Fischer tritt ab:Machtkampf bei den Grünen

Überraschend hat der Außenminister auf eine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz verzichtet - und nicht nur das: "Ich habe Freiheit für Macht eingetauscht. Jetzt will ich meine Freiheit zurückhaben." Für die beiden Positionen an der Spitze der Fraktion gibt es nun mindestens fünf Bewerber.

Nico Fried

Politische Zäsur bei den Grünen: Nach dem überraschenden Verzicht von Joschka Fischer auf eine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz steht die Partei vor einem Machtkampf. Für die beiden Positionen an der Spitze der Fraktion gibt es mindestens fünf Bewerber, unter ihnen die amtierenden Minister Renate Künast und Jürgen Trittin.

Fischer, AP

Ein neuer Lebensabschnitt beginnt: Joschka Fischer

(Foto: Foto: AP)

Die Unionsabgeordneten wählten Angela Merkel mit 98,6 Prozent wieder zur Fraktionschefin. Die Abstimmung galt als Stimmungstest nach dem enttäuschenden Wahlergebnis. Die SPD-Fraktion bestätigte Franz Müntefering mit 95,2 Prozent im Amt des Vorsitzenden.

Fischer teilte am Dienstag mit, er wolle keine Ämter in Partei und Fraktion übernehmen. Seinen Verzicht begründete er am Rande der ersten Grünen-Fraktionssitzung mit einer notwendigen Neupositionierung seiner Partei. Nach der Bundestagswahl habe Rot-Grün keine Mehrheit mehr, daher brauchten Fraktion und Partei eine "Neuaufstellung". Mit seiner Entscheidung wolle er für die notwendige Klarheit sorgen.

Sein Bundestagsmandat nimmt Fischer aber an. In der Fraktionssitzung hatte Fischer zuvor deutlich gemacht, dass er für den unwahrscheinlichen Fall einer Ampelkoalition von SPD, FDP und Grünen als Minister zur Verfügung stehe. Fischer erweckte allerdings später vor der Presse den Eindruck, dass er einer Regierungsbeteiligung der Grünen kaum noch Chancen gibt.

Fischer sprach von einer persönlichen Entscheidung, die für ihn auch eine "Zäsur" bedeute. Damit gehe ein 20-jähriger Lebensabschnitt zu Ende. Ohne Details zu nennen fügte er hinzu: "Und ein neuer beginnt." In der Fraktion soll er gesagt haben: "Mit der Unterschrift unter den hessischen Koalitionsvertrag habe ich Freiheit für Macht eingetauscht. Jetzt will ich meine Freiheit zurückhaben."

Erst Stille, dann Ovationen

Zunächst herrschte Stille, dann erhoben sich die Abgeordneten und überschütteten Fischer mit Ovationen. Parteichefin Claudia Roth sagte: "Ohne Joschka Fischer wäre die Partei sicher nicht da, wo sie heute ist." Die amtierende Fraktionsvorsitzende Krista Sager meinte, eine Ära sei zu Ende.

Die Entscheidung Fischers kam auch für den engsten Führungskreis der Grünen überraschend. Anschließend meldeten fünf Politiker ihre Kandidatur für die beiden Posten als Fraktionsvorsitzende im Bundestag an. Demnach wollen sich Umweltminister Trittin, Verbraucherministerin Künast, Ex-Parteichef Fritz Kuhn sowie die gegenwärtigen Fraktionschefinnen Sager und Katrin Göring-Eckardt bewerben.

Auch die neu gewählte Bundestagsfraktion der Union kam am Dienstag zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Im Mittelpunkt stand die Wiederwahl von Kanzlerkandidatin Angela Merkel als Fraktionschefin. Merkel hatte das Votum kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt, um möglichst Rückendeckung für die Sondierungsgespräche mit FDP, Grünen und SPD zu erhalten. Sie wurde mit überragenden 98,6 Prozent als Fraktionschefin wiedergewählt. Vor zwei Jahren hatte sie 93,72 Prozent erzielt.

Wie erwartet wurde auch Franz Müntefering mit großer Mehrheit als Vorsitzender der SPD-Fraktion bestätigt. Bei der ersten Sitzung der neuen Fraktion habe Müntefering 200 von 210 abgegebenen Stimmen erhalten, sagte Kanzler Gerhard Schröder vor Journalisten. Es habe acht Gegenstimmen und zwei Enthaltungen gegeben. Das entspreche einer Zustimmung von 95,24 Prozent. Schröder sprach von einem "wirklich glanzvollen Ergebnis, über das ich mich auch persönlich sehr freue". Müntefering hatte keinen Gegenkandidaten. Bei seiner Wahl vor einem Jahr hatte der 65-Jährige 95 Prozent der Stimmen erhalten.

Westerwelle kontra Gerhardt

Um den Posten des parlamentarischen Geschäftsführers wird es nach Informationen der Süddeutschen Zeitung voraussichtlich eine Kampfabstimmung geben. Als Favoriten werden derzeit der frühere SPD-Generalsekretär Olaf Scholz sowie der bisherige Vize-Geschäftsführer Uwe Küster gehandelt. Die Neubesetzung wird notwendig, weil der bisherige Geschäftsführer Wilhelm Schmidt nicht mehr für den Bundestag kandidierte.

Personalstreit gibt es in der FDP. Parteichef Guido Westerwelle reklamiert den Vorsitz der Bundestagsfraktion für sich, der bisherige Vorsitzende Wolfgang Gerhardt will das Feld aber nicht kampflos räumen. Nach Informationen aus der Partei gibt es eine Absprache zwischen beiden. Westerwelle hatte vor der Wahl Gerhardt als FDP-Kandidaten für das Amt des Außenministers benannt und damit die einzige dezidierte Personalforderung für die Liberalen erhoben.

Als Gegenleistung soll Gerhardt ihm den Zugriff auf den Fraktionsvorsitz zugestanden haben. Nachdem eine Regierungsbeteiligung der FDP fraglich geworden ist, möchte Gerhardt zumindest für eine Übergangszeit Fraktionschef bleiben.

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