bundesinnenministerium. "Es geht uns dabei um die Durchsetzung des geltenden Rechts, um die Achtung von europäischen Zuständigkeiten und die Verhinderung illegaler Sekundärmigration innerhalb des Schengenraums."

Mit seiner Ankündigung, Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze zurückzuweisen, die schon anderswo einen Asylantrag gestellt haben, hatte Seehofer im Juni eine Regierungskrise ausgelöst. Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte es ab, unabgestimmt Asylsuchende in Staaten zurückzuschicken, in denen sie die EU erstmals betreten hatten. Nach dem Dublin-Abkommen entspricht das zwar der Rechtslage. Mittelmeeranrainer wie Italien aber wehren sich immer heftiger gegen die ungerechte Flüchtlingsverteilung. Auch Merkel betrachtet das Dublin-System als überholt. Als Seehofer drohte, ohne ihr Placet Asylbewerber in die EU-Erstländer zurückzuschicken, kam es zur Regierungskrise. Merkel wies Seehofer an, die Zurückweisung in bilateralen Abkommen mit den betroffenen Ländern zu klären.

In Madrid kam Seehofer flott voran. Es wurde vereinbart, dass deutsche Behörden an den drei derzeit kontrollierten Grenzübergängen zu Österreich Migranten binnen 48 Stunden zurückzuweisen können, wenn sie bereits in Spanien einen Asylantrag gestellt haben. Dass Madrid so schnell zustimmte, war kein Wunder. Aus Spanien ist bisher kein einziger einschlägiger Asylbewerber an deutsch-österreichischen Kontrollpunkten aufgetaucht. Nach Griechenland, mit dem es ein weiteres Abkommen gibt, wurden zwei Personen zurückgeschickt. Aus Italien kamen seit Juni 113 Asylbewerber, die dort schon Asyl beantragt hatten. Im Durchschnitt allerdings, heißt es im Bundesinnenministerium, gehe es um 1,5 Flüchtlinge pro Tag.

Die Verhandlungen mit Italien aber gestalteten sich mühselig. Monat um Monat reisten Seehofers Beamte nach Rom, um eine Vereinbarung zu erzielen. Die Begeisterung hielt sich dort in engen Grenzen. Italien machte offenbar frühzeitig deutlich, dass es keinen zusätzlichen Flüchtlings anzunehmen bereit ist. Angesicht italienischer Probleme dürfte das deutsche Anliegen ohnehin eher abwegig wirken. Innenminister und Lega-Chef Salvini wusste, wie sehr der deutsche Amtskollege daheim unter Druck stand. Seehofer brauchte ein Abkommen mit Italien, und das bald. Mal hielten die Italiener die Deutschen hin. Mal flachste Salvini, er werde ein Abkommen unterzeichnen, mit dem Italien Deutschland bei Laune halte, ohne sich deshalb um einen einzigen zusätzlichen Flüchtling kümmern zu müssen. Und bis heute steht seine Unterschrift aus. Er lässt den deutschen Kollegen zappeln, hat offenbar aber sein Ja zugesagt.

Weitere Vereinbarungen sind nötig

Was da nun unterschriftsreif auf dem Tisch liegt, liest sich wie eine Absichtserklärung. In sieben Punkten umschreiben die Innenminister, dass sie Binnenmigration innerhalb der EU eindämmen wollen, also das Weiterwandern von Asylbewerbern von einem Staat zum nächsten. Schon in Punkt drei aber wird klargestellt, dass "eine weitere formaljuristische Vereinbarung" nötig ist, um zu einer bindenden Vereinbarung zu kommen.

Italien und Deutschland wollten, so heißt es in der Übereinkunft weiter, "einen fairen Mechanismus der Kompensation entwickeln", um zu einem gerechten Ausgleich bei der "Verteilung von Verantwortlichkeiten und Solidarität" zu finden. Gemeint ist damit: ein Nullsummenspiel. Für jeden Flüchtling, den Italien zurücknimmt, kann es einen Bootsflüchtling nach Deutschland schicken. Geregelt allerdings ist das noch nicht. "In Kürze", so der Text weiter, würden auch "rechtliche Aspekte des Transfers" geklärt sowie Fragen der Sicherheit und der Anliegen "vulnerabler Gruppen und Familienangehöriger".

