Süddeutsche Zeitung

Scheitern der Quotenregelung:Liebe Flüchtlinge, bewahren Sie Ruhe!

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Angesichts des Flüchtlingssterbens im Mittelmeer vergießen Politiker regelmäßig Krokodilstränen, mehr nicht. Ihre eigentliche Botschaft - in Form eines fiktiven EU-Beschlusses.

Kommentar von Heribert Prantl

Es gibt zwar lange, aber keine ernsthaften Verhandlungen. Das Leid der Flüchtlinge rührt die Staats- und die Regierungschefs der EU allenfalls zu Krokodilstränen und zu Krokodilsreden. Verbindliche Vereinbarungen zur Rettung und Aufnahme der Flüchtlinge gibt es nicht. Verbindliche Vereinbarungen zur Verteilung der Flüchtlinge auch nicht. Die Aufnahme der Flüchtlinge soll "freiwillig" bleiben.

Fasst man die Haltung der EU zum Flüchtlingsproblem in einem fiktiven Beschluss zusammen, klingt das fast sarkastisch, entspricht aber der Wahrheit:

"Mit Sorge und Besorgnis registrieren wir die dramatische Lage der Flüchtlinge, die sich auf den Weg übers Mittelmeer nach Europa machen. Wir sehen mit Bestürzung die Not dieser Menschen. Die Staaten der EU sind bereit zu helfen, aber diese Hilfe darf die Aufnahmekapazitäten der EU-Staaten nicht übersteigen.

Wer sich aufs Meer begibt, kommt drin um!

Wenn das Asylrecht, wie gegenwärtig, im Übermaß in Anspruch genommen wird, leidet darunter die Aufnahmebereitschaft der europäischen Völker. Die Staaten der EU können Asyl nur im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten verantworten. Wir appellieren deshalb an die Selbstverantwortung der Flüchtlinge. Sie mögen sich nicht länger in unmäßige Gefahr begeben. Wer sich aufs Meer begibt, kommt drin um!

Die EU wird in den kommenden Jahren noch intensiv über Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge verhandeln. Diese Verhandlungen können nicht überstürzt werden, weil die Stabilität in den EU-Ländern nicht gefährdet werden darf. Die EU rät daher den Flüchtlingen, diese Verhandlungen zuversichtlich abzuwarten.

Die EU wird alles tun, um sich in absehbarer Zukunft als Raum des Rechts, der Sicherheit und der Freiheit zu erweisen. Bis es soweit ist, bitten wir die Flüchtlinge, Ruhe zu bewahren und sich, zum Beispiel, in Libanon einzurichten, wie das schon zwei Millionen Flüchtlinge gemacht haben."

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Quelle:
SZ vom 26.06.2015
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