Süddeutsche Zeitung

Flucht wegen Klimawandel:"Zu arm, um sich auf den Weg zu machen"

Gigantische Flüchtlingsbewegungen von Afrika nach Europa seien nicht zu erwarten, sagt Forscher Benjamin Schraven.

Interview von Andrea Bachstein

Der Politik- und Sozialwissenschaftler Benjamin Schraven befasst sich mit Fluchtforschung wie Zusammenhängen von Migration, Klima- und Umweltwandel und ländlicher Entwicklung. Er arbeitet am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik.

SZ: Seit Jahrzehnten wird prophezeit, der Klimawandel werde viele Menschen vertreiben. Der Klimawandel hat eingesetzt. Gibt es nun auch Klimaflucht?

Schraven: Jein. Es gibt diese Szenarien, dass der Klimawandel in Afrika in den nächsten Jahren eine riesige Fluchtwelle nach Europa in Gang setzen wird, weil die Wüste voranschreitet, der Meeresspiegel steigt, und die Leute dann ja wegmüssen. Aber wir haben seit zehn, 15 Jahren größere Forschungsprojekte weltweit, in Westafrika, Südasien, den pazifischen Inselstaaten. Da kommen wir überall zu dem Ergebnis, dass die Zusammenhänge deutlich komplexer sind als man gemeinhin annimmt. Insofern ist es schwierig zu definieren, was Klimamigration oder gar Klimaflucht ist. Es gibt ökologisch anfällige Situationen, wo Menschen tatsächlich fliehen müssen, etwa am Horn von Afrika. Die Dürreneigung dort ist hoch, durch den Klimawandel steigt sie wahrscheinlich weiter. Aber die Menschen dort fliehen, weil sie generell in fragilen Zuständen leben, geprägt von Gewaltkonflikten und dem Fehlen staatlicher Strukturen.

Schraven: Es gibt sehr verschiedene Zahlen dazu, wie viele Menschen wegen des Klimas fliehen - von gut zwei bis 20 Millionen.

Diese Zahlen sollte man mit Vorsicht genießen und in politischen Diskussionen ein Stück weit vergessen. Es fängt an mit der Definition. Es ist komplex, zu Umweltfaktoren kommen soziale, kulturelle, konfliktbezogenen Gründe, die Migration und Flucht bedingen. Ab wann ist der Einfluss des Klimas so stark, dass man von Klimaflucht reden kann? Wir haben keine allgemein gültige beziehungsweise akzeptierte Definition des "Klimaflüchtlings". Nach Zahlen des Internal Displacement Monitoring Center (das IDMC sammelt Daten zu Vertreibung und Flucht innerhalb von Ländern) kommen im Jahr mehr als 20 Millionen Menschen dazu. Rechnet man das zurück, vergleicht es mit den Zahlen des UNHCR von weltweit gut 68 Millionen Flüchtlingen, geht das natürlich nicht auf. Das liegt auch daran, dass ein erheblicher Teil dieser 20 Millionen bald an ihre Heimstätten zurückkehrt oder Leute als vertrieben registriert werden, obwohl sie bei Naturkatastrophen zuhause in ihren zerstörten Häusern bleiben.

Muss man also bei der Definition von Klimaflucht kapitulieren?

Die Trennschärfe ist das Problem. Ich würde wie einige Kollegen und Kolleginnen argumentieren: Vielleicht sollten wir in der politischen Diskussion weg vom Kriterium "klimabezogen". Denn was bringt uns das, und vor allem - was bringt es den betroffenen Menschen? Sollten wir nicht eher hantieren mit neuen Kategorien wie "menschliche Sicherheit", also ob ein bestimmtes Niveau der Sicherheit für die Menschen unterschritten wird.

Wo Leben und Gesundheit bedroht sind, egal wodurch?

