Finanzkrise in Europa:Gesucht: Mut zum Befreiungsschlag

Der deutsch-französische Motor läuft - das ist das wichtigste Zeichen, das Merkel und Sarkozy mit ihrem Krisengipfel gesetzt haben. Jetzt müssen Kanzlerin und Präsident ihren Vorgaben gerecht werden. Wollen sie aber mehr als Nothilfen durch Rettungsschirme und politische Abstimmung auf freiwilliger Basis, müssen sie die europäischen Verträge ändern - ein steiniger Weg ohne wirkliche Alternative.

Martin Winter

Deutschland und Frankreich sind wieder zurück im europapolitischen Geschäft. Sicher, es war von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy nicht gerade klug, unter dem Druck gegen Frankreich gerichteter Börsengerüchte zu einem Gipfel zu laden. Sie sollten wissen, dass politische Spitzentreffen nicht dazu taugen, nervös gewordene Finanzmärkte zu beruhigen. Das ist auch in Paris nicht gelungen. Wie auch? Den großen Wurf gibt es in einer so komplexen Krise nun einmal nicht. Dennoch war das Treffen nützlich. Es bringt politisch langfristig mehr, als es auf den ersten Blick scheint.

France's President Sarkozy and German Chancellor Merkel talk during a news conference at the Elysee Palace in Paris

Müssen ihrem Führungsanspruch in Europa gerecht werden: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy.

(Foto: REUTERS)

Jenseits der kurzfristigen Reaktionen aus der Finanzwelt und aus der Politik haben Merkel und Sarkozy nämlich zweierlei geschafft: Sie haben die Zweifel am deutsch-französischen Duo ausgeräumt. Und sie haben eine klare Linie gezogen, was in Europa unter den gegenwärtigen Bedingungen machbar ist.

Mit der zwischen Berlin und Paris verabredeten Harmonisierung der Körperschaftsteuer und dem gemeinsamen Vorstoß für eine Finanztransaktionsteuer, sowie für die Verankerung einer Schuldenobergrenze in den Verfassungen der Länder der Eurozone werden gleich zwei Signale in die Welt geschickt: Frankreich und Deutschland sind sich ihrer gemeinsamen Verantwortung für Europa bewusst. Und sie wissen, dass es dazu keine Alternative gibt. Für Europa ist das gut, denn Zweifel am deutsch-französischen Motor sind auch Zweifel an der Überlebensfähigkeit der Europäischen Union.

Europapolitisch haben Merkel und Sarkozy - nachdem vorher vom Rettungsschirm über den Stabilitätspakt bis zur Haushaltsdisziplin ja bereits einiges auf den Weg gebracht worden war - den Schlusspunkt dessen markiert, was in der Europäischen Union vertragsrechtlich derzeit möglich ist. Mehr geht nicht.

Selbst die vorgeschlagene Wirtschaftsregierung wird, wie alle bisherigen Versuche der wirtschaftspolitischen Koordinierung der Mitgliedsländer nicht viel bringen. Denn die ist freiwillig, und das funktionierte auch bisher schon nicht.

Wer mehr will als die Nothilfe durch Rettungsschirme, eine striktere Stabilitätspolitik oder eine freiwillige Abstimmung der Wirtschaftspolitiken in der EU, der muss die europäischen Verträge ändern. Denn alles, was unter die Kategorie Befreiungsschlag fällt, also Euro-Anleihen, Fiskalunion oder Wirtschaftsregierung mit Durchgriffsrecht in die Mitgliedsländer, wäre durch sie nicht gedeckt. Euro-Anleihen kann es nur mit einer großen Reform des Vertrags von Lissabon geben.

Zur Ehrlichkeit in der Politik gehört es deshalb, auch zu sagen, dass es Euro-Bonds frühestens in drei bis fünf Jahren geben könnte - und auch das nur, wenn man gleich mit der Reform beginnt. Sie taugte dann zwar nicht dazu, die gegenwärtige Krise zu bewältigen, aber langfristig zöge sie der EU den Stabilitätsanker ein, den sie braucht. Euro-Anleihen können, wie Sarkozy sagte, erst am Ende einer weiteren Integration der EU eingeführt werden.

Der Weg der Reform aber ist steinig, doch es gibt keine Alternative dazu. Für neue Finanzinstrumente und neue politische Strukturen in der EU aber kann dann nicht mehr das Argument der Abwehr einer unmittelbaren Gefahr gelten, das für den momentan gültigen Rettungsschirm noch zulässig war. Nötig ist daher der politische Mut zur Änderung der Verträge. Und das nicht nur, weil sonst die Gefahr besteht, dass spätestens das deutsche Verfassungsgericht der Europapolitik Steine in den Weg legt.

Europa wartet auf Anschub von Merkel

Die Europäische Union kann sich auch vor ihren Bürgern nur mit Zweierlei legitimieren: Mit Verträgen, die die Dinge zwischen den Staaten und den Völkern eindeutig regeln, und mit dem Vertrauen, dass diese Regeln auch eingehalten werden. Wird dieses Vertrauen beschädigt, verliert die Europäische Union den Rückhalt bei den Menschen - und damit den Boden unter den Füßen.

In Paris haben Merkel und Sarkozy vor aller Welt den deutsch-französischen Führungsanspruch in Europa erneuert. Dem werden die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident aber nur gerecht, wenn sie nun auf kurze Sicht dafür sorgen, dass die bereits verabredeten und unter dem gegenwärtigen Vertrag möglichen Schritte auch ruhig, aber entschlossen getan werden.

Noch im September sollte mit dem Europäischen Parlament ein Kompromiss über die Instrumente des neuen Paktes für Stabilität und Wachstum gefunden werden. Paris muss hier von seinen starren Positionen abrücken. Auch die verabredete vertragsrechtliche Absicherung der Umwandlung des temporären Euro-Rettungsschirms in einen dauerhaften sollte zügig umgesetzt werden.

Wirklich dienen Frankreich und Deutschland Europa aber nur, wenn sie eine Reform der Reform anschieben. Die Krise hat die Schwächen des Lissabon-Vertrags offengelegt: Mit ihm ist die EU nicht für die Herausforderungen gerüstet, denen sie sich als Wirtschafts- und Währungsunion gegenüber sieht.

Anstatt sich weiter gegen Euro-Anleihen zu sperren, sollte Angela Merkel sich an die Spitze der Debatte setzen und sie für die Reform Europas nutzen. Gemeinsam mit Frankreich könnte Deutschland damit Europa den Anschub geben, auf den die EU seit Beginn der Krise wartet.

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