Migration:Schläge statt Asylantrag

Migration: In Sicherheit: Dieser über Bulgarien Geflüchtete fand Schutz im Kirchenasyl in München.

In Sicherheit: Dieser über Bulgarien Geflüchtete fand Schutz im Kirchenasyl in München.

(Foto: Nina von Hardenberg)

Wer über Bulgarien nach Europa flüchtet, läuft Gefahr, brutale Polizeigewalt zu erleben. Ankömmlinge in Deutschland sollen nach EU-Recht wieder zurückgeschickt werden. Aber darf Deutschland das überhaupt, bei den Zuständen?

Von Nina von Hardenberg

Europa, das Ziel seiner Flucht, empfing Yasen S. mit Schlägen und Fußtritten. In einem Lkw hatte es der junge Syrer gemeinsam mit anderen Flüchtlingen über die Grenze nach Bulgarien geschafft. Dort aber wurden sie von Polizisten aufgegriffen. Die schlugen ihnen ins Gesicht, traten sie und sperrten sie erst drei Tage in eine kalte, bettenlose Zelle und dann einen Monat in ein Gefängnis. Yasen S. litt unter Zahnschmerzen, geholfen wurde ihm nicht.

Der kurdische Syrer sitzt im Gemeindesaal der evangelischen Himmelfahrtskirche in München. Sein voller Name soll zu seinem Schutz nicht in der Zeitung stehen. Aber er ist jetzt in Sicherheit. Was Yasen S. berichtet, klingt schlimm, schlimmer noch aber findet Stephan Reichel von der Kirchenorganisation Matteo, dass er solche Erlebnisse immer wieder geschildert bekommt. "Es gibt fast keinen, der über Bulgarien kommt und dort keine Gewalt erlebt", sagt er.

Yasen S. hat zwar nur seine Erzählung, sie deckt sich aber mit den Erzählungen von 40 anderer über Bulgarien Geflüchteter, die allein in Bayern im vergangenen Jahr Kirchenasyl gefunden haben. Das ARD-Magazin Monitor zeigte Aufnahmen von baufälligen Baracken, in denen Migranten festgehalten wurden. Im kürzlich veröffentlichten "Schwarzbuch Pushback" des "Border Violence Monitoring Network" berichtet ein Migrant, dass er sich beim Verhör in Bulgarien nackt ausziehen musste und geschlagen wurde.

Darf die Bundesrepublik nach solchen Zeugnissen überhaupt noch Geflüchtete nach Bulgarien zurückschicken?

"Der Rechtsstaat versagt hier."

Nach den Verteilregeln der EU muss ein Flüchtling in dem Land seinen Asylprozess durchlaufen, in dem er zuerst europäischen Boden betritt. Wer weiterreist, wird zurückgeschickt. 3853 Flüchtlinge hat Deutschland nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in den ersten elf Monaten dieses Jahres in andere europäische Staaten zurückgebracht. 75 davon nach Bulgarien. "Der Rechtsstaat versagt hier", sagt Kirchenmann Reichel.

Die Rechtslage allerdings ist komplex. Das Bamf muss Abschiebungen eigentlich stoppen, wenn am Ziel unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht. Die Hürden dafür sind jedoch hoch. Beim EU-Land Bulgarien etwa darf Deutschland grundsätzlich darauf vertrauen, dass dort die Genfer Flüchtlingskonvention und die EU-Grundrechtecharta eingehalten werden. Daran ändern auch einzelne Berichte über Polizeigewalt nichts, solange diese nicht systematisch nachgewiesen werden.

Dem Bundesinnenministerium sind nach Angaben eines Sprechers aber "keine systemischen Mängel im bulgarischen Asylsystem bekannt, die das grundsätzliche gegenseitige Vertrauen" unter den EU-Ländern untergraben würden. Und selbst wenn sich Berichte über gewaltsame "Pushbacks" an den Grenzen häufen sollten, hieße das, dass diese Gewalt auch den aus Deutschland Zurückgebrachten droht? Den Verwaltungsgerichten fehlen dazu Informationen, weshalb auch sie regelmäßig Klagen gegen Abschiebungen abweisen. Das gilt für Bulgarien genauso wie für andere EU-Grenzländer.