Ja, egal ob das im Zusammenhang mit Klimawandel und anderen Faktoren geschieht, ob der Klimawandel dabei dominant war - wenn sich das überhaupt so leicht messen ließe. Wir sollten uns andere Kriterien überlegen, um Menschen besseren Schutz zu geben. Kategorien, die weit über die der Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehen. Ein Ziel wäre auch, zu einer anderen Haltung zu Migration zu kommen. Durch den Globalen Migrationspakt etwa, wo wir anerkennen, Migration ist per se nicht negativ und nicht positiv. Wir müssen sie akzeptieren als etwas, was Menschen eben tun, und positive Aspekte fördern, negative minimieren. Wenn wir zu so einer Mentalität weltweit kommen würden, wäre es nicht schlecht.

Und was ist nun an der Katastrophenszenarien, dass Zigmillionen Leute in Europa ankommen aus Afrika und Südasien?

Dass der Klimawandel Einfluss hat auf das Migrationsverhalten können wir mit Sicherheit beobachten. Diese Bewegungen spielen sich aber meist innerhalb ihrer Weltregion ab, Westafrika, Südasien. Dass Klimawandel Einfluss hätte auf größere Migrationsbewegungen über größere Distanzen, etwas von Ostafrika nach Europa, müssen wir noch genauer anschauen. Aber insgesamt ist nicht zu erwarten, dass der Klimawandel in den nächsten Jahren eine gigantische Flüchtlingsbewegung auslösen wird.

Meist treffen Naturkatastrophen und Klimawandel jene, die schon arm sind, in wenig geschützten Umständen leben, ohne Mittel zur Flucht.

Der Zusammenhang von Klimawandel und Migration ist zum größten Teil eine Armutsproblematik. Hauptbetroffene sind kleinbäuerliche Haushalte, Viehnomaden, Fischer, auch städtische Arme. Viele Großstädte etwa in Afrika, wie Dakar, Lagos, Accra, Mombasa, liegen am Meer. Da gibt es heute schon eine Flutproblematik, dazu kommt schlechte Infrastruktur. Das ergibt ein riesiges Problem. Deshalb müsste man die Armutsproblematik als Wichtigstes in der internationalen Politik diskutieren - was machen wir mit der "Bottom Billion", dem ärmsten Teil der Menschheit?

Und, was machen wir?

In der Debatte um Klimawandel und Migration wird gerade ein Konzept in der Wissenschaft viel diskutiert - Mobilität als Anpassungsstrategie. Wir tun ja meist, als wäre Migration grundsätzlich ein Problem. Aber die Leute nutzen Mobilität auch, um sich an Folgen des Klimawandels anzupassen. Die Migration, die im Kontext von Klimawandel schon stattfindet, ist saisonale oder zirkuläre Arbeitsmigration. Leute gehen in die kommerzielle Landwirtschaft, in den informellen Sektor der Städte, um eine Zeitlang Geld zu verdienen und heimzuschicken. So können sie auch Folgen des Klimawandels wie Ernteverluste und Wasserknappheit ein Stück weit kompensieren. Es besteht hier aber natürlich eine Gefahr, wenn man sagt: Ach ja, es gibt den Klimawandel, doch die Wissenschaft sagt auch, dass die Menschen sich durch Migration anpassen können. Denn dann ist die Verantwortung des globalen Nordens natürlich wieder raus aus der Diskussion, und es befördert eine neo-liberale Sichtweise nach dem Motto "Klasse, die Menschen nehmen ihr Schicksal in die eigenen Hände". Wir sollte hier darauf achten, dass die Rechte und Lebensbedingungen von Migranten verbessert werden.

Klimawandel hin oder her, die Leute setzen sich sowieso in Bewegung?

