Luda Berezknowa kramt eine russische Zeitschrift aus ihrer Handtasche und hält sie in den Nieselregen. Ein Artikel darin handelt von Nordic Walking. Liebevoll drückt Berezknowa ihre neuen, rosafarbenen Nordic-Walking-Stöcke an die Wange. So erklärt sie, warum sie und ihre vier Freundinnen hier sind, auf einem grauen finnischen Supermarktparkplatz und nicht daheim in Russland: um einzukaufen. Außer den Stöcken laden sie Schokokuchen, Küchenrollen und Konserven in den Kofferraum.
Vom Parkplatz in Lappeenranta bis zur russischen Grenze sind es 27 Kilometer. Täglich kommen mehr als 4000 Russen herüber, um in Lappeenranta steuerfrei einzukaufen. Zumindest waren es früher so viele - vor der Krise, vor den Sanktionen. Lappeenranta hat sich auf die russischen Besucher eingestellt. Acht Einkaufszentren gibt es hier, ein weiteres wird gerade renoviert und erweitert. 72 000 Menschen leben in der Stadt, die Läden können mehr als doppelt so viele versorgen. Reiseveranstalter bringen die Russen busweise über die Grenze.
Doch seit die Sanktionen, die EU und USA wegen der Ukraine-Krise verhängt haben, die russische Wirtschaft schwächen und der Rubel fällt, kommen weniger Besucher nach Lappeenranta; zehn Prozent weniger bis jetzt. Und die, die noch kommen, können sich weniger leisten als zuvor.
500 Millionen Euro haben die Russen hiergelassen
Das hat Folgen: Drei Läden mussten schließen, andere haben ihre Öffnungszeiten gekürzt, erzählt Mirka Rahman, die für die Stadt arbeitet. Ihre Aufgabe ist es, Lappeenranta zu vermarkten, vor allem in Russland. Doch den Russen den Hafen, die Altstadt und die Burg näherzubringen, hat Rahman aufgegeben. Stattdessen hat sie mit Putin-Käse gelockt. Der war bereits russisch etikettiert, musste dann aber wegen der russischen Gegensanktionen in Finnland bleiben.
Im Einkaufszentrum Galleria trifft Rahman die Managerin Sari Mustapää zur Besprechung. In den Boutiquen hier ist alles etwas schicker, bunter, glitzernder, als es den meisten Finninnen gefällt. Die Zielgruppe ist eine andere: 2013 haben russische Kunden 200 Millionen Euro allein für Kleidung in Lappeenranta gelassen, knapp 300 Millionen Euro für Lebensmittel. Deswegen haben die Läden ihre Lager auch dieses Jahr gut gefüllt - zu gut, klagt Mustapää. "Es wäre ein Wunder, wenn es nicht mit einem Minus enden würde."
Wichtigster Wirschaftszweig: Russen und Tourismus
Als es die Sowjetunion noch gab, lebte die Grenzstadt Lappeenranta von der Holzindustrie. Damals kamen keine Besucher aus dem Osten. Während große Teile des Landes nun unter dem Niedergang der finnischen Papierindustrie leiden, hat Lappeenranta Glück gehabt. Wichtigster Wirtschaftszweig sind heute die Russen und der Tourismus. Es wird kräftig investiert, in neue Geschäfte, neue Hotels, ein neues Theater. Während die Finnen aus anderen abgelegenen Städten flüchten, sind die Einwohnerzahlen hier stabil.
Manchmal allerdings fühlt es sich so an, als sei die Stadt bereits besetzt worden. Viele Finnen gehen nur noch einkaufen, wenn die Russen wieder weg sind. Es irritiert sie, wenn sie in einer Warteschlange den in Finnland üblichen Abstand zum Vordermann einhalten, und sich ein Russe in die Lücke drängt. Die Internetseite njetparkering.blogspot.com beschäftigt sich ausschließlich mit russischen Parksünden in Lappeenranta.
Kurz nach Ende der Sowjetunion hingen Schilder in den Eingängen der Läden. Zutritt für höchstens drei Russen gleichzeitig, stand sinngemäß darauf. Mehr könnte man nicht im Zaum halten, fürchteten die Verkäufer. Das ist nicht mehr so. Heute erzählen sich die Finnen andere Geschichten, so wie Mustapää über ihre 73-jährige Mutter. Die habe ein Angebot von einem Russen erhalten: 30 000 Euro, wenn sie ihn heiratet. "Sie wollen so sehr raus aus Russland", sagt die Managerin.