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Finanzminister will Freiwilligendienste stärker belasten:Schäubles "fatales Signal" erregt Widerstand

Finanzminister Schäuble will die ohnehin schon niedrigen Einkommen von Wehr- und Bundesfreiwilligendienstleistenden besteuern. Ist das gerecht oder ein "echtes Armutszeugnis", wie die Opposition rügt? Die Pläne betreffen zwar nicht alle Soldaten und Bufdis. Doch Sozialverbände und Politiker befürchten, Schäubles Plan könne eine erfolgreiche Idee sabotieren - wenn der Eindruck entsteht, der Staat wolle an seinen Freiwilligen auch noch verdienen.

Melanie Staudinger

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat die Pläne gut versteckt, die jetzt Wirbel verursachen. Erst auf Seite 15 des Entwurfs zum Jahressteuergesetz 2013 findet sich der Passus, zwischen einem Verweis auf das EU-Amtshilfegesetz und der steuerlichen Absetzbarkeit von Elektrofahrzeugen. Dort steht, dass Schäuble künftig von den Teilnehmern im Bundesfreiwilligendienst, den sogenannten Bufdis, und von Wehrdienstleistenden Steuern kassieren will.

Das Finanzministerium argumentiert, dass Wehr- und Zivildienst seit vergangenem Jahr keine Pflicht mehr seien. Die Bezüge bei den neuen Diensten müssten also wie andere Einkommen versteuert werden. "Unter Berücksichtigung des Gleichheitsgebots und der Steuergerechtigkeit ist eine Steuerfreiheit beim freiwilligen Wehrdienst nicht gerechtfertigt", heißt es im Gesetzesentwurf. Das gilt auch für den Bundesfreiwilligendienst, dem Nachfolgeangebot der Bundesregierung für den Zivildienst. Am Mittwoch bekräftigt Sprecherin Marianne Kothé in Berlin, dass das Finanzministerium die Besteuerung für notwendig erachte.

Wohlfahrtsverbände, Bundeswehrverband und Oppositionspolitiker kritisieren diesen Plan, auch wenn die finanziellen Auswirkungen auf die Betroffenen eher gering sind. Selbst der Koalitionspartner FDP und das eigene Kabinett sind skeptisch: Verteidigungsministerium und Familienressort sehen in diesem Vorhaben ein falsches Signal, das freiwilliges Engagement für viele schlichtweg uninteressant machen könnte.

Der Bundesfreiwilligendienst ist eines der großen Projekte von Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Ihr Ministerium wirbt mit dem Versprechen, die Bezüge seien steuerfrei. Staatssekretär Josef Hecken spricht auf SZ-Anfrage daher von einer verheerenden Wirkung: "Wenn der Staat auf der einen Seite um freiwilliges Engagement der Bürger bittet und andererseits die ohnehin geringe Anerkennungszahlung mit einer Steuerpflicht belegt, dann würde dies bei vielen den Eindruck erwecken, als wolle der Staat am freiwilligen Engagement auch noch verdienen."

Die Steuer würde vor allem Ältere und Soldaten treffen

Er sehe die Gefahr, dass sich einige Menschen nur wegen der Steuerfrage gegen den Bundesfreiwilligendienst entscheiden könnten. Hecken räumt aber auch ein, dass die Mehrheit der momentan 35.000 Bufdis von einer Neuregelung nicht betroffen wäre. Ihr "Taschengeld" liege unter den steuerlichen Freigrenzen. Bei der Caritas etwa bekommen die Freiwilligen in der Regel zwischen 250 und 300 Euro im Monat. Die Höchstgrenze ist auf 336 Euro festgesetzt.

"Treffen würde die Besteuerung vor allem die Älteren", sagt Claudia Beck, Pressesprecherin des Caritas-Verbands Deutschland. Sie gingen neben ihrem ehrenamtlichen Engagement bei der Caritas oftmals noch einer normalen Arbeit nach. Weil ihr Einkommen so über der Steuerfreigrenze liegt, würden sie unter Schäubles Neuregelung fallen und müssten Steuern bezahlen.

Die Caritas bietet bundesweit 3900 Plätze für Bufdis an. Im Januar waren 3400 besetzt, etwa 550 davon mit über 27-Jährigen. Auch die AWO kritisiert die Pläne. Es sei ein "echtes Armutszeugnis", wenn man die Einkünfte derjenigen besteuern wolle, die sich bis zu 40 Stunden in der Woche freiwillig sozial engagieren wollten, sagt der Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler.

Auch das Verteidigungsministerium lockt Bewerber bisher mit steuerfreien Bezügen. "Natürlich wollen wir die Steuerfreiheit aus Attraktivitätsgründen gerne erhalten", sagt eine Ministeriumssprecherin. Anders als bei den Bufdis würde Schäubles Vorhaben in der Bundeswehr mehr Freiwillige treffen. Wehrdienstleistende verdienen zwischen 777 und 1146 Euro - die Einbußen könnten sich auf bis zu 65 Euro monatlich belaufen.

Allerdings könnte es eine Ausnahme geben: Das Finanzministerium plant nämlich im Referentenentwurf, die ersten sechs Monate des Wehrdienstes als Ausbildungszeit anzuerkennen. Dann würden alle freiwilligen Soldaten, die jünger als 25 Jahre sind, beziehungsweise ihre Eltern Kindergeld erhalten. Diese Regelung wiederum könnte die Steuerzahlungen kompensieren.

"Absolut unsozial"

Im Mittelpunkt der Kritik steht aber nicht der Geldbetrag an sich, den die jungen Menschen zahlen müssten. "Hier geht es um einen freiwilligen Dienst an der Gesellschaft", sagt Oberst Ulrich Kirsch, Chef des Bundeswehrverbands. Auch er fürchtet, dass von den Steuerplänen ein fatales Signal ausgehen würde. Er hoffe, dass sich Verteidigungs- und Familienministerium gegen Schäuble durchsetzen könnten. Sollte dies nicht der Fall sein, müsse sich Kanzlerin Angela Merkel mit dem Thema beschäftigen, fordert Kirsch. "Es geht nicht um den Betrag an sich, sondern um die Signalwirkung, die von einer Besteuerung ausgehen würde", sagt er der SZ.

Derzeit hat die Bundeswehr keine Nachwuchssorgen. Mindestens 5000 Wehrdienstleistende im Jahr seien nötig, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, sagt die Ministeriumssprecherin. Im Januar hätten knapp 2800 angefangen, drei weitere Einstellungstermine gebe es noch.

Auch in den Bundestagsfraktionen gibt es Widerstand gegen Schäubles Pläne. Die Vorschläge des Ministers würden Wehr- und Freiwilligendienst schwächen, sagt der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Volker Wissing. Falls die Besteuerung aus rechtlichen Gründen zwingend vorgeschrieben sei, sollten die Bezüge so angehoben werden, dass sich das Nettoeinkommen der Betroffenen nicht verringere.

"Das Vorhaben des Ministers entspricht ganz und gar nicht der von uns angestrebten Anerkennungskultur", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Sönke Rix. Die Linken-Abgeordnete Heidrun Dittrich bezeichnet Schäubles Idee als "absolut unsozial". Sowohl Verteidigungs- als auch Familienministerium haben Widerstand in den Ressortverhandlungen über das Jahressteuergesetz 2013 angekündigt. Regierungssprecher Steffen Seibert versucht indes zu vermitteln: In der Ressortabstimmung würden "alle Argumente gehört und gewogen werden - noch ist nichts entscheiden". Der Gesetzesentwurf mit einer gemeinsamen Position soll am 25. April ins Kabinett gehen.

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