Deutschland steigt aus, Finnland fährt hoch: Die drei letzten deutschen Atomkraftwerke waren noch keine zehn Stunden vom Netz, da ging in Finnland Olkiluoto 3 ans Netz. Der Druckwasserreaktor mit einer Leistung von 1600 Megawatt ist der größte Atomreaktor Europas und deckt seit Sonntagnacht 14 Prozent der finnischen Stromproduktion ab.
Rechnet man die beiden Reaktorblöcke Olkiluoto 1 und Olkiluoto 2 hinzu, die seit 1979 und 1982 im kommerziellen Betrieb sind, kommen künftig etwa 30 Prozent des finnischen Stroms aus dem Atomkraftwerk Olkiluoto. Der neue Kraftwerksblock soll mindestens für die nächsten 60 Jahre Strom produzieren.
Ursprünglich sollte der Bau 2009 beendet sein
Das Ende 2003 beim deutsch-französischen Areva-Siemens-Konsortium in Auftrag gegebene AKW sollte ursprünglich 2009 fertig werden und drei Milliarden Euro kosten. Baubeginn war 2005. Die schwedische Strahlenschutzbehörde schätzte bereits damals, dass der Zeit- und Arbeitsaufwand für die Auslegung der Anlage deutlich unterschätzt würde. Sie sollte recht behalten: Bereits im ersten Baujahr kam es zu Verzögerungen, unter anderem, weil beim Herstellen der Fundamente falscher Beton verwendet worden war.
Immer wieder wurden später Fertigungstermine angekündigt und doch gerissen, immer wieder gab es Pannen, zuletzt wurden lose Teile im Turbinensystem gefunden und Schäden in den Speisewasserpumpen festgestellt. Die Bauarbeiten zogen sich derart lange hin, dass einige Komponenten bereits ausgetauscht werden mussten, bevor das AKW überhaupt ans Netz ging.
Am Ende hat es 18 Jahre gedauert und dürfte nach Expertenmeinung rund elf Milliarden Euro gekostet haben, also fast viermal so viel wie ursprünglich geplant.
Dennoch gab es in Finnland kaum je Debatten um die Anlage. Das ist umso erstaunlicher, als die eklatanten Verzögerungen sich auf den Geldbeutel jedes einzelnen Finnen auswirkten: Das Land musste über Jahre hinweg zwanzig Prozent seiner Energie aus dem Ausland importieren, um die Planungslücke zu schließen, die durch die verspätete Fertigstellung entstand. Das - und der Ukrainekrieg - führten dazu, dass Finnland zeitweise die höchsten Strompreise Nordeuropas hatte.
Ähnlich war es mit dem atomaren Endlager Onkalo, das in unmittelbarer Nähe zu den drei Olkiluoto-Kraftwerken liegt. 1994 verpflichtete sich das Land, allen in Finnland erzeugten Atommüll auch innerhalb der eigenen Landesgrenzen zu lagern. 2000 wurde beschlossen, das Endlager in direkter Nähe des AKWs Olkiluoto zu bauen, schließlich fallen dann Transportwege weg.
Selbst um den Standort des Endlagers gab es keine große Debatte
Eine große Debatte oder gar Proteste gegen Onkalo gab es dagegen eigentlich nie. Selbst in Eurajoki, dem Dorf, in dessen Gemeindegrenzen die Ostseeinsel Olkiluoto, das gleichnamige Kraftwerk und das Endlager liegen, stand man dem ganzen Projekt immer wohlgesinnt gegenüber und freute sich vor allem, dass die Betreiberfirmen einen Kindergarten versprachen und Gewerbesteuer in die Kasse spülten. Onkalo will 2025 mit der Einlagerung der Brennstäbe anfangen.
Olkiluoto 3 ist das fünfte Atomkraftwerk in Finnland. Ein sechstes war bis vor Kurzem auch noch geplant - in Zusammenarbeit mit dem russischen Staatskonzern Rosatom. Dieses Projekt wurde kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine abgeblasen.
Die staatliche finnische Firma Fortum kauft aber weiterhin mindestens bis 2030 Uranbrennstäbe über Rosatom aus Russland - das aber wird in der Öffentlichkeit kaum thematisiert, Deutschlands Gasimporte aus Russland hingegen wurden sehr kritisch kommentiert. All das zeigt, wie populär die Atomkraft angesichts der Erderwärmung und der Klimakrise als Alternative zu Kohle ist. Und wie vertrauensvoll die Finnen in Bezug auf die Kernkraft sind.
Bei einer Umfrage im Herbst 2022 waren 83 Prozent der Finnen der Atomkraft gegenüber positiv eingestellt; das sind noch mal 15 Prozent mehr als im Jahr zuvor. 60 Prozent befürworten sogar einen Ausbau - auch eine knappe Mehrheit unter den Anhängern der Grünen. Aktuell besteht die finnische Stromversorgung zu 4o Prozent aus Atomstrom; der Rest ist vor allem Wind- und Wasserkraft.