Der Bürgermeister von Lesbos sagte kürzlich, auf den Friedhöfen der griechischen Insel sei kein Platz mehr, um alle ertrunkenen Flüchtlinge zu bestatten. Auf der Insel kommen sehr viele Menschen an, allein am vergangenen Samstag waren es 5000. Schwierig ist die Lage insbesondere am sogenannten "Hotspot" in Moria, wo der Großteil der Flüchtlinge registriert wird und dann weiterreisen soll. Der Student Jan Schulz-Weiling ist seit vier Wochen auf Lesbos und arbeitet ehrenamtlich als Flüchtlingshelfer. Er berichtet von fehlender Hilfe und angeschwemmten Leichen.
SZ: Herr Schulz-Weiling, wie ist die Lage auf Lesbos?
Jan Schulz-Weiling: Es ist völlig chaotisch. Ich bin gerade im Norden der Insel, am Strand helfe ich zum Beispiel dabei, die Flüchtlingsboote an Land zu ziehen. Wenn das Wetter gut ist, geht es einigermaßen. Sonst sind die Menschen völlig unterkühlt, viele auch traumatisiert, weil sie zum Beispiel einen Angehörigen auf der Überfahrt verloren haben. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht Leichen angeschwemmt werden.
Wie kann das passieren?
Es gibt nicht genügend Boote. Die griechische Küstenwache kann nicht alle retten, auch die ehrenamtlichen Helfer können das nicht. Ich kenne Rettungsschwimmer, die mussten sich auf offener See entscheiden: Rette ich jetzt diese Familie? Oder das Kind da drüben? Man kann ja immer nur ein oder zwei Menschen an den Strand schleppen - und wenn man wiederkommt, dann sind die anderen vielleicht ertrunken.
Wenn es die Flüchtlinge an den Strand geschafft haben, wie geht es dann weiter?
Wir bringen sie mit Bussen zu einem Transitcamp. Wir versuchen sie zu versorgen, mit Essen und Decken. Aber oft reicht es nicht für alle. Leider reichen auch die Zelte nicht, viele müssen draußen schlafen. Das wird immer schwieriger, nachts kühlt es herunter auf um die zehn Grad. Wenn es dann noch regnet, ist es noch viel schlimmer. Nach einem Tag verlassen die meisten Menschen das Transitcamp, sie kommen dann nach Moria. Dort hat die griechische Regierung einen "Hotspot" eingerichtet, um die Menschen zu registrieren und umzuverteilen.
Welchen Eindruck haben Sie von dem Lager?
Das ist der absolute Albtraum. Ich war dort. Die Menschen stehen oft zwei, drei Tage lang an, um überhaupt in das Camp hineinzukommen. Drinnen müssen sie dann noch einmal anstehen, für die Registrierung. Sie sind völlig geschwächt, wenn es regnet auch unterkühlt. Es gilt das Recht des Stärkeren, wer schwach ist, muss länger warten. Die Polizei ist völlig überfordert und setzt Tränengas ein. Und es gibt kaum Essen.
Was müsste sich ändern?
Es kann nicht sein, dass von der griechischen Regierung, aber auch von der gesamten EU, hier so wenig kommt. Nach meinem Eindruck sind 95 Prozent der Helfer hier Ehrenamtliche. Ohne sie würden die Leute verhungern und erfrieren. Noch mehr Menschen würden ertrinken.
Politiker aus anderen EU-Ländern kritisieren, die griechische Regierung müsse dafür sorgen, dass der Hotspot auf Lesbos funktioniere, auch beim gestrigen Treffen der EU-Innenminister. Wie sehen Sie das?
Es stimmt, eine schnellere Registrierung würde die Zustände hier verbessern, denn die Menschen müssten dann nicht so lange warten. Aber die Forderung ist auch scheinheilig. Die Europäische Union sollte direkt helfen, bei der Versorgung und insbesondere bei der Seerettung. Man sollte die griechische Küstenwache und uns Freiwillige nicht allein damit lassen.