Fluchtursachen:Freihandel mit Afrika klingt fair, ist aber ungerecht

Kanzlerin Merkel in Afrika

Angela Merkel zu Besuch in einer Grundschule in Niamey im Niger.

(Foto: dpa)

Mit Geld für Entwicklungshilfe will Angela Merkel Fluchtursachen in Afrika bekämpfen. Doch ein Teil des Problems sind die Europäer selbst - und ihr Drang zum Freihandel.

Kommentar von Isabel Pfaff

Wenn europäische Politiker nach Afrika reisen, ist ein schönes Ritual zu beobachten. Bisher habe man den Kontinent viel zu wenig beachtet, sagen sie zum Auftakt ihres Besuchs gern, aber damit sei jetzt Schluss, schließlich gelte es, gemeinsame Probleme zu bekämpfen. Außerdem sei Afrika mit seinen vielen jungen Menschen und dem enormen Wirtschaftspotenzial der Kontinent der Zukunft - Europa könne es sich gar nicht mehr leisten wegzuschauen. "Ich glaube, dass wir uns sehr viel stärker noch für die Geschicke Afrikas interessieren müssen", sagte auch die Kanzlerin, bevor sie vergangenen Sonntag nach Mali, Niger und Äthiopien aufbrach.

Solche Sätze sind nicht falsch. Im Gegenteil. Merkwürdig ist nur, dass sie immer wieder von Neuem fallen. Denn geändert hat sich die Afrika-Politik Deutschlands und Europas in den vergangenen Jahren praktisch nicht.

Nun liegt allerdings ein außergewöhnliches Jahr hinter der EU. Die Flüchtlingskrise hat Afrika auf der politischen Agenda ganz nach oben katapultiert. Denn wie, wenn nicht gemeinsam mit den Afrikanern, wollen Angela Merkel und ihre europäischen Kollegen erreichen, dass 2015 ein Sonderfall bleibt? Es ist also an der Zeit, Bilanz der Afrika-Politik zu ziehen, um dann mit neuen, besseren Plänen auf den Nachbarkontinent zuzugehen. Nur: Was die Kanzlerin auf ihrer Reise von West- nach Ostafrika verkündet hat, zeigt, dass sich immer noch nichts tut.

Neben Unterstützung fürs Militär sagte Merkel in Mali Hilfe für die Landwirtschaft zu, in Niger sollen mit deutschem Geld Jobs geschaffen werden, damit Schleuser andere Arbeit finden. Das klingt zwar irgendwie nach "Fluchtursachen bekämpfen". Aber die vermeintlich neuen Ideen sind in Wahrheit alte Rezepte, die Deutschland und andere Geberländer seit Jahrzehnten in Afrika anwenden.

Wenn Europa Afrika weiter zum Freihandel drängt, entwertet es die Hilfe, die es selbst gewährt - und schafft immer mehr Flüchtlinge

Hunderte Milliarden Euro sind seit den Sechzigerjahren an Entwicklungshilfe in afrikanische Staaten geflossen. Ein Erfolg ist kaum spürbar. In vielen Ländern des Kontinents sind die wirtschaftlichen Aussichten bis heute zum Davonlaufen, selbst Menschen mit Hochschulabschluss finden nur schwer einen Job. Die frustrierenden Zustände treiben viele in die Flucht - und führen manchmal zu Gewalt, was noch mehr in die Flucht schlägt. Das ist zwar nicht flächendeckend so, aber schon einige afrikanische Länder reichen aus, um die Flüchtlingsboote in Libyen zu füllen. 80 Prozent der Flüchtlinge, die 2016 in Italien landeten, kommen aus nur zehn afrikanischen Staaten, die meisten aus Nigeria, Eritrea, dem Sudan und Gambia.

