Flucht weltweit:Der vergessene Exodus

Im Schatten des Syrien-Konflikts sind auch Millionen Menschen aus Ostafrika auf der Flucht.

Von Isabel Pfaff und Daniel Brössler, München/Brüssel

Auch im beschaulichen Bayern stehen nun Flüchtlingszelte - früher einmal ein optisches Merkmal von Krisenregionen. Spätestens diese Bilder machen begreiflich, dass sich Europa in einem neuen Stadium der Flüchtlingshilfe befindet. Mehrere europäische Christdemokraten wollen deshalb deutlich mehr tun: Die EU-Kommission solle die Hilfen für Menschen in den Flüchtlingslagern rund um Syrien um eine Milliarde Euro aufstocken, fordern Politiker der Europäischen Volkspartei (EVP) - unter ihnen Österreichs Außenminister Sebastian Kurz und der EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) - in einem Schreiben vom Dienstag. Bislang hat die EU nach Angaben der Kommission 3,9 Milliarden Euro für Schutzbedürftige aus Syrien aufgebracht.

Die aktuelle Lage ist außergewöhnlich, im Nahen Osten wie in Europa. Und doch existiert die übrige Welt weiter. Sie aus dem Blick zu verlieren hieße auch, andere Kriege und Krisen zu vergessen, die parallel geschehen. Die Statistiken des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zeigen, dass der Exodus aus Syrien zwar der größte ist, doch schon die Flüchtlinge aus Afghanistan, Somalia und dem Sudan zusammengenommen übertreffen die syrische Zahl von vier Millionen. Aus Afghanistan fliehen die Bewohner schon seit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen 1979. Wegen der Herrschaft der Taliban und der US-geführte Intervention des Westens seit 2001 dauerte die Emigration an - bis heute. Auch in Somalia geht es den Bewohnern seit Jahrzehnten schlecht. Auf den Bürgerkrieg in den Neunzigerjahren folgte ein Machtvakuum, das den Aufstieg islamistischer Extremisten begünstigte. Die Terrorgruppe al-Shabaab kontrolliert heute weite Teile des Landes und macht ein Leben in Frieden unmöglich.

Dafur Refugees Overwhelm Camps In Chad

Nicht nur ein europäisches Problem: Ein Camp mit sudanesischen Flüchtlingen im Tschad.

(Foto: Scott Nelson/Getty Images/E-LANCE MEDIA)

Es gibt schon sieben Waffenstillstandsabkommen. Aber niemand hält sich daran

Die Krisen im Sudan und im Südsudan hängen eng miteinander zusammen. Im Norden herrscht schon seit Ende der Achtziger derselbe Diktator, der die Bevölkerung in der Region Darfur blutig bekämpft. Der christliche Süden hat sich nach vielen Jahren Unabhängigkeitskampf im Jahr 2011 vom muslimischen Norden abgespalten. Zunächst lagen große Hoffnungen auf dem jüngsten Staat der Erde, der noch dazu mit Öl gesegnet ist. Doch Ende 2013 ist hier einer der schlimmsten Bürgerkriege der Gegenwart ausgebrochen, mit Tausenden Toten und mehr als zwei Millionen Flüchtlingen - die meisten leben weiterhin im Südsudan, als Vertriebene im eigenen Land. Aussicht auf Frieden besteht nicht, auch wenn die Anführer der beiden Konfliktparteien schon sieben Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet haben. Sie halten sich schlicht nicht daran. Druck von außen müssen sie bislang nicht fürchten: Erst am vergangenen Dienstag blockierte unter anderem Russland im UN-Sicherheitsrat wieder Sanktionen gegen führende Köpfe in diesem Krieg.

Wie vergessen viele Kriege sind, zeigen nicht nur die bedeutendsten Herkunftsländer, sondern auch die Standorte der weltweit größten Flüchtlingslager. Fast alle befinden sich im Osten Afrikas. Und die meisten sind schon viele Jahre alt. Der kenianische Lagerkomplex Dadaab ist mit mehr als 300 000 Menschen noch immer die größte Flüchtlingssiedlung der Welt, die meisten Bewohner stammen aus Somalia. Auch Äthiopien ist in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Aufnahmeland geworden, allerdings weithin unbemerkt: In zwei großen Lagerkomplexen bietet das Land vor allem Menschen aus Somalia und dem Südsudan Zuflucht.

Tansania und Uganda leisten in ihren Lagern schon seit Jahren Nothilfe für Vertriebene aus dem Ostkongo. Dort wütet seit Ende der Neunzigerjahre ein grausamer Milizenkrieg, der sich aus den Bodenschätzen der Region nährt und vor allem die Zivilbevölkerung trifft. Und im Frühjahr kam noch ein Krisenherd in der Region dazu: Fast 100 000 Menschen flohen vor den Unruhen zwischen Regierung und Opposition in Burundi - das große Lager Nyarugusu im Westen Tansanias gelangte daraufhin an seine Grenzen.

Nicht überall werden aus großen Flüchtlingsströmen große Lager. Vor allem in der Türkei und in Pakistan, den aktuell wichtigsten Aufnahmestaaten, kommen die meisten der Vertriebenen nicht in Camps unter, sondern leben dezentral in den Dörfern und Städten.

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