Süddeutsche Zeitung

Florian Schmidt:In Kreuzberg laufen die Sachen anders

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Berliner Grünen-Politiker sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Vordergründig geht es um manipulierte Akten.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Wenn das große Spiel vorbei ist, dann beginnt das Auslaufen. Die Herzfrequenz sinkt, die Muskulatur wird locker, die Atmung ruhig. So war es auch, als Berlins Abgeordnete an diesem Mittwochnachmittag zu ihrem wichtigsten Tagesordnungspunkt kamen: Florian Schmidt. Der Baustadtrat der Grünen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist der prominenteste Kommunalpolitiker der Hauptstadt und auch der umstrittenste. Ein "Mini-Robin-Hood", wie der Regierende Bürgermeister ihn spöttisch nennt, ein "Ausnahmepolitiker", wie es bei den Grünen heißt. Er selbst nennt sich einen "Aktivisten im Amt".

Die gesamte Opposition und selbst der Koalitionspartner, die SPD, ließen in den Tagen zuvor ein Sturmgewitter auf Schmidt niedergehen. CDU und FDP stellten Strafanzeige, die SPD formulierte ein Ultimatum, allesamt drohten sie wahlweise mit einem Sonderermittler oder einem Untersuchungsausschuss. Im Vergleich dazu ging es bei dem Stelldichein um kurz nach 17 Uhr geradezu gesittet zu. Akten wurden verlesen, Fragen ruhig gestellt.

Nur, nach dem Spiel ist ja bekanntermaßen vor dem Spiel: Im kommenden Jahr wird in Berlin gewählt und der Fall Florian Schmidt hat das Zeug zum Wahlkampfschlager. "Es besteht der begründete Anfangsverdacht, dass es sich um einen größeren Immobilienskandal in Friedrichshain-Kreuzberg handelt", meint der CDU-Abgeordnete Christian Goiny. Anders gesagt: Florian Schmidt zu Fall zu bringen, wäre eine ordentliche Trophäe. Für die Opposition, aber auch für die SPD - die Umfragewerte der Sozialdemokraten sind heftig gesunken, während die der Grünen seit Antritt der rot-rot-grünen Koalition 2016 massiv gestiegen sind. Die SPD muss bei der Wahl um das Amt des Regierenden Bürgermeisters fürchten.

Vordergründig geht es um den Vorwurf, der Baustadtrat habe Akten manipuliert. In der Bezirksverordnetenversammlung hatten Vertreter der SPD-Fraktion in der vergangenen Woche bemerkt, dass mit den Unterlagen zu einer Wohnungsgenossenschaft, die zu Schmidts Amtsgeschäften gehört, etwas nicht stimme. Es fehlten Seiten, die Paginierung sei unvollständig gewesen. Schmidt soll das vor den mehr als 30 Anwesenden auch eingestanden haben.

Ein Stadtrat hat zwar das Recht, bestimmte Unterlagen zurückzuhalten, er muss es aber gut begründen können, zum Beispiel, weil die Rechte Dritter betroffen sind. Und er muss das deutlich machen, bevor er die Akten vorlegt. Beides ist nicht geschehen. Wirklich brisant war aber die Begründung, die Schmidt stattdessen vorgetragen haben soll: Die Akten könnten von der Opposition "instrumentalisiert" und von den Medien zur "Agitation" verwendet werden. Denn in den Unterlagen geht es auch um die Finanzierung der Genossenschaft "Diese eG", die gerüchtweise kurz vor der Insolvenz gestanden haben soll.

"Wenn das seine Geisteshaltung ist, dann hat er ein Demokratieproblem", sagt der Vorsitzende der SPD-Bezirksfraktion Harald Georgii. Der Chef der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja, geht einige Schritte weiter und twitterte, Schmidts Verhalten sei "eventuell kriminell und korrupt"; Berlins Regierender Bürgermeister spricht von "weitreichenden, sehr schwerwiegenden Vorwürfen". Am vergangenen Dienstag stellten CDU und FDP Strafanzeige gegen den Baustadtrat.

In Schmidts Büro hängt eine Karikatur, die ihn im Stile von Che Guevara zeigt

Schmidt hat sich inzwischen für seine Äußerungen entschuldigt, "sie waren misslich und unangebracht". Tatsächlich seien die Akten nicht vollständig, auch, weil in zwei Fällen die Geheimhaltung wichtig sei. Die Grünen haben den Fall geprüft und stützen ihren Baustadtrat. Schmidts Äußerungen seien nicht in Ordnung, sagt Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen, da habe er eine "große Klappe" gehabt. Akten seien jedoch nicht manipuliert worden. Kapek begrüßt, dass der Landesrechnungshof den Fall nun prüfen werde; nächste Woche soll damit begonnen werden.

Dass es zu diesem Ausbruch kam, liegt auch an Florian Schmidt selbst. Und an einer mindestens unkonventionellen Konstruktion, mit der er Mieter vor dem Verkauf der Wohnungen an Immobilienkonzerne schützen will, der "Diese eG". Schmidt, 44, hat Soziologie studiert. Bevor er 2016 Baustadtrat wurde, engagierte er sich als Aktivist für bezahlbaren Wohn- und Kulturraum. Noch heute hängt in seinem Büro eine Karikatur, die ihn im Stile des argentinischen Revolutionärs Che Guevara zeigt. "Ich finde es wichtig, dass viele Leute merken: Der Mann meint es ernst, in Kreuzberg laufen die Sachen anders", sagte er kürzlich dem Sender rbb. Sein Vorbild dafür ist Barcelona, wo er eine Zeitlang lebte, Schmidt war dabei, als die Bürgerplattform Comú der aktivistischen Bürgermeisterin Ada Colau gegründet wurde.

Für seine Arbeit als Stadtrat bedeutet dies, dass er seinen Bezirk im Kern verändern will. Friedrichshain-Kreuzberg soll das Labor der Verkehrswende sein, Autos sollen weitgehend verbannt und großflächig Freiräume für Fußgänger und Fahrradfahrer geschaffen werden. Der andere Teil seiner Agenda ist die Wohnungs- und Mietenpolitik. Um Immobilien dem Markt zu entziehen, setzt Schmidt immer wieder das Vorkaufsrecht der Bezirke ein, häufiger als andere Stadträte. Die Radikalität, mit der Schmidt dabei vorgeht, machte ihn für die Grünen zum Vorzeigepolitiker und für die Opposition zur leichten Angriffsfläche. "Legal, illegal, scheißegal", dieser alte Kreuzberger Spruch präge sein Denken, sagen Schmidts Kritiker, zu denen jetzt auch offen einige Sozialdemokraten gehören. Ein Teil von Schmidts Politikstil sei "ein gewisses Freund-Feind-Denken", meint Harald Georgii.

Ein Instrument für Schmidt ist die junge Genossenschaft "Diese eG". Sie hat erfolgreich Häuser übernommen, bei denen landeseigene Wohnungsgesellschaften wegen der Rentabilitätsvorgaben nicht einspringen durften. Doch im November musste sich die "Diese eG" von einem Vorkauf zurückziehen, sie konnte ihn nicht finanzieren. Die Gründe dafür prüft nun ebenfalls der Rechnungshof. Florian Schmidt übt sich derweil in seltener Zurückhaltung. Die "Diese eG" "wird sich jetzt konsolidieren" und vorerst keine weiteren Häuser kaufen.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2020
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