Finanzkrise:Irischer Sparzwang des Grauens

Die Banken sind schuld - aber die Last trägt der Steuerzahler: Mit einem drastischen Sparplan begegnet die irische Regierung um Premier Cowen der Krise. In vier Jahren will sie 15 Milliarden Euro einsparen. Besonders hart trifft es Geringverdiener.

Michael König

Die Iren entdecken derzeit jeden Tag einen neuen Grund, wütend auf ihre Politiker zu sein. Nicht alle haben direkt mit der Finanzkrise zu tun.

Finanzkrise: Irlands Ministerpräsident Brian Cowen: "Wir sind ein kleines, widerstandsfähiges, stolzes Volk."

Irlands Ministerpräsident Brian Cowen: "Wir sind ein kleines, widerstandsfähiges, stolzes Volk."

(Foto: AP)

Am Dienstag ging eine Welle entrüsteter Anrufe beim öffentlich-rechtlichen Radiosender RTE ein, weil es der grüne Abgeordnete Paul Gogarty gewagt hatte, seine 18 Monate alte Tochter Daisy mit zur Arbeit zu bringen. Daisy saß auf seinem Schoß, während die Grünen bei einer Pressekonferenz ihren Koalitionspartner Fianna Fail dazu aufriefen, Neuwahlen zu veranlassen.

Er habe so kurzfristig keinen Babysitter gefunden, rechtfertigte sich Gogarty, der bislang weniger als treusorgender Familienvater aufgefallen war: 2009 warf er einer Kollegin im Parlament das böse F-Wort an den Kopf. Die Szene ist ein Hit auf Youtube. Nach seinem Auftritt mit Tochter Daisy schimpfte eine wütende Mutter im Radio, sie könne ihre Kinder auch nicht einfach mit zur Arbeit nehmen. Stattdessen zahle sie viel Geld für die Kinderbetreuung. Andere Anrufer beklagten, Gogarty schade dem Ansehen Irlands - in einer ohnehin schon bitteren Stunde.

Angesichts der Proteste, die Irland nun drohen, ist die Affäre um den Familienvater - neben seiner Tochter hatte er auch einen Teddybären mitgebracht - allerdings eine Petitesse. Ministerpräsident Brian Cowen stellte am Mittwoch einen Sparplan vor, den die irischen Medien als "Liste des Grauens" bezeichnen.

Hilfe in Höhe von 85 Milliarden Euro

Irland ist pleite, die Ratingagentur Standard & Poors senkte die Bonitätsnote der Republik von "AA-" auf "A". Tendenz fallend. Die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds (IWF) werden voraussichtlich 85 Milliarden Euro in die Grüne Republik pumpen, um den Kollaps der Wirtschaft zu vermeiden. Diese Zahl nannte der französische Haushaltsminister Francois Baroin in Paris, während Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin sagte, die Summe stehe noch nicht fest.

Bevor das Geld fließen kann, muss die irische Regierung Sparmaßnahmen verabscheiden, die mit dem Begriff "Einschnitte" unzureichend beschrieben wären. Ministerpräsident Cowen muss zur Axt greifen, um sein Ziel bis 2014 zu erreichen: Das Haushaltsdefizit soll von derzeit 32 Prozent der Wirtschaftskraft auf nur noch drei Prozent schrumpfen - wie im EU-Stabilitätspakt vorgesehen.

"Wir sind ein widerstandsfähiges Volk"

Das bedeutet: 15 Milliarden Euro Einsparungen in den kommenden vier Jahren. Zehn Milliarden Euro weniger bei öffentlichen Ausgaben, fünf Milliarden Euro sollen durch Steuererhöhungen eingespart werden. "Wir sind ein kleines, widerstandsfähiges, stolzes Volk", sagte Cowen in Dublin. "Es geht darum, unsere Wirtschaft wachsen zu lassen." Finanzminister Brian Lenihan kündigte an, 40 Prozent des Gesamtpaketes sollten bereits 2011 wirksam werden. "Diese Selbstverpflichtung wird Vertrauen zu Hause und im Ausland schaffen", sagte Lenihan.

So hartnäckig seine Regierung geleugnet hatte, dass Irland EU-Hilfe braucht, so heftig sind jetzt die Kürzungen, die den Iren bevorstehen. Sie treffen vor allem jene, denen es schon jetzt finanziell nicht sonderlich gut geht. Beispielsweise soll der Mindestlohn von derzeit 8,65 Euro um einen Euro sinken. Außerdem plant die Regierung, die Steuerpflicht auszuweiten: Steuerlücken sollen geschlossen, der Grundfreibetrag gesenkt werden. Auf Geringverdiener kommt damit eine doppelte Belastung zu.

