Flüchtlinge:Calais wird zu Camerons Bewährungsprobe

Calais migrant crisis

Erst über den Zaun - und dann zum Zug nach England.

(Foto: Yoan Valat/dpa)
  • Großbritanniens Premierminister Cameron kündigt verschiedene Maßnahmen an, um der Krise in Calais Herr zu werden.
  • Das Thema könnte auch Einfluss auf die Debatte über den Verbleib des Landes in der EU haben - und den Austritts-Befürwortern in die Hände spielen.
  • In Großbritannien haben viele Asylanträge tatsächlich großen Aussicht auf Erfolg.

Von Björn Finke , London

Mehr Zäune und Spürhund-Staffeln: Damit will die britische Regierung das Flüchtlings-Chaos bei Calais bekämpfen. Premierminister David Cameron sagte am Freitag, die Lage am französischen Ufer des Ärmelkanals sei "inakzeptabel". "Das wird ein schwieriges Thema über den Sommer hinweg bleiben", warnte der Konservative nach einem Treffen mit Ministern und Vertretern von Polizei und Armee in London. Um dieses Problem zu lösen, schließe er kein Mittel aus. Fürs Erste schickt die Regierung neue Unterstützung nach Calais.

Die Briten haben Frankreich bereits vier Kilometer Zaun geliefert. Der ist 2,74 Meter hoch und wohl erprobt - er wurde als Absperrung bei den Olympischen Spielen in London und beim Nato-Gipfel in Wales voriges Jahr genutzt. Die Regierung kündigte zudem an, mit Frankreich bei der Abschiebung der Flüchtlinge in Calais in deren Heimatländer enger zusammenzuarbeiten. So könnte Großbritannien Teile der Kosten für die Flüge nach Afrika übernehmen. Um die Insel als Fluchtziel weniger attraktiv zu machen, soll das Parlament nach der Sommerpause härtere Gesetze gegen Schwarzarbeit und Asylmissbrauch verabschieden.

Laster sollen auf Armee-Gelände parken

Die Krise in Calais ist die erste wichtige Bewährungsprobe für die neue konservative Regierung. Fernsehbilder von Flüchtlingen, die über Zäune klettern, schüren die Angst vor unkontrollierbarer Einwanderung. Dabei hat Cameron versprochen, die Zahl der Immigranten zu verringern. Je länger das Thema die Schlagzeilen beherrscht, desto größer ist die Gefahr, dass es auch die Debatte über den Verbleib in der EU dominiert - und den Austritts-Befürwortern in die Hände spielt. Cameron will die Briten bis spätestens 2017 über einen Austritt abstimmen lassen, vermutlich aber schon im kommenden Jahr.

Außerdem stört der Flüchtlingsansturm den Fährbetrieb zwischen Calais und der Insel sowie den Zugverkehr durch den Eurotunnel. Die Folge: Briten auf dem Weg in den Sommerurlaub müssen sich auf Verspätungen einstellen. In der Grafschaft Kent an der Küste sperrte die Polizei Teile der Autobahn M20 und verwandelte sie in einen Parkplatz für Lastwagen, die den Ärmelkanal queren wollen. Anders ist dem Rückstau vom Eurotunnel-Terminal und dem Fährhafen Dover nicht beizukommen. Auf den Ladeflächen verderben Lebensmittel; die Einschränkungen beim Handel mit dem Festland kosten die britische Volkswirtschaft täglich eine Viertelmilliarde Pfund, schätzen Fachleute.

Die Regierung will Laster nun auf Armee-Gelände parken lassen. Die Verwaltung der Grafschaft Kent klagt zudem, sie sei überfordert mit den Hunderten minderjähriger Asylsuchender ohne Begleitung, die es aus Calais nach Großbritannien schaffen. Deren Zahl habe sich in den vergangenen drei Monaten auf 605 verdoppelt, die Unterbringung sei teuer.

In Booten über den Ärmelkanal

Insgesamt beantragten im ersten Quartel 2015 genau 7330 Menschen Asyl in Großbritannien, zeigen Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat. In Deutschland waren es 73 120, in Frankreich 14 775. Das Vereinigte Königreich muss sich also um vergleichsweise wenige Asylsuchende kümmern. Dafür haben in Großbritannien recht viele Anträge Erfolg: Im vergangenen Jahr gewährte das Königreich in 38,8 Prozent der Fälle Schutz. In Frankreich wurden nur 21,7 Prozent der Asylgesuche gebilligt. Dieser Unterschied ist einer der Gründe, wieso die Flüchtlinge in Calais unbedingt auf die Insel weiterreisen wollen.

Fähren aus Calais und Züge durch den Eurotunnel sind aber nicht die einzigen Wege ins begehrte Großbritannien. Manche Einwanderer versuchen auch, auf eigene Faust in kleinen Booten den Ärmelkanal zu überqueren, oder sie verstecken sich als blinde Passagiere auf Fähren aus anderen Nordsee-Häfen. Die überwältigende Mehrheit der illegalen Einwanderer freilich reist sehr viel bequemer an: mit dem Flugzeug und einem Visum, etwa als Tourist oder Student. Nach Auslaufen des Visums bleiben sie einfach und arbeiten schwarz.

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