Finnland:Ein Zaun gegen die Angst

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Metallgitter, sogenannter Nato-Draht, Patrouillen: Die ersten drei Kilometer Grenzzaun in Imatra zeigen, wie sich Finnland auf insgesamt 200 Kilometern schützen will. (Foto: Markku Ulander/Imago)

Seit Russlands Überfall auf die Ukraine blicken die Finnen argwöhnischer nach Osten denn je. Das neue Nato-Mitglied sichert seine Grenze zu dem gefürchteten Nachbarn mit hohen Gittern. Die ersten drei Kilometer stehen schon.

Von Alex Rühle, Imatra

Treffpunkt ist der finnisch-russische Grenzübergang von Imatra, Dienstag, 13 Uhr. Früher stauten sich hier oft die Lastwagen und Pkws, jetzt wirkt der Ort im Südosten Finnlands wie die Kulisse eines Krimis. Vogelgezwitscher, ein paar Blätter wehen über den weiten Parkplatz, kein Auto weit und breit, der Grenzverkehr mit Russland ist seit Beginn des Ukraine-Krieges fast zum Erliegen gekommen.

Vormittags hat es hier schon einen Termin gegeben für die finnischen Journalisten, jetzt wird ein internationaler Pressetrupp tief in den Wald geführt, vorbei an Maschendraht, schwerem Arbeitsgerät und Grenzpollern. Und dann steht da dieser Zaun. Dreieinhalb Meter hoch, grünes Metall, obendrauf Nato-Stacheldrahtrollen. Drei Kilometer ist er lang, vom Grenzübergang bis zum Fluss Vuoksi, der sich hier ausbreitet wie ein See. Alle fünfzig Meter sollen Kameras installiert werden, auch Bewegungsmelder sind geplant, sechs Millionen Euro wird der Zaun kosten. Jukka Lukkari, stellvertretender Kommandeur der finnischen Grenztruppen, nennt ihn bei der Präsentation "das Pilotprojekt eines Sicherheitsprojekts".

Vorbeugung gegen einen "groß angelegten illegalen Grenzübertritt"

Insgesamt 200 Kilometer ihrer 1344 Kilometer langen Grenze zu Russland wollen die Finnen auf diese Art befestigen. Das hat die Regierung im vergangenen Sommer beschlossen - kurz nachdem sie in Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine gemeinsam mit Schweden die Nato-Mitgliedschaft beantragt hatte.

Der Grenzzaun, das betont Lukkari mehrfach, habe keine militärische Funktion, sei also nicht dafür gedacht, eventuelle Angreifer abzuhalten. Vielmehr gehe es darum, "vorbereitet zu sein im Falle eines groß angelegten illegalen Grenzübertritts".

Als die belarussische Regierung im Sommer 2021 Tausende Migranten an die Westgrenze des Landes bringen ließ, um sie nach Polen zu treiben, war das hier in Finnland noch weit mehr Thema als in Westeuropa. Schließlich hatte es im Winter 2015 oben in Lappland die seltsame Situation gegeben, dass plötzlich an Grenzübergängen, die für gewöhnlich zehn bis 50 Besucher pro Tag registrieren, immer wieder große Gruppen von Syrern, Afghanen und Indern standen, die in Finnland um Asyl bitten oder weiterreisen wollten nach Schweden.

Ismu Kurki, ehemaliger Grenzschützer und jetziger Projektmanager der Baumaßnahmen, erklärt bei der Präsentation in Imatra, dass die 200 Kilometer Grenzschutzzaun nur an neuralgischen Stellen hochgezogen werden. Man könne ja unmöglich 1344 Kilometer Zaun bauen. "Wo gibt es auf russischer Seite Städte? Wo gibt es Straßen, über die man Menschen schnell an die Grenze bringen kann?"

Das Land hat eine erstaunliche Wende vollzogen

Die ersten 70 Kilometer sollen bis Sommer 2025 fertigwerden, 52 Kilometer hier unten in Südostfinnland, acht Kilometer in Nordkarelien und je fünf Kilometer weit oben in Kainuu und Lappland. "Da oben", sagt Kurki, "übernimmt größtenteils die Natur den Grenzschutz - Sumpf, Wald, Schnee und Eis."

Die restlichen 130 Kilometer Zaun sollen dann spätestens Ende 2026 in Betrieb genommen werden, aber Kurki räumt ein, er sei ehrlich gesagt froh, wenn sie es bis Ende 2026 schaffen. Denn es gibt viele Probleme. Die Grenze führt größtenteils durch menschenleeren Wald, weiter nördlich dann auch durch Sumpfgebiete. Der Staat muss sich noch mit der Vereinigung der Waldbesitzer einigen, in den Sümpfen muss teilweise mit schwimmenden Pontons experimentiert werden. Und dann sind da noch die Naturschützer. Ihre Kritik hat bewirkt, dass alle drei Kilometer ein Durchgang für Bären, Luchse und Wölfe entstehen wird, der von den Kontrollstellen aus per Fernsteuerung geöffnet werden kann.

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Finnland hat eine erstaunliche Wende vollzogen. Nachdem in den vergangenen dreißig Jahren immer eine stabile Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Nato-Mitgliedschaft war, änderte sich das mit Russlands Angriff auf die Ukraine buchstäblich über Nacht: Seit dem 24. Februar 2022, dem ersten Tag des Krieges, ist eine deutliche Mehrheit für den Nato-Beitritt. Als er Anfang April vollzogen wurde, begrüßten das in einer Umfrage rund 75 Prozent der Befragten. Auch der Errichtung des Grenzzauns stimmten die meisten Finnen zu.

Nach der Präsentation, auf dem Rückweg zum Parkplatz, leuchtet auf dem Handy eine Nachricht auf: Russland bricht alle diplomatischen Kontakte zu Finnland ab. Ganz so schlimm ist es dann aber doch nicht. Der finnische Botschafter in Moskau war gegen Mittag ins russische Außenministerium geladen worden, wo ihm mitgeteilt wurde, dass Russland zum 1. Juli sein Konsulat in der südostfinnischen Grenzstadt Lappeenranta schließe. Am selben Tag müsse Finnland seine Konsulate in Petrosawodsk und Murmansk zumachen und mit dem Generalkonsulat in Sankt Petersburg zusammenlegen. Das russische Außenministerium betont, die Verantwortung für diese Maßnahme liege allein bei der finnischen Regierung.

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