Süddeutsche Zeitung

Finanzkrise:Barrosos Worte sind unklar - und verantwortungslos

EU-Kommissionspräsident Barroso diagnostiziert eine "systemische Krise" und schreckt damit Europa auf. Wer aber auf Erklärungen wartete, was er damit meine, wartete vergebens. Es sind genau solch unklare Botschaften, die die Spirale der Schuldenkrise weiter beschleunigen.

Cerstin Gammelin

José Manuel Barroso hält gerne wegweisende europäische Reden - und vergisst nie dabei zu erwähnen, wie er sich als Präsident der Europäischen Kommission um das Wohlergehen aller 500 Millionen Europäer sorgt. Unzählige "roadmaps", "growth surveys", "pacts" und "packages" kann der rhetorisch begabte Portugiese binnen kürzester Zeit aufzählen und ausführlich erläutern. Dabei ficht ihn nicht unbedingt an, dass seine Zuhörer wahrscheinlich nie alle Details verstehen. Wichtig ist Barroso vor allem die Botschaft - so wie an diesem Mittwoch in Straßburg.

Ausführlich sprach er dort wie immer über sich und die Europäische Kommission und deren Pläne - beim Zuhörer hängen blieb allerdings vor allem ein Satz: Dass nämlich die Gemeinschaft jetzt in einer"systemischen Krise" stecke. Diese dramatischen Worte dürften so manchen aufgeschreckt und begierig auf weitere Erklärungen warten haben lassen.

In einer systemischen Krise zu sein: Heißt das vielleicht, dass der Euro-Klub gerade zerfällt oder vielleicht sogar die Europäische Union? Oder meint Barroso vielleicht sogar das kapitalistische System? Das Warten war vergebens. Der Portugiese versäumte es, diese entscheidenden Details zu erklären, und so blieb seine Botschaft so unklar wie bedeutungsschwanger.

Das aber ist verantwortungslos. Es sind genau solche offenen Botschaften, die immer wieder dafür sorgen, dass sich die Spirale der Schuldenkrise immer schneller dreht. Gerade von den europäischen Lenkern dürfen die Bürger Europas erwarten, dass sie sich vorher genau überlegen, was sie sagen wollen - und sich dann auch klar und unmissverständlich ausdrücken können.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2011/sebi
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