Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge aus Haiti:USA wollen zehntausende Flüchtlinge nach Haiti zurückschicken

Lesezeit: 2 min

Von Karin Janker

Knapp acht Jahre liegt die Erdbebenkatastrophe in Haiti inzwischen zurück. Nun wollen US-Behörden die etwa 59 000 Flüchtlinge, die damals in den USA Zuflucht gesucht haben, in ihre Heimat zurückschicken. Die Menschen, denen bislang ein vorübergehender Aufenthaltsstatus zukam, hätten dafür 18 Monate Zeit, teilt das US-Heimatschutzministerium mit. Alternativ könnten sie auch versuchen, ein US-Visum oder einen anderen Aufenthaltsstatus für die USA zu erlangen.

Haiti war am 12. Januar 2010 von einem verheerenden Erdbeben der Stärke 7,0 heimgesucht worden. Mehr als 220 000 Menschen kamen dabei ums Leben. Große Teile der Hauptstadt Port-au-Prince wurden verwüstet, auch der Präsidentenpalast stürzte ein. Die Überlebenden litten unter Hunger und Seuchen wie Cholera. Haiti ist eines der ärmsten Länder der westlichen Hemisphäre und war für den Wiederaufbau auf internationale Unterstützung angewiesen. Immer wieder wüten dort Naturkatastrophen; zuletzt verwüstete im Oktober 2016 der Hurrikan Matthews Teile des Landes, das in etwa die Fläche Brandenburgs hat.

Das US-Ministerium begründet seine Entscheidung damit, dass sich die Verhältnisse in Haiti inzwischen deutlich verbessert hätten. Die Übergangsfrist gebe den Betroffenen Zeit, sich auf ihre Rückkehr vorzubereiten, und dem Land selbst Gelegenheit, Vorkehrungen für die Aufnahme zehntausender Landsleute zu treffen.

Steffen Richter, Sprecher der Hilfsorganisation Humedica, die schon seit der Zeit vor dem Erdbeben in Haiti Projekte betreut, schätzt die Auswirkungen dieser geplanten Rückführung zehntausender Menschen problematisch ein: "Die Zerstörungen, die das Erdbeben vor acht Jahren angerichtet hat, sind nicht mehr unmittelbar zu sehen, trotzdem hat sich die humanitäre Situation im Land nicht wirklich verbessert." Zwar könne die Rückkehr ausgebildeter Haitianer auch eine Chance für das Land bedeuten, aber die Region sei nach wie vor von Naturkatastrophen bedroht, gibt Richter zu bedenken.

Auch Martin Keßler, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe, weist darauf hin, dass immer noch Millionen von Menschen in den temporären Behausungen leben, die nach dem Erdbeben errichtet worden waren. "Laut UN benötigen 2,7 Millionen Menschen in Haiti humanitäre Hilfe", sagt Keßler, der das Land mehrfach selbst bereist hat. Von 1,5 Millionen Menschen sei die Nahrungsmittelversorgung nicht gesichtert und etwa 30 000 Menschen seien nach wie vor von Cholera bedroht.

Politiker befürchten, Haiti könne die Heimkehrer nicht versorgen

Aus Sorge vor dem baldigen Ende ihrer vorläufigen Aufenthaltsgenehmigungen waren tausende Haitianer bereits im Sommer aus den USA über die Grenze nach Kanada geflüchtet, um dort Asyl zu beantragen. Die kanadische Regierung reagierte mit einer Verstärkung des Grenzschutzes und der Einrichtung von Notunterkünften.

In den USA leben insgesamt mehr als eine halbe Million haitianischer Einwanderer, viele von ihnen in Miami. Demokratische und republikanische Politiker aus dem Bundesstaat Florida protestierten scharf gegen die Ankündigung der Behörde. Die Entscheidung sei gewissenlos, sagte der demokratische Senator Bill Nelson. Haiti könne die Heimkehrer nicht versorgen. Einem Bericht des Miami Herald zufolge arbeiten derzeit mehrere Kongressabgeordnete an einem Gesetz, um den Haitianern einen dauerhaften Aufenthalt in den USA zu ermöglichen.

Die republikanische Abgeordnete Ileana Ros-Lehtinen schrieb auf Twitter, sie habe Haiti vergangenes Jahr besucht und könne "persönlich bestätigen, dass Haiti nicht in der Lage ist, beinahe 60 000 Menschen wieder aufzunehmen".

Nach Einschätzung der Vereinten Nationen bleibt auch die politische Lage in Haiti fragil. Mitte Oktober endete dort nach 13 Jahren die UN-Mission Minustah zur Stabilisierung des Landes. Nach dem Abzug der Blauhelmsoldaten sind noch etwa 1300 Polizeikräfte auf der Insel geblieben, die das Land bei der Ausbildung von Beamten unterstützen und die Einhaltung von Menschenrechten überwachen sollen. Erst am Wochenende haben hunderte Anhänger der Opposition gegen das Wiedererstarken der Armee und gegen Regierungskorruption demonstriert.

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