Es gibt Erklärungen für den mäßigen Erfolg von Entwicklungs-Zusammenarbeit, viele liegen in Afrika selbst. Einige Regierungen denken bei ihrer Haushaltsplanung eher ans Militär als an Schulen und Krankenhäuser, oft versickert Geld und Engagement in korrupten Strukturen. Doch den größten Denkfehler, das lehrt Merkels jüngste Initiative, machen die Europäer selbst.

Was sich fair anhört, versetzt afrikanische Staaten in Panik

Während das Entwicklungsgeld weiter fließt, arbeitet die EU an neuen Handelsbeziehungen mit Afrika. Geplant sind "Economic Partnership Agreements", also Partnerschaftsabkommen, die Brüssel jeweils mit einer afrikanischen Staatengruppe schließt. Die Verhandlungen laufen schon seit 13 Jahren, doch nicht eines der fünf Abkommen wurde seither von allen Beteiligten unterzeichnet - so umstritten sind die neuen Verträge. Sie zielen auf eine fast völlige gegenseitige Marktöffnung ab.

Was sich erst einmal fair anhört, versetzt die Regierungen vieler afrikanischer Staaten in Panik. Denn bislang gewährte ihnen Brüssel einseitig einen erleichterten Zugang zum europäischen Markt, eine Art Wiedergutmachung für die Kolonialzeit. Nach dem Willen der EU-Kommission soll es damit bald vorbei sein. Man müsse sich an das Gebot des Freihandels halten, das für alle Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) gelte, argumentiert die Kommission. Zudem fördere der Freihandel zwischen Europa und Afrika die Entwicklung des Nachbarkontinents.

Freihandel zwischen ungleichen Partnern ist ungerecht

Doch so einfach ist es nicht. In den vergangenen Jahrzehnten mussten afrikanische Staaten schon mehrfach dem Freihandelsdruck von Geberländern und Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank nachgeben. Stück für Stück öffneten sie ihre Märkte und privatisierten staatliche Unternehmen. Das Ergebnis kann man in jeder gut sortierten afrikanischen Markthalle sehen: Kleidung aus China, Reis aus Vietnam, Instant-Kaffee und Milchpulver der Schweizer Firma Nestlé, Tomatenmark aus Italien - alles Produkte, die auch aus Afrika kommen könnten. Doch wer kauft Tomaten aus Ghana, wenn er haltbares und billiges, weil subventioniertes, Tomatenmark aus Europa haben kann?

Freihandel klingt gerecht. Zwischen so ungleichen Partnern wie Europa und Afrika ist er aber ungerecht. Bei den geplanten Freihandelsabkommen TTIP und Ceta konkurrieren immerhin vergleichbare Wirtschaftsräume miteinander, den Kritikern geht es vor allem um Demokratie und Verbraucherschutz. Wenn die EU mit afrikanischen Volkswirtschaften Freihandel treibt, geht es dagegen um deren Überleben. Europas oft überlegene Produkte setzen afrikanische Produzenten unter heftigen Druck, oft halten sie der Konkurrenz nicht stand. So kommt es, dass kaum eines der Industrieunternehmen, die es in Afrika gegeben hat, noch existiert. Fast alle Staaten des Kontinents leben vom Export unverarbeiteter Rohstoffe - und nehmen damit die schwächste Position im globalen Handelsgefüge ein.

Die neuen Abkommen zwischen Europa und Afrika würden diese Situation noch verschärfen. Und damit die Projekte ad absurdum führen, die Merkel in Mali und Niger versprochen hat.

Wenn die EU Fluchtursachen bekämpfen will, sollte sie Abstand von diesen Handelsabkommen nehmen. Oder ihnen eine andere Richtung geben: Das WTO-Vertragswerk erlaubt Ausnahmen vom Freihandelsprinzip, gerade wenn es um Entwicklungsländer geht. Afrika braucht eine Politik, die aufkeimende Industrien schützt. Nur so wird es dort mehr Firmen, mehr Jobs und höhere Löhne geben - und weniger Flüchtlinge in Europa.

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