Vorweg die Enttäuschung: Migration ist komplex, einfache Lösungen gibt es nicht. Vielmehr sind es kleine Puzzleteile und Stellschrauben, an denen die Politik drehen kann. Über einige davon wird gerade eifrig diskutiert. Eine Übersicht über die wichtigsten Begriffe.
Sichere Herkunftsländer
Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, mehr Länder als bisher als sogenannte sichere Herkunftsländer einzustufen. Asylbewerber aus solchen Ländern, in denen es nach Einschätzung der Regierung wegen eines "demokratischen Systems und der allgemeinen politischen Lage" keine politische Verfolgung gibt, kann Deutschland schneller ablehnen und abschieben. Eine individuelle Prüfung bleibt bei jedem Asylgesuch dennoch Pflicht. Als sichere Herkunftsstaaten ist bislang nur eine kleinere Zahl von Ländern eingestuft. Neben denen der Europäischen Union zählen dazu Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Nordmazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Die Ampel-Koalition hat die Liste nun um Georgien und Moldau erweitert. Allerdings kamen zuletzt nur vier bis fünf Prozent der Geflohenen aus diesen Ländern. Der Effekt fällt also eher gering aus. Streit gibt es in der Regierung nun darüber, ob auch Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsländer gelten sollen. Die FDP fordert dies, die Grünen lehnen es mit Verweis auf die Menschenrechte ab, weil etwa in Tunesien Oppositionelle inhaftiert werden. Die SPD hat sich in der Frage noch nicht festgelegt.
Grenzkontrollen und Schleierfahndung
Innerhalb der Europäischen Union ist es den EU-Bürgern eigentlich möglich, ohne Grenzkontrollen zu reisen. Länder dürfen nach dem Schengener Grenzkodex von dieser Regel nur in Ausnahmefällen und auch nur vorübergehend abweichen - etwa, wenn ihre innere Sicherheit oder öffentliche Ordnung ernsthaft bedroht sind. Auf diese Ausnahme beruft sich Deutschland bereits an der Grenze zu Österreich. Dort wurden temporäre stationäre Grenzkontrollen eingeführt, um illegale Einreisen über die Balkanroute zu verhindern. Diese Kontrollen werden vom Bundesinnenministerium bei der EU-Kommission angemeldet und jeweils verlängert. Ähnliches will Innenministerin Faeser nun auch an der Grenze zu Polen vorbereiten, weil sich die Schleuserroute dorthin verlagert hat. Die Zahl der von der Bundespolizei aufgegriffenen Flüchtlinge war dort stark gestiegen. Grenzkontrollen haben das Ziel, Flüchtende bereits an der Grenze abweisen zu können. Zudem sollen sie die Transitländer unter Druck setzen, ihrerseits stärker zu kontrollieren, weil sie sonst für die Asylverfahren zuständig würden. Mit der sogenannten Schleierfahndung kann die Bundespolizei die Identität einer Person überprüfen - anlass- und verdachtsunabhängig, im Grenzgebiet "bis zu einer Tiefe von dreißig Kilometern", wie es im Bundespolizeigesetz heißt. Immer wieder wird daher diskutiert, wie vereinbar diese Kontrollen mit dem Schengen-Abkommen sind. So dürfen die EU-Länder zwar auf ihrem Staatsgebiet Kontrollen durchführen, die wiederum dürfen aber nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben.
Geld- oder Sachleistungen
Politiker von Union und FDP wollen Flüchtlinge vermehrt mit Sach- statt Geldleistungen versorgen. So schlägt Markus Söder (CSU) vor, dass abgelehnte Asylbewerber Chip-Karten zum Einkaufen und kein Bargeld mehr erhalten. An einer solchen Lösung werde bereits gearbeitet, sagte Söder am Sonntag in der Talkshow von Anne Will. Auch die FDP spricht sich in einem Präsidiumsbeschluss bundesweit dafür aus, Asylbewerbern nur noch eine Bezahlkarte zu geben. Der Gedanke dahinter: Wer in Deutschland kein Bargeld erhält, kann es nicht in sein Heimatland überweisen - und hätte weniger Anreize, sich überhaupt auf den Weg zu machen. Vertreter der Kommunen sehen eine solche Regelung skeptisch, sie befürchten einen hohen bürokratischen Aufwand. Asylbewerber, deren Antrag noch geprüft wird, erhalten Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das sieht für Alleinstehende derzeit 410 Euro vor. Davon entfallen 228 Euro auf notwendigen Bedarf wie Kleidung, Ernährung oder Unterkunft, 182 Euro sind als Taschengeld vorgesehen.
Obergrenze
Forderungen, Zuwanderung in geordnete Bahnen zu lenken, landen am Ende oft beim Ruf nach Begrenzung, in unterschiedlichen Abwandlungen. Starr, in Form einer Obergrenze, wie bei Ex-CSU-Chef Horst Seehofer, der sie einst auf 200 000 festlegen wollte. Oder eher flexibler, wie es Schlagworte wie "Richtwert" oder "atmender Deckel" versprechen. Markus Söder versucht, beides zu kombinieren: Er bringt eine "Integrationsgrenze" von 200 000 Menschen ins Spiel, die aber gleichsam als Richtwert gelten solle. Angenommen werden darf, dass es sich bei den unterschiedlichen Begrenzungsarten immer auch um ein Symbol handelt, eine Art Stopp-Signal nach innen und außen. Migrationsexperten wie Victoria Rietig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik glauben denn auch, dass der praktische Effekt gegen null gehe, wie sie am Sonntag in der ARD sagte.
