Süddeutsche Zeitung

Entlastungspaket:So will Lindner die Steuerzahler entlasten

Der Bundesfinanzminister plant, den Tarif für die Einkommensteuer an die Inflation anzupassen. In der Ampelkoalition regt sich aber bereits Kritik, weil auch Gutverdiener profitieren.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) plant ein rund zehn Milliarden Euro schweres Paket, um zusätzliche Belastungen der Steuerzahler durch die gestiegene Inflation zu verhindern. Das geht aus dem Entwurf für ein Inflationsausgleichsgesetz hervor, das laut Ministeriumskreisen im September ins Kabinett eingebracht werden soll.

Ziel ist es, die sogenannte kalte Progression auszugleichen. Dahinter verbirgt sich das Phänomen, dass Erwerbstätige selbst dann mehr Einkommensteuer zahlen müssen, wenn ihnen eine Gehaltserhöhung gerade einmal die Inflation ausgleicht. Sie können sich dann von ihrem höheren Bruttogehalt zwar nicht mehr leisten als vor dem Lohnplus - in einen höheren Steuertarif rutschen sie trotzdem.

Die geplante Entlastungswirkung des Gesetzes liegt laut Ministeriumskreisen im kommenden Jahr bei 10,1 Milliarden Euro - die entsprechenden Mindereinnahmen teilen sich Bund, Länder und Kommunen. 2024 kämen noch mal rund vier Milliarden hinzu. Im Bundeshaushalt 2023 ist bereits ein Puffer für mögliche Mindereinnahmen von gut neun Milliarden Euro eingeplant gewesen.

Konkret umgesetzt wird das Vorhaben, indem der Einkommensteuertarif an die Inflation angepasst wird. Das bedeutet, dass etwa der Grundfreibetrag, auf den gar keine Einkommensteuer erhoben wird, angehoben wird - um knapp 300 Euro auf dann 10 632 Euro. Auch alle anderen Tarifeckwerte werden verschoben - mit einer Ausnahme: Die "Reichensteuer" bleibt, wo sie ist. Das heißt: Während der Spitzensteuersatz von 42 Prozent künftig erst ab 61 972 Euro fällig wird statt wie bisher schon ab 58 597 Euro, wird der Reichensteuersatz von 45 Prozent weiterhin auf alle Einkommen jenseits von 277 826 Euro erhoben.

Dass die kalte Progression ausgeglichen wird, ist seit einigen Jahren übliche Praxis. Zuletzt allerdings war dabei immer auch der Reichensteuersatz mit angepasst worden. Obwohl Lindner darauf nun verzichten will, kritisierten Gegner das Vorhaben bereits im Vorfeld als sozial ungerecht. Aus den Reihen der Grünen etwa war moniert worden, dass Gutverdiener am meisten profitierten; auch aus der SPD kamen Kritik und der Vorschlag, stattdessen lieber auf Einmalzahlungen für Niedrigverdiener zu setzen.

Aus Kreisen des Finanzministeriums hieß es dagegen, dass insgesamt 48 Millionen Steuerzahler profitierten - und Geringverdiener sogar besonders deutlich. In der Tat wirkt sich der Anstieg des Steuertarifs auf kleine und mittlere Einkommen besonders stark aus. Gemessen an ihrem Einkommen haben sie deshalb prozentual am meisten davon, wenn der Staat auf die Einnahmen durch die kalte Progression verzichtet. In absoluten Zahlen dagegen profitieren naturgemäß Gutverdiener am meisten, weil sie in höhere Steuertarife fallen. Allerdings steigt die Entlastung jenseits von 62 000 Euro nicht weiter an: Sie beträgt dann den aktuellen Berechnungen nach 479 Euro - egal, ob jemand 70 000 Euro verdient oder eine halbe Million.

Die Gerechtigkeitsdebatte wolle man "offensiv führen", hieß es am Dienstag aus Lindners Haus. Die Argumentation: Wer etwa Arbeitnehmern, die mehr als 60 000 Euro verdienten, Steuererhöhungen über die kalte Progression zumuten wolle, der müsse hinnehmen, dass dann auch alle mit niedrigeren Einkommen stärker belastet würden. Sie würden quasi "in Geiselhaft" genommen. Das Steuersystem spiegele zudem eine Gerechtigkeitsvorstellung wider, schließlich sei es ja so einmal beschlossen worden in einem Gesetzgebungsverfahren. Wer dieses Gefüge ändern wolle, müsse ein entsprechendes politisches Verfahren anstrengen, statt Veränderungen durch Nichtstun herbeizuführen. Lindner selbst hatte zuletzt stets betont, der Staat dürfe bei der Einkommensteuer nicht zum Inflationsgewinner werden. Aus seinem Haus heißt es zudem, es handele sich nicht um Entlastungen, sondern um den Verzicht auf höhere Belastungen.

Neben der Anpassung des Steuertarifs sollen auch der Kinderfreibetrag angehoben und das Kindergeld erhöht werden. Letzteres im kommenden Jahr um acht Euro für das erste und das zweite Kind und um zwei Euro für das dritte. Ein Jahr später dann um weitere sechs Euro für das erste, zweite und dritte Kind. Für alle weiteren Kinder bliebe alles beim Alten.

Die genauen Werte, sowohl für die Einkommensteuer wie auch für die Familienleistungen, werden sich allerdings noch ändern im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens: Im Herbst sollen der neue Existenzminimumsbericht und der nächste Steuerprogressionsbericht vorgelegt werden. Auf Basis der dann vorliegenden Inflationsdaten würde der Entwurf angepasst. Die bisherige Schätzung des Finanzministeriums ist eher vorsichtig; die Mindereinnahmen dürften eher höher als niedriger ausfallen.

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