Sorglosigkeit wäre sicherlich falsch, weil der Klimawandel real ist. Aber das Horrorszenario der Klimaflüchtlinge, die millionenfach kommen, wird in absehbarer Zeit nicht so aufgehen. Welche Folgen der Klimawandel haben wird, etwa Konflikte um Wasser in einzelnen Regionen, die dann Fluchtbewegungen auslösen, wissen wir einfach nicht, muss man seriöser Weise sagen. Es ist erschütternd, was sich Kollegen und Kolleginnen da in der Vergangenheit geleistet haben. Die bis heute beliebteste Prognose, und nicht tot zu kriegen, sprach von 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis Mitte des 21. Jahrhunderts. Das stammt von 1995, als die Klimawissenschaft noch nicht so weit war. Was man da als Grundannahmen ansetzte, ist geradezu hanebüchen. Aber die Zahl wird immer wieder benutzt, auch von Ministerien und internationalen Institutionen.

Wo setzt man da als Forscher an?

Wir diskutieren heute Fragen, wie sich etwa das Konzept von Migration als Anpassung definieren lässt. Wir suchen Finanzierung für Forschungen, die hinausgehen über den Ansatz "Kommen die Klimaflüchtlinge oder nicht". Wir sagen, bei den großflächigen internationalen Wanderungen spielt Klimawandel nicht die ganz große Rolle, aber welche Rolle spielt er denn? Und in der Politikberatung versuchen wir zu bewirken, dass wir von dem alarmistischen, leicht apokalyptischen Narrativ der Millionen Klimaflüchtlinge wegkommen und die wichtigeren Fragen anstoßen wie Armut oder sogenannte "trapped populations".

Hunger wächst

Der Klimawandel untergräbt laut den Vereinten Nationen den globalen Kampf gegen Hunger und Armut. Viele Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte auf dem Weg zu einer gerechteren Welt drohten zunichtegemacht zu werden, heißt es in einem am Dienstag (Ortszeit) in New York veröffentlichten UN-Bericht. Die Regierungen müssten sich entschlossener dem Kampf für ein besseres Leben widmen, forderte UN-Generalsekretär Antònio Guterres. Der Bericht nennt UN-Erfolge und Rückschläge bei der Erreichung der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele. Der Klimawandel beeinträchtige natürliche Lebensräume alarmierend. Die vergangenen vier Jahre seien die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen. Extreme Wettersituationen, Naturkatastrophen und der Kollaps von Ökosystemen verursachten Lebensmittelknappheit, Armut und Fluchtbewegungen. Hunger stelle nach langem Rückgang wieder ein wachsendes Problem dar. Die UN betonen, dass der Kampf gegen den Klimawandel den Menschen direkt großen Nutzen beschere. epd

Die zu arm sind um zu migrieren?

Ihnen ergeht es gewöhnlich viel schlimmer als denen, die mobil sein können. Und das ist ein Großteil der Bevölkerung im globalen Süden, besonders arme Kleinbauernhaushalte, Viehnomaden, die ihr Vieh verloren haben. Das ist ein riesiges Problem, lässt sich aber nicht so gut verkaufen, weil es nicht zum Schreckbild der Flüchtlingswelle passt.

Es liegt mit an der Kommunikation, wie Klimaflucht öffentlich behandelt wird?

Ja, jeder denkt intuitiv in Automatismen: Die Wüste kommt, die Flut kommt, die Menschen müssen weg. Die Botschaft, dass alles komplexer ist, wirkt da nicht so sexy.

Andere Kommunikationsprobleme?

Beim Zusammenhang von Armut und Migration lässt sich beobachten, dass Migration erst dann richtig einsetzt, wenn ein Land sich entwickelt von einem besonders armen Entwicklungsland in Richtung mittlere Einkommen. Dann steigt Migration an. Das läuft der Grundannahme zuwider, dass Bekämpfung von Armut Migration unterbindet. Was ja erst mal logisch erscheint, dass Leute sich fragen: Warum soll ich migrieren, wenn die Löhne in meinem Land steigen? Aber die empirische Erkenntnis ist: Auf den Weg nach Europa macht sich nicht der Kleinbauer aus Burkina Faso, der ist zu arm dafür.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2019
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