Firmen und Politik:Säulen der Macht

Thilo Bode hat eine leidenschaftliche Kritik am Einfluss der Konzerne verfasst. Er zeichnet ein düsteres Bild über Lobbyisten, Manager und Abgeordnete. Doch er vergisst die Macht der Konsumenten.

Von Steffen Vogel

Skandale wie diese machen verstärkt Schlagzeilen: Der Unkrautvernichter Glyphosat des Chemieriesen Monsanto (jüngst übernommen von der Bayer AG), wird in der EU weiter zugelassen, obwohl er einigen Studien zufolge als krebserregend gilt. Und in der VW-Dieselaffäre kommen seit Jahren immer neue Details ans Licht. Streng genommen dürfte man hier allerdings nicht von Skandalen sprechen. Denn folgt man dem neuen Buch von Thilo Bode, so hat all dies System: Die großen Unternehmen setzen ihre Interessen rücksichtslos auf Kosten der Allgemeinheit durch - maßgeblich unterstützt von der Politik. Längst habe sich dabei ein informelles Machtgefüge herausgebildet, das Bode den "politisch-industriellen Komplex" nennt. Diesem rückt er in "Die Diktatur der Konzerne" materialreich zu Leibe und zeichnet dabei ein düsteres Bild.

Bode beobachtet die Geschäftspraktiken der Konzerne seit Jahren aus kritischer Distanz, erst als Greenpeace-Chef, später als Mitgründer der NGO Foodwatch. Er ist aber, das betont er ausdrücklich, kein Antikapitalist. Vielmehr hält er, außer der politischen Konkurrenz, auch den ökonomischen Wettbewerb für unverzichtbar. Doch eben diesen Wettbewerb sieht er bedroht: Global agierende Monopolisten schlucken Start-ups, schlagen Konkurrenten aus dem Feld und machen dem Mittelstand das Leben schwer.

Das hat gravierende Folgen für die Demokratie, weil mit der marktdominierenden Stellung auch die politische Macht wächst. Da werden Banken so groß, dass sie irgendwann als "systemrelevant" gelten und im Krisenfall mit exorbitanten öffentlichen Mitteln vor der Pleite gerettet werden müssen. Da inszeniert sich die deutsche Autoindustrie als "staatstragende Branche" (Bode) und erreicht so, dass die Bundesregierung in Brüssel auf schwächere Abgasnormen dringt. Vor allem aber gönnen sich die Großunternehmen Heerscharen gut bezahlter Lobbyisten und locken Mandatsträger mit lukrativen Posten nach Karriereende. Dieser bekannte Drehtüreffekt kann nicht ohne Folgen für das Selbstverständnis von Politikern bleiben, argumentiert Bode: Wem eine solche Zweitkarriere winkt, der dürfte kaum vorrangig das Gemeinwohl im Blick haben.

Bode nennt Angela Merkel "Konzern- und Kohlekanzlerin"

Wie Konzerne diesen Einfluss in ihrem Sinne nutzen, zeigt Bode unter anderem am Beispiel des Klimawandels. Wissenschaftler wie James Hansen von der Nasa hatten schon Ende der 1980er-Jahre überzeugend darlegen können, dass die globale Erwärmung menschengemacht ist. Dennoch verging ein Vierteljahrhundert bis zum Pariser UN-Klimavertrag von 2015. Diese gefährliche Verzögerung erklärt Bode wesentlich mit dem Einfluss von Lobbyisten und konzernfinanzierten Schein-NGOs. So haben Shell und andere insbesondere in den USA - entgegen eigenen Erkenntnissen - lange den Klimawandel geleugnet oder heruntergespielt. Und bis heute behauptet die traditionelle Energiewirtschaft, Alternativen zu fossilen Brennstoffen seien nicht gangbar, unsicher oder zumindest teuer. Damit haben sie selbst im Land der Energiewende einigen Erfolg: Die große Koalition hat zuletzt den Ausbau der Erneuerbaren ausgebremst und verzögert auch den Kohleausstieg. Angela Merkel, schreibt Thilo Bode, sei keine "Klimakanzlerin", sondern eine "Konzern- und Kohlekanzlerin".

Volkswagen-Werk Salzgitter

Er läuft und läuft und läuft...: Neu gebaute VW-Pkw in Salzgitter. Dass der Konzern vom Dieselskandal gebeutelt wird, stört die Kunden kaum. Sie kaufen.

