Flucht und Untergrund:Dann waren sie weg

Neue Erkenntnisse über das Abtauchen des NSU in den Untergrund und seine engsten Helfer.

Von tanjev Schultz und Annette Ramelsberger

Sein Auto gab Ralf Wohlleben bereitwillig her. Es war der 26. Januar 1998, jener Tag, an dem Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vor der Polizei flohen und fortan im Untergrund lebten. Die Polizei hatte in einer von Zschäpe angemieteten Garage in Jena Sprengstoff und rechtsextremes Propagandamaterial gefunden. Böhnhardt verschwand und verständigte seine Freunde. Er wisse nicht mehr, wer damals zu ihm kam, sagt Wohlleben vor Gericht. Jedenfalls stellte er sofort seinen weißen Peugeot zur Verfügung. "Es ging darum, vorerst die Stadt zu verlassen. Es war üblich, sein Auto an Freunde zu verleihen." Ihm sei das auch deshalb leichtgefallen, weil er dafür im Gegenzug für eine Weile Uwe Böhnhardts Wagen bekommen habe.

Das Trio türmte also - und wäre offenbar beinahe von der Polizei geschnappt worden. Telefonisch will Wohlleben von einem der Uwes erfahren haben, dass sie in Hannover unterwegs gewesen und auf der Reise von der Polizei kontrolliert worden seien. Die Beamten hätten sie aber laufen lassen. Diese Episode ist neu. Stimmt sie, hätte die Polizei eine weitere Gelegenheit verpasst, das Trio gleich nach dem Untertauchen und noch weit vor Beginn der Mordserie zu fassen. Vermutlich wird nach all den Jahren nicht mehr aufzuklären sein, wann und wo genau die Kontrolle gewesen sein soll.

Es gab ein System der Telefonzellen

Dass das Trio nach Hannover fuhr, ist indes plausibel. Dort lebte ihr treuer Freund Holger G., der im NSU-Prozess ebenfalls wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt ist. Die Geschichte mit Wohllebens Auto geht aber noch weiter: Der Wagen muss irgendwann gestreikt haben. Ob das bereits am Tag der Flucht war oder später, ist nicht klar. Die Uwes informierten Wohlleben, sein Wagen sei mit einem Defekt liegen geblieben. Tatsächlich fand er ihn in Sachsen an einem Feldweg mit einem mutmaßlichen Getriebeschaden. Die Kennzeichen hätten im Auto gelegen, die Schlüssel auf dem Hinterrad. Gemeinsam mit einem Freund schleppte Wohlleben den Peugeot zu einer Tankstelle. Dort ließ er ihn später von einem weiteren Kameraden abschleppen. Dieser Mann war ein Informant des Thüringer Verfassungsschutzes, meldete der Behörde damals aber zunächst nichts von dem Vorfall. Erst später gab er zu, als Abschlepphelfer für das Fluchtfahrzeug unterwegs gewesen zu sein.

Derweil richteten sich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in Chemnitz ein, wo ihnen weitere Helfer aus der rechten Szene einen Unterschlupf besorgten. In einer Altbauwohnung, so erinnert sich Wohlleben vor Gericht, habe er die drei wiedergesehen. "Was genau gesprochen wurde, erinnere ich ebenso wenig wie den Zeitraum, den ich dort verbracht habe." Im Gedächtnis habe er lediglich die kleine Wohnung.

Auch an die ersten telefonischen Kontakte mit den Untergetauchten habe er keine Erinnerung mehr, sagt der ehemalige NPD-Funktionär. "Ich weiß noch, dass es ein Telefonzellen-System gab." Man rief eine Nummer an und bekam so Aufträge und Hinweise für weitere Kontakte. Er wisse noch, dass er mehrmals die Mutter von Mundlos aufsuchen sollte, sagt Wohlleben, "mit welchen Anliegen weiß ich nicht mehr". Er habe mal mit Böhnhardt, mal mit Mundlos telefoniert; und auch mit einer ihm unbekannten männlichen Person. An Telefonate mit Zschäpe könne er sich nicht erinnern.

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