Auf der nächsten Seite: Die Mehrwertsteuer steigt, auch Hausbesitzer müssen zahlen. Die Unternehmenssteuer aber bleibt niedrig.

Irland bleibt Steuerparadies für Unternehmen

Alle Verbraucher betrifft die Anhebung der Mehrwertsteuer, die derzeit 21 Prozent beträgt. Sie soll bis 2014 um zwei Prozent steigen. Außerdem soll eine Grundsteuer eingeführt werden, von 200 Euro pro Haushalt ist die Rede. Ab 2014 müssen die Iren zudem erstmals für ihr Trinkwasser zahlen. "Es werden mehr Menschen Steuern zahlen. Und alle zahlen mehr", brachte die Irish Times den Effekt des Sparplans auf den Punkt.

Große Einschnitte wird es auch im Sozialwesen geben, das der Staat derzeit mit 120 Millionen Euro täglich finanziert, wie der zuständige Minister Eamon O Cuiv kürzlich vorrechnete. Das Budget von mehr als 20 Milliarden Euro steht schon länger zur Debatte. Nun soll in vielen Bereichen um fünf Prozent gekürzt werden - etwa beim Kindergeld oder beim Arbeitslosengeld.

Finanzspritze für gefährdete Institute

Die staatliche Rentenversicherung soll von den Einsparungen vorerst verschont bleiben, der öffentliche Sektor muss hingegen bluten: 25.000 Stellen sollen gestrichen werden, Pensionen für ehemalige Beamte sollen sinken.

Die irischen Banken, deren enorme Verschuldung der Auslöser für die Krise war, werden in Zukunft eine Bankensteuer zahlen müssen. Darauf hat sich Dublin in einem Kompromiss mit der EU geeinigt, nachdem es die von der Staatengemeinschaft geforderte Anhebung seiner sehr niedrigen Unternehmensbesteuerung abgelehnt hatte.

Zuvor sollen die Banken jedoch mit einer kräftigen Finanzspritze aufgepäppelt werden. Ein Teil der 85 Milliarden Euro aus dem EU-Rettungstopf solle dafür eingesetzt werden, die Kapitalreserven der irischen Banken auf einen Anteil von acht auf 10,5 beziehungsweise zwölf Prozent zu erhöhen, berichteten die Irish Times und der staatliche Rundfunksender RTE am Mittwoch. Im Gegenzug werde der Staat einen größeren Anteil an den zwei am meisten schwächelnden Finanzinstitute - Allied Irish Banks (AIB) und Bank of Ireland - übernehmen.

Cowen lehnt den Rücktritt ab

Schon vor der Veröffentlichung des 160 Seiten starken Sparplans hatte sich Finanzminister Brian Lenihan zuversichtlich geäußert: IWF und EU-Kommission seien dadurch "auf breiter Basis zufriedengestellt", sagte Lenihan. Der finnische EU-Finanzkommissar Olli Rehn sprach ebenfalls schon vor der Veröffentlichung des Sparpakets von einem "Meilenstein" für die Rettung der irischen Wirtschaft. Bei der Verabschiedung des Haushalts mahnte er zur Eile: "Jeder Tag, der bis dahin verstreicht, bringt mehr Unsicherheit", sagte Rehn.

Die irische Regierung will den Sparhaushalt am 7. Dezember verabschieden - zu spät für Rehns Geschmack. Nach diesem Datum dürften die Forderungen nach einem Rücktritt des Ministerpräsidenten Brian Cowen wieder lauter werden. Am Dienstagabend hatte Cowen einen parteiinternen Aufstand überstanden. Mehrere Mitglieder seiner Partei Fianna Fail hatten sich bei einem Fraktionstreffen für einen schnellen Rückzug Cowens ausgesprochen - jedoch konnten sie keinen Herausforderer präsentieren.

Cowen hat bislang stets erklärt, er sei erst Anfang kommenden Jahres zu Neuwahlen bereit, wenn der Nothaushalt durch das Parlament gebracht sei und Verhandlungen mit der EU über das Rettungspaket für Irland erfolgreich beendet seien. Cowen selbst nannte keinen konkreten Termin für die Neuwahl. Mit den abschließenden Beratungen des neuen Haushalts wird nicht vor Ende Januar oder Februar gerechnet, so dass die Wähler voraussichtlich nicht vor März zu den Urnen gerufen werden.

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