Individuelle Prüfung von Asylanträgen
Vor allem bei starren Obergrenzen stellt sich die Frage: Was passiert mit Flüchtling 200 001, wenn die Deckelung bei 200 000 Menschen greifen soll? Immer wieder taucht daher der Vorschlag auf, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen. Das wäre theoretisch möglich. Doch es gibt eine weitere Hürde: das Gebot des sogenannten Non-Refoulement. Das verbietet, Menschen in ein Land auszuliefern, in dem ihnen Folter, unmenschliche Behandlung oder schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Selbst, wenn ein Geflüchteter keinen Anspruch auf Asyl hat, kann er also nicht einfach in einen Verfolger- oder Drittstaat ausgewiesen werden, wenn zu befürchten ist, dass das Refoulement-Verbot dabei missachtet wird. Ein Anspruch, der sich auch aus dem Völkerrecht ableitet und an den Deutschland etwa durch die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden ist. Solange sich also weiter Menschen auf den Weg machen, dürften an den Grenzen weiter individuelle Prüfungen notwendig sein.
Migrationsabkommen
Seit Februar dieses Jahres ist der FDP-Politiker Joachim Stamp Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen. Stamp soll Vereinbarungen mit Herkunftsländern abschließen, damit diese ihre Landsleute zurücknehmen, wenn sie in Deutschland kein Bleiberecht haben. Zwar habe die Bundesrepublik "eine ellenlange Liste von Rückführungsabkommen, die aber in der Praxis alle nicht funktionieren, weil die Länder nicht wirklich etwas davon haben", sagte Stamp im Mai in einem Podcast der Bundesregierung. Viele Staaten seien darauf angewiesen, dass Menschen beispielsweise in Deutschland Geld verdienten oder Sozialtransfers erhielten und davon einen Teil in ihre Heimatländer überweisen. Die Frage ist also, wie man Partnerländer vom Mitmachen überzeugt. Fachleute bringen dafür zum Beispiel Visa-Erleichterungen ins Spiel. Berichten zufolge verhandelt die Bundesregierung derzeit mit Georgien, Moldau, Usbekistan und Kirgisistan über Migrationsabkommen, mit Kenia und Marokko liefen Gesprächsvorbereitungen. Im kommenden Jahr könnten Gespräche mit der kolumbianischen Regierung beginnen. Auf EU-Ebene soll ein Pakt mit Tunesien die Zahl der Flüchtlinge, die übers Mittelmeer kommen, verringern, der Deal mit der Türkei gilt als gescheitert.
Rückführung
Im ersten Halbjahr 2023 hat Deutschland etwa ein Viertel mehr Menschen abgeschoben als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Zwischen Januar und Juni dieses Jahres waren es 7861 Menschen. Zwei von drei Abschiebungen scheitern allerdings, etwa weil die Betroffenen Widerstand leisten, Piloten oder Fluggesellschaften sich weigern oder die Bundespolizei die Übernahme verweigerte. Bundesinnenministerin Nancy Faeser plant daher, das Abschieberecht zu verschärfen, Behörden und Polizei sollen bei der Rückführungen mehr Befugnisse erhalten.
Gemeinsames Europäisches Asylsystem (Geas)
Es soll sicherstellen, dass Menschen, die in Europa Asyl beantragen, überall nach gleichen Standards behandelt werden. Außerdem enthält es Regeln für die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Das bekannteste der fünf Rechtsinstrumente der Geas ist die Dublin-Verordnung. Demnach müssen geflüchtete Menschen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - in dem europäischen Mitgliedstaat um Asyl nachsuchen, den sie zuerst betreten haben. Um zu prüfen, ob ein Migrant bereits anderswo Asyl beantragt hat, wurde ein System zum Vergleich von Fingerabdrücken eingeführt, kurz Eurodac. Spätestens seit der Migrationskrise der Jahre 2015 und 2016 ist klar, dass "Dublin" nicht funktioniert. Staaten an den Außengrenzen der EU wie Italien und Griechenland fühlen sich überlastet und lassen Migranten weiterziehen, ohne sie zu registrieren. Deshalb entfällt fast ein Drittel aller in der EU gestellten Asylanträge auf Deutschland. Alle Versuche, die geflüchteten Menschen fair unter den Mitgliedstaaten aufzuteilen, sind bislang gescheitert.
Krisenverordnung
Sie ist der letzte Baustein der großen Geas-Reform, die gerade zwischen dem Europaparlament und dem Rat der Mitgliedstaaten verhandelt wird. Sie sieht Regeln für den Fall vor, dass Staaten überlastet sind von der Migrationssituation - zum Beispiel, wenn Migranten von anderen Staaten "instrumentalisiert" werden, um die EU unter Druck zu setzen. Im Krisenfall sollen die Rechte der Geflüchteten noch einmal massiv eingeschränkt werden. Fast alle ankommenden Menschen könnten dann bis zu 40 Wochen in Lagern festgehalten werden. Die Mitgliedstaaten haben sich bislang nicht auf eine gemeinsame Position zur Krisenverordnung einigen können, weshalb nun die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament über das Paket ganz gestoppt wurden. Maßgeblich ist es die deutsche Regierung, die eine Einigung blockiert. Bislang begründeten die Grünen ihren Widerstand damit, sie wollten die Asylbewerber nicht weiter entrechten. Nun verweist Außenministerin Annalena Baerbock auf die Gefahr, die Krisenverordnung öffne den Staaten an der Grenze wieder mehr Möglichkeiten, Migranten unregistriert weiterzuschicken. Die Hauptlast werde dann Deutschland tragen.