Es geht drunter und drüber in der Regierungskoalition. An jedem Tag wird deutlich, dass nicht mehr viel stimmt im Reich der Angela Merkel, der einstigen "Madame Non", wie sie spöttisch in Europa genannt wird.
Beispiel Finanztransaktionssteuer. Das war noch vorige Woche der große Steitpunkt im Parlament. Kanzlerin Merkel wollte unbedingt so viele Abgeordnete wie möglich einbinden in die Griechenland-Soforthilfe von mehr als 22 Milliarden Euro, mit der das verschuldete Land aufs Erste gerettet werden soll. Die SPD aber forderte eben just jene Finanztransaktionssteuer, die Merkels Koalitionspartner FDP ablehnte.
Das Ergebnis ist bekannt: Am Freitag enthielt sich die SPD bei der Abstimmung. Griechenland-Zahlung im Prinzip ja, aber den Spekulanten müsse das Handwerk gelegt werden. Deshalb brauche es die neue Steuer, die auf den US-Ökonom James Tobin zurückgeht. Der wollte schon vor 38 Jahren eine Umsatzsteuer für weltweite Devisengeschäfte einführen. Früh schon hatte beispielsweise Attac die Einführung einer solchen Steuer empfohlen.
Am Sonntag, zwei Tage nach der Abstimmung im Bundestag, sah die Sache für Angela Merkel offenbar ganz anders aus. Die Bundesregierung hat da in Brüssel auf europäischer Ebene offenbar bereits die Prüfung der Finanztransaktionssteuer zugesagt - das ergibt sich aus den Schlussfolgerungen des EU-Ministerrats vom Sonntag.
In der EU-Vereinbarung heißt es, neben anderen Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte müsse man auch "die Möglichkeit einer globalen Transaktionssteuer sondieren". Das ist reichlich allgemein, hält aber erkennbar die Möglichkeit offen, etwas einzuführen, was in den deutschen Papieren aus bekannten Gründen nicht vorkam.
Rücksicht auf die störrische FDP
Und die Bundeskanzlerin? Noch am Donnerstag hatte sie im Bundestag dafür plädiert, sich auf eine Besteuerung von Bankengewinnen und Boni zu beschränken.
Allem Anschein nach nahm sie Rücksicht auf die störrische FDP, die indirekt sogar mit dem Bruch der Koalition gedroht hat, falls sich die Union über ihre Bedenken hinwegsetzen sollte. Und sie dachte an die Skeptiker in der eigenen Partei.
Inzwischen ist in der Unionsfraktion Streit über die Steuer auf Finanzgeschäfte ausgebrochen. Die CSU machte sich für die Einführung einer solchen Steuer stark. "Wir glauben, dass eine Finanzmarkt-Transaktionssteuer eine der Möglichkeiten ist, (...) den Risikohunger der internationalen Spekulanten zu hemmen", sagt CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. CSU- Generalsekretär Alexander Dobrindt betont, damit könnten Spekulationen eingedämmt und die Finanzbranche finanziell beteiligt werden.
Kanzlerin Merkel strebt jedoch eher eine Finanzaktivitätssteuer an, bei der etwa Gewinne von Bankmanagern besteuert werden. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier will mit der SPD neue Verhandlungen führen. "Ich bin dagegen, dass wir irgendwelche Tabus aufstellen", sagte der CDU-Politiker. Große Skepsis gibt es bei Haushaltspolitikern der Fraktion. Der haushaltspolitische Sprecher Norbert Barthle spricht sich für eine Finanzaktivitätssteuer aus. "Wir wollen ran an die Profite" - dies gelinge nicht mit einer Transaktionssteuer.
Unionsfraktionsvize Michael Meister sagt, der Internationale Währungsfonds habe sich gegen eine solche Steuer ausgesprochen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus wiederum fordert ein Verbot hochriskanter Finanzgeschäfte. Er sei überzeugt, dass der Handel mit gewissen Produkten wie Credit Default Swaps (CDS) unterbunden werden sollte.
In Brüssel verhandelte am Sonntag Innenminister Thomas de Maizière - in Vertretung des Finanzministers Wolfgang Schäuble - für die Bundesregierung. Und da war die Sache Transaktionssteuer kein Tabu mehr.
Ob die Liberalen unter Guido Westerwelle jetzt erneut mit dem Verlassen der Koalition drohen? Schließlich ist am Sonntag in Nordrhein-Westfalen die von ihnen mit der Union gestaltete Landesregierung abgewählt worden. Die FDP muss kleinere Brötchen backen, die Zeiten der Aufschneiderei sind vorbei.
Steinmeier spöttelt
Für die SPD ist der Schlingerkurs der Regierung ein gefundenes Fressen. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier kritisiert Kanzlerin Merkel scharf. Er spöttelte, dass die SPD-Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer nun als Prüfauftrag sogar Bestandteil der Vereinbarung der EU-Finanzminister sei, nachdem die Regierungsfraktionen dies im Bundestag noch abgelehnt hätten.
Steinmeier bekräftigt, dass der Finanzbranche ein eigener Beitrag zur Bewältigung der Krise abverlangt werden müsse. Die SPD-Abgeordneten ließen sich über das Euro-Rettungspaket informieren, das am Vormittag das Bundeskabinett passiert hatte. Die SPD werde sehr genau prüfen, welche Belastungen auf Deutschland zukämen, sagte Steinmeier. Sie werde sich auch eine noch zu schließende europäische Vereinbarung zum Mechanismus des Rettungsschirms vorlegen lassen.
Die SPD lässt ihre Zustimmung im Bundestag zum Euro-Rettungsschirm offen. "Schon jetzt etwas über das Abstimmungsverhalten zu sagen, wäre verfrüht", sagte Steinmeier. Die Bundesregierung lasse jedes Krisenmanagement vermissen, das diesen Namen verdiente. Es sei "unumgänglich, dass die Politik den Euro mit Krisenintervention stabilisiert".
Noch schärfer geht Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) mit Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ins Gericht. Mindestens seit Januar seien beide über die griechische Schuldenkrise informiert gewesen, schreibt er in einem vorab veröffentlichten Beitrag für das Hamburger Wochenblatt Die Zeit: "Man musste damit rechnen, dass global agierende Finanzmanager ihre spekulativen Chancen wahrnehmen würden." Aber: "Die Führer der Europäischen Union warteten ab." Dies habe die Kurse von Staatsanleihen und Euro unter Druck geraten lassen - "so wurde innerhalb weniger Wochen aus einer Griechenland-Krise eine Krise der gemeinsamen Währung".
Schmidt erklärt, es habe sich "die Führungslosigkeit der Europäischen Union" gerächt." Jetzt komme es "in erster Linie auf Paris und auf Berlin an".
Aber das weiß auch Angela Merkel.