Hinter den wolkigen Formulierungen verbergen sich hartleibige Konflikte. Italiens Regierung dränge darauf, den Transit der Asylbewerber nicht per Flugzeug, sondern auf dem Landweg durchzuführen, heißt es im Bundeinnenministerium. Das aber würde das Abkommen verkomplizieren, jedenfalls aus Seehofers Sicht. Schon jetzt sind die Zurückweisungen eine gewagte rechtliche Konstruktion. Äußert ein Flüchtling an einem deutsch-österreichischen Grenzposten ein Schutzgesuch, ist aber beispielsweise in Griechenland registriert, muss er in einen Transitraum. Hier wird die "Fiktion der Nichteinreise" nach Deutschland angenommen, die Dublin-Regeln gelten nicht. Sonst müsste Deutschland den Asylantrag erst einmal prüfen.

Italien will Flüchtlinge aus dem Landweg reisen lassen - was sagt Österreich dazu?

Im Beispiel des über Griechenland eingereisten Asylbewerbers ist die derzeitige Praxis so, dass der Geflüchtete von der österreichischen Grenze ins bayerische Rosenheim gebracht und dann von München nach Griechenland ausgeflogen wird. Italiens Regierungsbeamte aber drängten dem Vernehmen nach darauf, die Zurückgewiesenen nicht über die Luft, sondern über den Landweg nach Italien zurückzuführen, meistens also über den Brenner. Dort könnten wie an der französischen Grenze eingeübte italienische Teams die Menschen übernehmen.

Im Bundesinnenministerium sorgt dieses Szenario für Kopfzerbrechen. Das letzte Wort sei hier nicht gesprochen, heißt es hier. "Der Rücktransport soll sowohl über den Luftweg als auch über den Landweg über Österreich erfolgen." Mit anderen Worten: Die deutsche Seite will bei ihrer bisherigen Praxis bleiben. Denn wenn ein Geflüchteter über Hunderte Kilometer auf der Autobahn transportiert werden muss, durch österreichisches Staatsgebiet, wäre das ohne Zustimmung aus Wien undenkbar.

Und es stellen sich weiter Fragen. Was, wenn der Flüchtling unterwegs ein Schutzgesuch stellt? Dann wäre theoretisch Österreich für ihn zuständig. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz aber hat klargemacht, dass er das nicht akzeptieren würde. Für solche Fälle wäre Deutschland bereit, die Zuständigkeit für den Asylbewerber zu übernehmen, heißt es im Hause Seehofer. Um all das zu regeln, müsste allerdings aus der bilateralen, deutsch-italienischen Vereinbarung ein trilaterales Abkommen werden, mit Österreich. Das macht die Dinge nicht einfacher.

Und es gibt weitere Holpersteine bei den deutsch-italienischen Verhandlungen. Seehofer ließ kürzlich erkennen, dass er es wie sein österreichischer Amtskollege Kickl für problematisch hält, dass die italienische Regierung Flüchtlinge am liebsten direkt von den Rettungsschiffen über Europa verteilen würde, nach einem festen Verteilungsschlüssel und ohne weitere Prüfung. Seehofer aber will mehr Kontrolle, er will besonders verletzliche Personen von den Rettungsschiffen übernehmen oder Menschen mit Verwandtschaft in Deutschland.

Fragt man im Bundesinnenministerium nach, warum der Minister die unkontrollierte Verteilung von Flüchtlingen über Europa durch die italienische Regierung missbilligt, sich aber durch die Vereinbarung zum Teilhaber eben dieses Systems macht, wird darauf hingewiesen, dass die Absprache "einen wertvollen Beitrag gegen unkontrollierte und illegale Sekundärmigration" leiste. Deutschland zeige sich "im europäischen Geiste solidarisch mit einem Hauptankunftsland, indem es kontrolliert die Zuständigkeit für Seenotgerettete in gleicher Größenordnung übernimmt".

Dass durch das Abkommen unterm Strich nicht weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen als bisher schon, ist aus Seehofers Sicht nachrangig. Die Vereinbarung trage "zur Ordnung der Migrationspolitik". Dabei gehe es um eine "gerechte Teilung von humanitärer Verantwortung" und dem "Prinzip der Solidarität", sagte seine Sprecherin. Fehlt nur noch eines: die Unterschrift des italienischen Innenministers.

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