Flüchtlinge auf Balkanroute:Im Schatten des Verdachts

Wintereinbruch trifft Flüchtlinge

Der Wintereinbruch trifft Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze nahe Wegscheid in Bayern: Schon bald könnte sich ein massiver Rückstau bilden

(Foto: dpa)

Es ist ein Wahnsinn: Sie fliehen vor dem, was nun auch in Paris geschehen ist. Und ihre eigene Angst ist groß. Doch die Flüchtlinge stoßen immer stärker auf Misstrauen.

Der 16-jährige Ahmad Fauad hat vor drei Dingen Angst. Zunächst einmal vor den Taliban, die seinen Vater und seinen Bruder getötet haben. Seit den Anschlägen von Paris fürchtet er außerdem, dass die vermeintlich sichere Zuflucht Europa sich nun abschottet. Was ihn und viele andere Flüchtlinge auf der Balkanroute aber geradezu in Panik versetzt, ist der Gedanke, dass auch mitten unter ihnen Terroristen sein könnten, die auf dem Weg zum nächsten Angriff sind.

Bereits am Donnerstag bekamen tausende Flüchtlinge zu spüren, dass der Weg nach Westeuropa angesichts der Terrorgefahr schwieriger werden könnte. Vier Balkanstaaten - Serbien, Kroatien, Slowenien und Mazedonien - haben ihre Grenzen teilweise dicht gemacht. Nur wer aus einem Bürgerkriegsland wie Syrien, Irak oder Afghanistan kommt, wird noch durchgelassen. Für alle anderen ist das Tor fürs Erste zugeschlagen.

"Wir sitzen fest", sagt Mohammed Mirsam, der gemeinsam mit seiner Familie an der griechisch-mazedonischen Grenze steht. Er selbst ist Afghane, aber seine Frau und seine Kinder sind Iraner. "Sie lassen meine Familie nicht einreisen. Wir haben kein Geld. Und nun warten wir hier, ohne zu wissen, was geschehen wird."

Die Mehrheit der Flüchtlinge auf der Balkanroute stammt zwar aus Syrien - und kann somit auch weiterhin relativ ungehindert passieren. Aber für Mirsams Familie und für viele tausend andere Menschen, die aus Ländern wie Iran, Pakistan oder Sri Lanka geflohen sind, spitzt sich die Lage nun zu. Schon bald könnte sich ein massiver Rückstau bilden.

Bestürzung über die Anschläge auch unter den Flüchtlingen

Gleichzeitig sind auch die Flüchtlinge bestürzt über das, was sich vor gut einer Woche in Paris ereignet hat. Genau vor dieser Art von Gewalt sei er eigentlich auf der Flucht, sagt Fauad. Der Teenager hatte sein überwiegend von Schiiten bewohntes Dorf in Afghanistan verlassen, nachdem mehrere Mitglieder seiner Familie einem Angriff von Extremisten der sunnitischen Taliban zum Opfer gefallen waren.

Eigentlich wollte Fauad nach Schweden reisen, wo bereits Verwandte von ihm leben. Aber diesen Plan hat er nun erstmal auf Eis gelegt, da auch das skandinavische Land seit einigen Tagen wieder seine Grenzen kontrolliert. Sein neues Ziel ist nun die Schweiz. Er sei sich aber darüber im Klaren, dass es nach den jüngsten Terroranschlägen in allen europäischen Ländern schwierig sein könnte. "Sie werden mit Flüchtlingen strenger umgehen", sagt Fauad.

Für den Syrer Ferhad Nesdewan hängt seit den Anschlägen von Paris ein Schatten des Verdachts über allen, die in Europa eigentlich nur Schutz suchen. "Das ist für uns ein Problem", sagt der 29-Jährige, während er an der slowenisch-österreichischen Grenze auf die Weiterreise wartet. Seine Heimat hat Nesdewan verlassen, weil seine Familie dort von der sunnitischen Terrormiliz Islamischer Staat bedroht wurde - von derselben Gruppe also, die sich auch zu den Attentaten in der französischen Hauptstadt bekannt hat.

"Sie haben in Paris dasselbe getan, was sie sonst in Syrien tun"

Die EU-Grenzschutzbehörde hatte mehrfach betont, dass es keine Anzeichen dafür gebe, dass mit den vielen Flüchtlingen aus Syrien auch Terroristen nach Europa kämen. Es sei davon auszugehen, dass die gut organisierten Extremisten eher mit gefälschten Papieren über einen Flughafen einreisen würden, als sich den beträchtlichen Gefahren der Route über Wasser und Land auszusetzen, hieß es.

Es sieht allerdings so aus, dass zumindest zwei der Attentäter von Paris genau diesen Weg gewählt hatten. Die Pariser Staatsanwaltschaft teilte am Freitag mit, zwei der drei Selbstmordattentäter, die vergangene Woche das Fußballstadion nördlich von Paris angriffen, seien im Oktober in Griechenland von Behörden kontrolliert worden. Wie aus griechischen Behördenkreisen verlautete, wurde am 3. Oktober ein Mann mit einem syrischen Pass auf den Namen Ahmed al-Mohammed auf der Insel Leros kontrolliert, nachdem er aus der Türkei eingereist war. Der Pass wurde neben der Leiche eines Selbstmordattentäters an dem französischen Fußballstadion gefunden.

Auch IS-Leute seien auf dem Weg nach Europa

Ermittler versuchen noch immer herauszufinden, ob der Ausweis echt oder gefälscht ist und ob er tatsächlich dem Angreifer gehörte, der sich am 13. November in die Luft sprengte. Vermutlich handelt es sich hier um Einzelfälle. Aber angesichts der mehreren zehntausend Menschen, die derzeit jeden Monat nach Europa strömen, ist es den Behörden fast unmöglich, solche Einzelfälle aufzuspüren.

Die Polizei der jeweiligen Länder nimmt zwar in der Regel die Personalien der ankommenden Flüchtlinge auf und gleicht sie mit Datenbanken von Interpol sowie mit "Terrorwarnlisten" der Geheimdienste ab. Eine wirksame Kontrolle wird aber schon dadurch erschwert, dass viele Flüchtlinge keine ordentlichen Papiere mit sich führen. Die Grenzbeamten können zwar Fingerabdrücke nehmen. Ansonsten bleibt ihnen aber oft nichts anderes übrig, als die Namen und Personendaten zu notieren, die ihnen von den Flüchtlingen selbst genannt werden.

Dass dieses System nicht wasserdicht ist, weiß auch Fauad. Auf seinem Weg durch Iran, die Türkei und Griechenland habe er Anhänger der Taliban gesehen und Angst einflößende Gespräche von IS-Sympathisanten aus Pakistan mitgehört, sagt der junge Afghane. Auch sie seien auf dem Weg nach Europa gewesen.

Schärfere Kontrollen würden daher auch viele Flüchtlinge begrüßen. "Europa hat einen großen Fehler gemacht. Sie sollten nicht einfach alle Menschen reinlassen", sagt der Syrer Emile Tarabeh an der Grenze zwischen Mazedonien und Serbien. Ansonsten könnten die IS-Terroristen ihren Krieg nach Europa bringen. "Sie haben in Paris dasselbe getan, was sie sonst in Syrien tun", sagt Tarabeh verzweifelt. "Ich hätte in Syrien bleiben können."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: