Süddeutsche Zeitung

Flucht:Hoffnung am Handgelenk

Warum Schleuser in Mexiko Migranten Armbänder umlegen.

Von Christoph Gurk

Über 1000 Kilometer trennen die USA von Zentralamerika, ein weiter Weg für Migranten aus Honduras, Guatemala, El Salvador oder noch weiter entfernten Ländern - und ein gefährlicher noch dazu: Es lauern Kidnapper, Räuber, korrupte Polizisten und giftige Tiere. Wer sich diesen Strapazen aussetzt, hat oft keine andere Wahl und nimmt auch nur das Nötigste mit: Einen Pulli, Wasser, vielleicht noch einen Kamm, einen Rosenkranz oder die Bibel.

Umso rätselhafter ist es darum für US-Behörden, dass Beamte seit ein paar Monaten immer öfter Menschen aufgreifen, die bunte Armbänder tragen, ganz ähnlich denen, die auch bei Musikfestivals als Ersatz für Eintrittskarten eingesetzt werden.

Experten glauben, dass den Plastikstreifen an den Handgelenken der Migranten ein ähnlicher, wenn auch weitaus gruseliger Gedanke zu Grunde liegt. Denn nur die wenigsten Menschen ziehen heute noch auf eigene Faust Richtung USA. Die meisten buchen stattdessen die Dienste von skrupellosen Schmugglern, die von der Not der Menschen profitieren und deren Service von einfachem Transport bis hin zu angeblichen Rundum-Sorglos-Paketen reicht.

Polizisten halten die Hand auf, Drogenbanden fordern Wegzoll

Längst ist so ein blühendes Business entstanden, mit einem jährlichen Umsatz zwischen vier und sechs Milliarden Dollar, an dem gleichzeitig eine ganze Reihe von Akteuren mitverdienen will: Polizisten halten die Hand auf, Drogenbanden fordern Wegzoll.

Menschenschmuggler müssen daher darauf achten, dass niemand ihre Dienste nutzt, der nicht auch dafür bezahlt hat. Doch das wird immer schwieriger, je größer die Nachfrage wird. Die Armbänder, so vermuten Experten, könnten den Schmugglern dazu dienen, Gruppen in Kategorien einzuteilen, je nach gebuchtem Service. Dazu könnten sie Drogengangs auch signalisieren, dass die Träger der Plastikstreifen schon für die Durchfahrt bezahlt haben und darum nicht ausgeraubt oder entführt werden dürfen.

Für die These der Experten spricht, dass das Auftreten der Armbänder zusammenfällt mit einem starken Anstieg bei der Zahl der Menschen, die versuchen, ohne Papiere in die USA zu gelangen. Das liegt zum einen am Politikwechsel in Washington: Kaum im Amt, hat US-Präsident Joe Biden den Bau jener Mauer an der US-Südgrenze gestoppt, den sein Vorgänger Donald Trump in Auftrag gegeben hatte. Dazu werden nicht mehr alle Männer, Frauen und Kinder kategorisch abgelehnt.

Neben der Politik in Washington dürfte der Haupttreiber der Migration aber weiterhin die Not sein, die in vielen Ländern Zentralamerikas herrscht. Vergangenes Jahr kamen zu brutaler Ganggewalt und omnipräsenter Korruption auch noch die Folgen von Pandemie, Dürren und Wirbelstürmen.

Alleine im Februar dieses Jahres wurden so 100 000 Menschen an der Grenze zu den USA aufgegriffen. Während die US-Behörden noch versuchen, sich auf all die Menschen vorzubereiten, die sich auf den Weg zu ihnen machen, scheinen die Menschenschmuggler schon einen Schritt weiter zu sein, mit besseren Verstecken, ausgeklügelteren Routen, aber auch teureren Preisen und eben Armbändern, um festzustellen, wer schon bezahlt hat und wer nicht.

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