Oder:Ärger, so weit das Auge reicht

Oder: "Die Oder braucht dringend eine Kur", sagt ein Experte: Das große Fischsterben im vergangenen August könnte sonst nicht das letzte gewesen sein.

"Die Oder braucht dringend eine Kur", sagt ein Experte: Das große Fischsterben im vergangenen August könnte sonst nicht das letzte gewesen sein.

(Foto: Patrick Pleul/DPA)

Vier Monate nach dem Fischsterben an der Oder macht sich Umweltministerin Steffi Lemke ein Bild von der Lage. Von der Erholung, die der Fluss dringend bräuchte, fehlt jede Spur.

Von Michael Bauchmüller, Schwedt

Steffi Lemke steht hoch oben auf einem Aussichtsturm, durch ein Fernglas sieht sie ein Bild wie gemalt. Ein Seeadler hat gerade einen Schwarm Blässgänse aufgescheucht, in der Oder spiegelt sich die Sonne, und der Winter hat die Landschaft fein gepudert. Doch wohin die Umweltministerin auch schaut, sie sieht nur Ärger. Auf der polnischen Seite arbeitet ein Bagger am Fluss, an einem Seitenarm erblickt die Umweltministerin Spundwände. Nicht mehr lange, dann sollen Bagger das ganze Flussufer umbauen. "Noch hoffen wir, dass sich das verhindern lässt", sagt die Grüne und legt das Fernglas weg.

Lemke ist auf Ortsbesuch im Nationalpark Unteres Odertal, nicht weit von Schwedt. Ziemlich genau vier Monate ist es her, dass an den Ufern der Oder massenhaft tote Fische trieben. Insgesamt 360 Tonnen toter Fische wurden aus dem Fluss geborgen, das große Sterben war so plötzlich wie unerklärlich. "Allein in unserem Flussabschnitt waren es 12,4 Tonnen", sagt Nationalpark-Chef Dirk Treichel. "12,4 Tonnen! Das ist gigantisch." Zwar sei der Fluss nicht tot. "Aber er ist schwer verwundet." Und was ihn verwundet hat, das kann jederzeit wieder auftreten.

Weiterhin ist zu viel Salz im Fluss. Woher es stammt, wird noch ermittelt

Insgesamt sechs Mal tagte eine deutsch-polnische Arbeitsgruppe, die dem Fischsterben auf den Grund gehen sollte. "Eigentlich waren das konstruktive Gespräche", sagt Lilian Busse - die Vize-Chefin des Umweltbundesamtes leitete von deutscher Seite den Expertenstab. Am Ende einigte man sich trotzdem nicht auf einen gemeinsamen Bericht, sondern auf einen deutschen und einen polnischen. In beiden findet sich als Ursache die schlagartige Vermehrung der Goldalge. Die wiederum produzierte ein Gift, das die Fische verenden ließ.

Oder: Bundesumweltministerin Steffi Lemke lässt sich in Brandenburg im Nationalpark Unteres Odertal den Zustand des Flusswassers erklären.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke lässt sich in Brandenburg im Nationalpark Unteres Odertal den Zustand des Flusswassers erklären.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Üblicherweise kommt die Goldalge in Brackwasser vor, also am Übergang von Süß- zu Salzwasser. Ihr Entstehen, sagt Busse, sei nicht nur durch sommerliche Wärme und Niedrigwasser begünstigt worden, "sondern vor allem durch einen erhöhten Salzgehalt im Fluss".

Nur: Woher das Salz kommt, ist immer noch Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen in Polen - und, schlimmer noch, es ist immer noch da. Lemke geht durch verschneites Gras ans Ufer. Mit einer Messsonde darf sie das Oderwasser überprüfen: 1447 Mikrosiemens je Zentimeter. So wird die elektrische Leitfähigkeit des Wassers gemessen, der Wert liegt über dem Doppelten üblicher Messungen. Hohe Leitfähigkeit ist ein Hinweis auf einen hohen Salzgehalt. "Wenn sich die Bedingungen - Stichwort Salz - nicht ändern, werden wir im nächsten Sommer die nächste Katastrophe haben", sagt Nationalpark-Chef Treichel. Nur würden dann nicht mehr so viele Fische sterben, schließlich seien die meisten schon tot.

Oder: Rund zwei Drittel des Bestands gingen verloren, 360 Tonnen verendete Fische wurden aus der Oder geborgen, wie hier nahe des polnischen Widuchowa.

Rund zwei Drittel des Bestands gingen verloren, 360 Tonnen verendete Fische wurden aus der Oder geborgen, wie hier nahe des polnischen Widuchowa.

(Foto: Marcin Bielecki/dpa)

Rund zwei Drittel waren dem Sterben im vergangenen Sommer zum Opfer gefallen, dazu auch massenhaft Großmuscheln. Letztere gingen zwar buchstäblich unter, auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Für das Leben im Fluss sind sie aber unersetzlich, schon, weil sie dessen Wasser filtern. "Die Oder braucht dringend eine Kur", sagt Treichel. Zwar gebe es zum Glück vermehrt Jungfische im Fluss. "Aber wir brauchen Jahrzehnte, bis die Bestände wieder aufgebaut sind."

Brandenburg will in Polen klagen gegen den Flussausbau

Doch das schwierige Verhältnis zwischen Deutschland und Polen macht jede Erholungspause schwierig. Zu allem Überfluss pocht Warschau auf einen deutsch-polnischen Vertrag zum Ausbau der Oder und verweist auf einen angeblich besseren Schutz vor Hochwasser. Just gegenüber des Nationalparks sollen deshalb 2024 Arbeiten anlaufen, um neue Buhnen in den Fluss zu bauen. Sie würden den Fluss schneller machen und letztendlich tiefer. Das bisherige Flachwasser am Ufer, ein wichtiger Rückzugsraum für Fische, würde auf polnischer Seite verschwinden. Obendrein könnten bei den Arbeiten Sedimente aufgewirbelt werden und mit ihnen auch Giftstoffe aus längst vergangenen Zeiten.

Beim geplanten Oder-Ausbau setzt Lemke nun auch auf ihren Kabinettskollegen Volker Wissing, den Verkehrsminister von der FDP. Er ist zuständig für die Wasserstraßen und damit auch für das Regierungsabkommen. Es noch einmal aufzumachen, ist allerdings nicht einfach. Man könne nicht stur an "Sachen festhalten, die man vielleicht vor zehn Jahren beschlossen hat", sagt die Ministerin. Erst Mitte November hatte das Land Brandenburg in Polen Klage gegen den Ausbau eingereicht.

Lemke selbst ist leidenschaftliche Kämpferin für naturnahe Flüsse. Inzwischen, sagt sie, gebe es ja zumindest bei den Ursachen des Fischsterbens ein gemeinsames Verständnis. Dies sei anfangs "ein bisschen schwierig" gewesen. "Allen ist klar: Diese Alge wird nicht mehr verschwinden." Was verschwinden muss, ist das Salz im Fluss. Und am besten auch gleich der Bagger am anderen Ufer.

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