Süddeutsche Zeitung

Finanzmarktsteuer:Schonzeit für Spekulanten

Die SPD wirft Minister Schäuble vor, eine neue Steuer zu verschleppen und damit den Koalitionsvertrag zu brechen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die SPD wirft Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor, die Einführung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Finanzmarktsteuer nachhaltig zu verzögern. "Ich erwarte, dass Deutschland bei der Einführung der Finanztransaktionsteuer endlich vorangeht", sagte Carsten Schneider, Vize-Chef der SPD-Bundestagsfraktion am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung. Schäubles Taktik, die Steuer ständig von Vereinbarungen auf globaler, dann wieder europäischer und schließlich wieder globaler Ebene abhängig zu machen, führe nur zu Zeitverlust. Statt die Verantwortung hin und her zu schieben, sollten "der Bundesfinanzminister und die Bundeskanzlerin den Einfluss Deutschlands auch bei diesem Thema nutzen". Notfalls müsse die Einführung der Steuer auf Finanzgeschäfte am Rande eines der kommenden Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs politisch beschlossen werden. "Die SPD wird jedenfalls nicht beim stillen Tod assistieren", sagte Schneider.

SPD und Union hatten sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Umsatzsteuer auf den Handel mit Aktien, Derivaten und anderen Finanzdienstleistungen einzuführen. Bereits 2012 hatte die SPD die Steuer zur Bedingung gemacht für ihre Zustimmung zum europäischen Fiskalpakt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte den Pakt, der Schuldenbremsen für die EU-Mitglieder vorsieht, zu ihrem Prestigeprojekt erhoben. Der SPD-Parteikonvent hatte nur deshalb Merkels Projekt mitgetragen, weil vereinbart wurde, auch Spekulanten an den Finanzmärkten über eine Steuer zur Kasse zu bitten. Die SPD liest das Zögern Schäubles inzwischen als Koalitionsbruch und fordert Aufklärung. "Wenn die CDU das Ziel des Koalitionsvertrages aufgeben will, soll sie es deutlich sagen", sagt Schneider.

Die Steuer könnte dem Bundeshaushalt jährlich 45 Milliarden Euro einbringen

Tatsächlich liegt es vor allem am fehlenden politischen Willen, dass die Finanzmarktsteuer nicht eingeführt ist. Die Europäische Kommission hatte schon 2012 einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, um den Handel mit Aktien oder Schuldscheinen zu besteuern sowie den exzessiven Handel am Computer zu entschleunigen. Weil sich Großbritannien mit dem Finanzplatz London weigerte mitzumachen, beschloss eine Gruppe von elf Staaten, die Steuer freiwillig einzuführen. Davon sind noch zehn Staaten übrig. Neun müssen es mindestens sein, um die Steuer europaweit einzuführen.

Dass es die Steuer noch immer nicht gibt, liegt nicht nur nach Ansicht der SPD, sondern auch der Grünen, insbesondere am Bundesfinanzminister. "Mit der Forderung nach einer weltweiten Finanztransaktionsteuer, die illusorisch ist, torpediert Finanzminister Schäuble die erfolgreiche Arbeit seiner Beamten", sagte die grüne Finanzexpertin Lisa Paus der SZ.

Paus fordert die Bundesregierung auf, jetzt zu handeln. "Durch den bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union standen die Chancen für eine europäische Finanztransaktionsteuer nie besser", sagte Paus. London hatte wegen möglicher Auswirkungen der Steuer auf den Finanzplatz London gegen die Finanzmarktsteuer geklagt. Zwar hatte der Europäische Gerichtshof die Klage abgewiesen. Allerdings unsicher, ob London die Steuer noch einmal angreifen könnte.

Zudem haben die Unterhändler die meisten technischen Probleme ausgeräumt. "Auf der Fachebene sind die Verhandlungen schon sehr weit", sagt Paus. Um sich zu einigen, müssten nur noch zwei Punkte geklärt werden. Zum einen fordert Slowenien finanzielle Entlastungen bei den Verwaltungskosten. Zum anderen will Belgien Ausnahmen für Pensionsfonds durchsetzen. Beide Forderungen seien nur politisch zu lösen, sagt Paus. "Jetzt ist ein konkretes politisches Verhandlungsangebot von Schäuble gefragt, um den Sack zuzumachen, und kein Ausweichen ins Weltweite."

SPD-Fraktionsvize Schneider ist darüber hinaus auch bereit, mit einer Steuer nur in Deutschland voranzugehen. "Wenn es bis Ende des Jahres kein Ergebnis gibt, werde ich mich für die Einführung einer nationalen Steuer einsetzen."

Die Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte könnte spürbar Geld in die nationalen Haushaltskassen spülen. Je nachdem welche Produkte besteuert werden, könnte allein Deutschland mit jährlichen Erlösen von bis zu 45 Milliarden Euro rechnen.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2016
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