Leibeigenschaft in Mauretanien:"Als früherer Sklave bist du nichts"

Überall auf der Welt ist Leibeigenschaft verboten, auch im westafrikanischen Mauretanien. Doch tatsächlich lebt in dem Land jeder fünfte Einwohner in Unfreiheit. Weiße Mauren befinden über schwarze Araber, als wären sie eine Sache, auch Kinder müssen arbeiten. Der Aktivist Biram Dah Abeid versucht die Sklaven zu befreien - jetzt droht ihm der Tod durch den Strang.

Frederik Obermaier und Niklas Schenck, Berlin und Ludwigslust

Auch Jahre nach seiner Flucht senkt Mohammed Abderrahman noch den Blick, wenn er mit einem Weißen spricht. Mal wirkt das gelangweilt, mal unterwürfig, meistens einfach nur schüchtern - so schüchtern ein Mann von 1,85 Metern und 85 Kilo eben wirken kann.

Aktivist Biram Dah Abeid

Aktivist Biram Dah Abeid bei einem Treffen mit der SZ. Wenige Tage später flog er nach Mauretanien zurück - und wurde verhaftet. Nun droht ihm die Todesstrafe.

(Foto: Niklas Schenck)

Er überquert den Hof des Asylbewerberheims in Ludwigslust, südlich von Schwerin. Am Zaun hängt ein Schild, Besucher sollen sich beim Wachdienst melden. "Das ist wie ein Gefängnis hier", sagt Abderrahman, doch er lacht dabei. "Bei euch ist man sogar im Gefängnis frei." In seiner Heimat Mauretanien hingegen wird er auch ohne Zäune immer bleiben, was er bis zu seiner Flucht war: ein Sklave.

"Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden", heißt es in Artikel 4 der UN-Menschenrechts-Charta. 1948 wurde sie verkündet, doch erst 2007 schaffte das letzte Land die Sklaverei ab: Da stellte das westafrikanische Land Mauretanien sie unter Strafe. Seither leben wir in einer Welt ohne Sklaverei. Theoretisch. In Wirklichkeit hat sich in Mauretanien nichts geändert. Noch immer werden dort, wo der arabische Maghreb in die Wüste des Sahel übergeht, die einen als Herren geboren und die anderen als Sklaven.

Präsident Mohamed Ould Abdel Aziz, der sich 2008 an die Macht putschte, regiert über drei Millionen Mauretanier wie ein Diktator. Jeder fünfte Bürger der islamischen Republik ist ein Sklave. Wer darüber spricht, riskiert sein Leben. Der Westen schaut zu, für viele Politiker gibt es wichtigere Themen. Die USA brauchen Mauretanien im Kampf gegen al-Qaida. Frankreich und Spanien im Kampf gegen unerwünschte Einwanderer. Sie sollen in der Sahelzone bleiben, nur nicht nach Europa kommen, dafür wird die mauretanische Regierung mit Hilfsgeldern belohnt. Berichte der Sklaven dringen nur selten aus dem abgeschotteten Land nach Europa. Doch wenn, sind es Geschichten wie jene von Mohammed Abderrahman.

Eigentum eines hellhäutigen Arabers

Er trägt einen gestutzten Oberlippenbart, die rechte Wange stürzt nach innen, seit mauretanische Polizisten ihn vor Jahren verprügelten. Er wohnt in einem kahlen Raum, die Wände sind weiß, im Eck steht ein klappriges Bettgestell aus Metall, ein Fernseher. Es läuft "Der Pferdeflüsterer". Zum Deutschlernen, sagt Abderrahman und bietet eine Cola an. Dann eine Fanta, dann ein Radler. Erst als er sich sicher ist, dass sein Gast auch wirklich zufrieden ist, fängt er an zu erzählen.

Er sei als Eigentum eines hellhäutigen Arabers, eines weißen Mauren, geboren, sagt Abderrahman, in der Region Selibaby in Südmauretanien. Wahrscheinlich 1976, genau wisse er das nicht. Die Jahreszahlen fliegen oft durcheinander, wenn er sich erinnert. Während er spricht, streift er seine Badelatschen an und wieder ab, an und wieder ab. Germany steht darauf, Germany, wie das Paradies, das Land ohne Sklaverei.

Aber Abderrahman kann das nicht lesen. Er hat nie eine Schule besucht, das erlaubte sein Besitzer nicht. Auch spielen durfte er nicht, stattdessen musste er seinem Vater auf dem Feld helfen, er pflanzte Hirse und Reis, trieb Ziegen durch die Savanne. "Ich habe meinen Vater immer gefragt, warum wir arbeiten und die weißen Herren nicht." Der Islam verlange Gehorsam, sagte der Vater dann, obwohl er keinen Koran besaß und nicht lesen konnte; also müssten sie arbeiten, auch ohne Lohn - für eine Schüssel Reis und einen Schlafplatz und die Aussicht auf das Paradies.

Mit 13 Jahren lief Abderrahman davon. Er ließ auch seine Familie hinter sich, der Preis der Freiheit. "Die Herren können über uns entscheiden und nie verändert sich etwas. So konnte ich nicht leben."

Er erzählt in langen, leisen Sätzen von seiner Flucht. Als Tagelöhner arbeitete er in Metallfabriken, erst in kleineren Städten, dann in der Hauptstadt Nouakchott; lang blieb er nie. Zu groß war die Angst, dass sein Besitzer ihn finden könnte. Über Libyen floh er darum nach Europa, irgendwann landete er in Ludwigslust. Doch auch das liegt nicht weit genug entfernt, um das Erlebte abzuschütteln. "Ich habe immer Angst, Leute könnten mich wieder wie einen Sklaven behandeln, wenn ich mich zu erkennen gebe", sagt Abderrahman. Geschichten wie seine sind in Mauretanien kein Einzelfall, sondern Alltag.

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