Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Berliner Phrasen

Aus Feigheit behindert die Regierung den Familiennachzug.

Von Bernd Kastner

Der Europäische Gerichtshof hat ein wegweisendes Urteil gesprochen. Junge, anerkannte Flüchtlinge haben auch dann ein Recht auf Nachzug der Eltern, wenn sie während ihres Asylverfahrens volljährig werden. Das ist nicht nur humanitär gedacht, das ist zwingend logisch. Ansonsten bliebe das Recht auf Familie ein Lotteriespiel, es hinge davon ab, wie schnell die Asylbehörden arbeiten.

Allein, das Urteil passt der Bundesregierung überhaupt nicht, sie müsste ihre Praxis revidieren. Mit dem 18. Geburtstag endet in Deutschland bislang das Recht auf Nachzug für jene, die allein gekommen sind. Was also tut die Regierung? Gar nichts. Die zuständigen Ministerien sollen sich abstimmen - sie stimmen sich nun schon ein Jahr lang ab, so alt ist das Urteil. Weil deutsche Gerichte ihm zugleich regelmäßig folgen, überträgt Berlin die Entscheidung, ob man die obersten europäischen Richter respektiert, aufs Bundesverwaltungsgericht.

Das ist politisch feige. Obendrein untergräbt die Bundesregierung die Autorität der obersten europäischen Richter, wie man es eher von Ungarn oder Polen erwartet. Zudem entlarven Angela Merkels Minister ihr Reden vom Schutz der Familie als Phrase. 18 geworden? Pech gehabt, deine Eltern bleiben draußen. Das ist die deutsche Botschaft an die Schwächsten der Flüchtlinge.

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Quelle:
SZ vom 11.04.2019
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