Es gibt allerdings auch andere Urteile: So verbot das Verwaltungsgericht Braunschweig kürzlich mit dem Verweis auf das brutale Vorgehen gegen Flüchtlinge zwei Abschiebungen nach Kroatien und Slowenien. "Es existieren zahlreiche Belege dafür, dass es sich bei diesen Gewaltakten nicht um Einzelfälle handelt, sondern dass die Grenzschutzpolizei von staatlicher Seite zu einem harten Vorgehen gegen Asylsuchende angehalten wird", schreibt die zuständige Richterin Carolin Dörr in einem Aufsatz im Asylmagazin. Die slowenische Grenzpolizei etwa nehme Geflüchteten häufig Geld, Handys, Gürtel und Schuhe ab, attackiere sie mit Schlägen und Tritten, verweigere medizinische Hilfe oder verlange Bestechungsgelder für den Zugang zum Asylverfahren - alles Vorwürfe, die es auch aus Bulgarien gibt.

Geflüchtete, die über Griechenland kommen, dürfen bleiben

Kritisch sieht die Richterin, dass deutsche Gerichte die Versicherungen staatlicher Stellen regelmäßig höher werten als die notwendigerweise subjektiven Zeugenaussagen der Geflüchteten selbst, wie sie etwa vom "Border Violence Monitoring Network" zu Tausenden gesammelt wurden. Auch gebe es zu wenig Austausch zwischen den Gerichten der EU-Staaten. Für Kroatien etwa habe das höchste Verwaltungsgericht der Niederlande bereits Beschwerden gegen Dublin-Abschiebungen stattgegeben. Anderswo sind solche Entscheidungen allerdings kaum bekannt.

Dass sich auch die deutsche Rechtsprechung ändern kann, zeigt das Beispiel der anerkannten Flüchtlinge, die aus Griechenland kommen. Diese erhalten nach Ende ihres Asylverfahrens dort keinerlei Unterstützung und leben häufig auf der Straße. Reisen sie weiter nach Deutschland, dürfen sie wegen der drohenden Verelendung nicht mehr zurückgeschickt werden, so die Mehrheitsmeinung der Gerichte. Dem Bamf war lange unklar, wie es mit diesen Menschen umgehen sollte. Würde sich die Lage in Griechenland wieder bessern? Bis April sammelten sich so 44 000 Verfahren. Inzwischen gewährt man ihnen hier ein zweites Asylverfahren.

Aber 44 000 Geflüchtete seit 2019, allein aus einem Land: Das Beispiel zeigt, welche Folge es haben könnte, wenn Gerichte auch systematische Pushbacks und Polizeigewalt als Abschiebehemmnis anerkennen würden. Das Schwarzbuch Pushback protokolliert solche Vorfälle in zehn EU-Staaten. Das ganze Dublin-System stünde in Frage. Die EU aber versucht seit Jahren erfolglos, das viel kritisierte Regelwerk zu reformieren.

Um so mehr sehen sich die Kirchen in der Pflicht. Die Himmelfahrtskirche in München hat vier Schlafplätze für Geflüchtete im Kirchenasyl. Im vergangenen Jahr nahmen Kirchen in Bayern insgesamt etwa 40 über Bulgarien Geflüchtete auf. Sie gewähren Schutz, bis die Frist für eine Rückführung ihrer Schützlinge abläuft, es ist ein Gewohnheitsrecht der Kirchen, das in Bayern toleriert wird. Auch der syrische Kurde Yasen S. darf bleiben. Er sei sehr verstört angekommen, berichtet die Pfarrerin. Inzwischen lächelt er offen. Er wolle als Friseur arbeiten, sagt er. Und dann tippt er noch eine Botschaft in seinen Google-Übersetzer: Er wünsche sich nichts mehr als ein Leben in Frieden. In seiner Heimatstadt im Norden Syriens, die wieder von der Türkei bombardiert wird, gab es den für ihn nicht.

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