(Foto: Silas Stein/dpa)

Das liest sich in dieser komprimierten Gesamtschau stellenweise durchaus erschreckend. Bode kritisiert zu Recht bestehende Machtasymmetrien. Die sind etwa gegeben, wenn eine Finanzaufsicht mangels qualifizierten Personals auf externe Experten ausgerechnet jener Finanzkonzerne zurückgreifen muss, die sie eigentlich kontrollieren soll. Selbst der Vorwurf, der Staat verhalte sich großen Unternehmen gegenüber zuweilen regelrecht unterwürfig, ist nicht von der Hand zu weisen. So legt Bode den Finger in die Wunde, wenn er fragt, warum der Dieselskandal hierzulande - anders als in den USA - bisher so wenige Konsequenzen nach sich gezogen hat. Die rechtlichen Möglichkeiten dazu bestehen durchaus: Das Kraftfahrtbundesamt könnte beispielsweise pro manipuliertem Auto ein Bußgeld von maximal 5000 Euro gegen VW verhängen, bei 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen wäre das eine empfindliche Sanktion.

Leider jedoch überzeugt Bodes Erklärung für diese Phänomene nicht restlos. Er hantiert mit starken Begriffen, die in seinem Buch aber nicht systematisch diskutiert werden: Regierung und Manager, schreibt er, seien zu einer "interessenkonformen Elite" verschmolzen. Gegen die Großunternehmen ließen sich daher keine politischen Entscheidungen mehr fällen. Wir lebten faktisch in einer "Diktatur der Konzerne". Konsequenterweise müsste Bode dann eigentlich von oligarchischen Tendenzen sprechen. Wenn jedoch die Bundesrepublik schon von den Multis beherrscht sein soll, als was bezeichnen wir dann ausgewachsene Oligarchien vom Schlage Russlands?

Abgesehen von diesen begrifflichen Unschärfen ist das beschworene Bild auch zu grob gerastert. Inwiefern war denn der Atomausstieg anders als eine Entscheidung gegen die scheinbar so übermächtigen Konzerne? Den vier AKW-Betreibern sind mit der erzwungenen Stilllegung ihrer Meiler schließlich enorme Profite entgangen. Ärgerlich ist zudem, dass Bode dazu neigt, pauschal "die" Politik als Ganzes zu kritisieren. Damit trägt er - wohl gegen seine Intention - zum Eindruck bei, die abgehobene Berliner Elite kümmere sich nicht um die Anliegen der Bevölkerung, sondern nur ums eigene Vorankommen. Gerade in populistischen Zeiten sollte Kritik genauer und nuancierter sein.

Die Konsumenten sehen vieles nicht so eng wie Bode

Dann müsste Bode aber auch auf die griffige Gegenüberstellung verzichten, mit der er durchgängig operiert: hier das betrogene Volk, dort die korrumpierte Elite. Diese Argumentationsfigur verleiht dem Buch einerseits seine Wucht. Bode tritt gewissermaßen als Anwalt der geprellten Bürger auf, in deren Namen er Anklage erhebt. Andererseits jedoch lässt es ihn übersehen, wie sehr die Gesellschaft selbst ein Teil der von ihm beschriebenen Probleme ist. So fielen die politischen Reaktionen auf den VW-Skandal ja nicht nur deshalb zahm aus, weil der Konzern so mächtig ist, sondern weil viele Bürger sich daran offenbar nicht grundsätzlich stören. Zu einem Kundenboykott gegen VW ist es bislang jedenfalls nicht mal in Ansätzen gekommen.

Firmen und Politik: Thilo Bode: Die Diktatur der Konzerne. Wie globale Unternehmen uns schaden und die Demokratie zerstören. S. Fischer Verlage Frankfurt 2018. 240 Seiten, 18 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

Thilo Bode: Die Diktatur der Konzerne. Wie globale Unternehmen uns schaden und die Demokratie zerstören. S. Fischer Verlage Frankfurt 2018. 240 Seiten, 18 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

Auch ist längst bekannt, dass die Autounternehmen enge Verbindungen zu den regierenden Parteien insbesondere jener Bundesländer pflegen, in denen sie ihren Firmensitz haben. Dennoch stimmen viele Wähler weiterhin für die niedersächsische SPD oder die CSU in Bayern - oder gerade deswegen: Das deutsche Exportmodell erfreut auch die Beschäftigten in Autowerken oder Zulieferbetrieben und gilt in den jeweiligen Regionen als Wohlstandsgarant. Darüber hinaus hat das Freiheitsversprechen des motorisierten Individualverkehrs seinen tückischen Glanz längst nicht verloren. Forderungen nach autofreien Innenstädten, Tempolimits auf Autobahnen oder gar einer Verkehrswende sind nach wie vor ein Minderheitenprogramm. Und das liegt nicht nur am intensiven Lobbying der Konzerne, sondern eben auch an der Attraktivität etablierter Verhaltensmuster und Konsumnormen.

So ist Thilo Bodes Buch ein flüssig geschriebener und faktenstarker Appell, die Macht der Konzerne demokratisch zu kontrollieren. Mehr Schattierungen hätten seiner Kritik allerdings gutgetan.

Steffen Vogel ist Sozialwissenschaftler und Redakteur bei den "Blättern für deutsche und internationale Politik".

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