Florida:Das schwächste Glied der Kette

Gangster in Key Largo und Ernest Hemingway - die Florida Keys sind ein romantischer Mythos, doch die Mystik der 290 Kilometer langen Inselgruppe ist inzwischen extrem bedroht.

Von Jan Heidtmann

Schaut man sich eine Karte der USA an, dann sind die Keys der eindeutig fragilste Teil des Landes. Wie der aufgeribbelte Faden eines Pulloversaums hängt die Inselkette am Südzipfel von Florida. Wer hier während des Hurrikans Irma ausharre, für den werde es "extrem schwer sein, zu überleben", warnte Floridas Gouverneur Rick Scott am vergangenen Wochenende. "Euer Haus können wir nach einer Sturmflut wieder aufbauen, eure Familie nicht." Scotts Aussagen erschienen schon beim Blick auf die Karte schrecklich plausibel.

Key Largo ist die erste befahrbare Insel der Florida Keys, den Endpunkt der 290 Kilometer langen Inselgruppe markiert ein konischer schwarz-rot-gelb gestreifter Betonklotz. "Southernmost Point Continental USA" steht darauf, der südlichste Punkt der Festland-USA; von hier auf Key West sind es gerade einmal 90 Meilen bis nach Kuba. Was vor allem auch immer umgekehrt galt und deshalb regelmäßig ein Anziehungspunkt für Bootsflüchtlinge aus dem sozialistischen Inselstaat war. Havanna liegt hier näher als Miami, auch das prägt das Leben auf den Keys.

Zusammengehalten werden die mehr als 200 Inseln vom Highway 1, der kurz hinter Florida City das Festland Amerikas verlässt und über 42 Brücken bis nach Key West reicht. Wenn es gut geht, ist die Strecke Miami-Key West in drei Stunden zu schaffen. Zwischen Florida City und Key Largo warnen Straßenschilder noch vor kreuzenden Krokodilen aus den nahen Everglades, dann säumen Mangrovenwälder die Straße, bis man schließlich auf der Seven Mile Bridge das Gefühl hat, über das offene Meer direkt durch den Atlantik in Richtung des Golfs von Mexiko zu fahren.

In ihrem Selbstverständnis sahen sich die rund 70 000 Bewohner der Inseln immer etwas abseits der USA, bis in die 1970er-Jahre waren sie ein Refugium für Künstler, Millionäre und Aussteiger. Darunter auch halbseidene Gestalten, wovon nicht zuletzt John Hustons Film "Gangster in Key Largo" zeugt. Humphrey Bogart, Lauren Bacall und Edward G. Robinson geraten hier in die Fänge des Gangsterbosses Johnny Rocco; im Hintergrund zieht ein Hurrikan auf. Diese abenteuerliche Stimmung war es wohl auch, die den Schriftsteller und Journalisten Ernest Hemingway nach Key West brachte. Von 1928 an lebte er mehrere Jahre auf der Insel und schrieb unter anderem "Wem die Stunde schlägt".

Von dem Mythos der Keys ist einiges geblieben: In Key West wurde aus dem Wohnhaus Hemingways ein Museum gestaltet, die Bar, in der ein Teil des Films "Gangster in Key Largo" spielt, besteht noch als schlichte Billardkneipe. Das Mythische der Keys jedoch hat in den letzten Jahren verloren. Heute reihen sich teure Hotels aneinander, ständig wird irgendwo neu gebaut und Key West wird an Wochenenden regelmäßig von einer feierwütigen Meute überrannt. Im Unterschied zum nahen Miami, das stark von Menschen aus Kuba, Venezuela, Kolumbien und Haiti geprägt wird, sind die Keys weitgehend weiß. Sie sind republikanisches Heimatland, ältere Männer auf neuen Harleys kommen gerne zu Besuch, in fast jeder Juke Box ist der Song "Sweet Home Alabama" von der Südstaatenband Lynyrd Skynyrd zu finden.

Wie prekär ihre Lage im wahrsten Sinne des Wortes ist, das erfahren die Bewohner der Keys regelmäßig. Mehrmals im Jahr werden die Inseln überflutet, doch seit einiger Zeit nehmen die King Tides zu, Sturmfluten wie die im Oktober 2015: Straßen und Häuser standen tagelang unter Wasser. Hinzu kommt, dass der Meeresspiegel steigt, die Inseln selbst sind im Durchschnitt aber nicht höher als ein Meter. Das Wasser kommt nicht nur von der Seite, sondern auch von unten: Die Keys ruhen auf einem Korallenriff und dieser Kalkstein ist sehr porös. So wird nach und nach das Grundwasser versalzen. Auf Big Pine Key, einer der größten Inseln, sind bereits jetzt nur noch die kümmerlichen Reste eines prächtigen Mischwalds zu sehen. Gleichzeitig erreicht der Immobilienmarkt immer neue Höhen - gerade Meergrundstücke sind besonders gefragt.

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