Süddeutsche Zeitung

Finanzmarkt:EZB-Bankenaufsicht warnt vor neuer Finanzkrise

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Behördenchef Andrea Enria wehrt sich im SZ-Interview gegen Kritik von Bankiers und fordert mehr Wachsamkeit.

Von Meike Schreiber und Markus Zydra

Der Chef der EZB-Bankenaufsicht, Andrea Enria, warnt die Politiker und Bankenchefs der Europäischen Währungsunion davor, die aktuellen Gefahren an den Finanzmärkten zu unterschätzen. "Ich beobachte eine gewisse Geschichtsvergessenheit hinsichtlich der letzten großen Finanzkrise", sagte Enria im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Mit Blick auf die Erfahrungen von 2008 mahnte er: Es gebe Politiker, die erneut dächten, sie bräuchten laxere Regeln für die Banken in ihrem Land - im Irrglauben, das würde die Kreditvergabe und das Wachstum unterstützen. Von den europäischen Geldhäusern fordert Enria mehr Wachsamkeit. "Unser Job ist es, die Banken daran zu erinnern, dass wir in eine tiefe Rezession fallen könnten. Deswegen weisen wir darauf hin, dass sie aufmerksam bleiben sollen." Sorgen bereite ihm vor allem eine mögliche Reaktion der Finanzmärkte, wenn sich die Wirtschaftslage eintrübt und gleichzeitig die Leitzinsen weiter erhöht werden.

Der Italiener steht seit Ende 2018 an der Spitze der europäischen Bankenaufsicht, die vor mehr als zehn Jahren als Antwort auf die damalige Finanz- und Schuldenkrise geschaffen wurde und seither die 110 größten Kreditinstitute des Kontinents beaufsichtigt. Angesiedelt ist die Behörde bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie agiert jedoch unabhängig von der Geldpolitik.

Steigende Zinsen sind zwar prinzipiell gut für das klassische Kreditgeschäft der Banken, bergen aber auch Risiken, weil weltweit viele Investoren und Unternehmen hoch verschuldet sind. Als besonders bedrohlich nannte Enria überraschende Schieflagen, wie die Beinahepleite britischer Pensionsfonds Anfang Oktober. "Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet von Pensionsfonds so eine gefährliche Situation ausgehen kann", sagte Enria. Die Fonds hatten im großen Stil in britische Staatsanleihen investiert und diese als Sicherheit für andere schuldenfinanzierte Geschäfte genutzt. Nur der Eingriff der britischen Notenbank verhinderte den Zusammenbruch.

Zugleich wies Enria die zuletzt deutliche Kritik verschiedener Bankenchefs an der Arbeit seiner Behörde zurück. Unter anderem Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing hatte beklagt, er brauche keine Aufsichtsbehörde, die sage, was die Bank tun solle. Sewings Aussage bezog sich auf einige riskante Geschäfte des Instituts, welche die EZB kritisch sieht. Andere Bankchefs hatten sich ähnlich geäußert. Enria verteidigt seinen Kurs. "Für mich ist wichtig, daran zu erinnern, dass es bei unserer Arbeit nicht darum geht, den Banken zu gefallen, sondern darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen", sagte der 61-Jährige. "Wir machen das nicht nur zum Schutz der Kunden, Steuerzahler und Investoren, sondern auch für die Banken selbst. Gute Aufsicht zahlt sich langfristig für alle aus."

Die Banken hätten 2022 gute Ergebnisse erzielt, was auch den staatlichen Hilfsmaßnahmen in der Corona- und Energiekrise zu verdanken sei. "Es besteht die Gefahr, dass die Banken noch nicht bemerkt haben, dass die Situation nun eine andere ist."

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