Süddeutsche Zeitung

Finanzierung des IS durch Öl:Schwarze Fahne, schwarzes Gold

Drei Millionen Dollar Umsatz täglich: Die Terrormiliz "Islamischer Staat" ist durch Erdöl reich geworden. Deshalb zielen die Luftangriffe der USA auf Raffinerien. Inzwischen zeigen die Angriffe Wirkung - allerdings nicht nur die gewünschte.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Erdöl hat im Nahen Osten nicht nur den Monarchien am Golf unermesslichen Reichtum beschert, auch der Terrormiliz Islamischer Staat bringt es erkleckliche Einnahmen. Drei Millionen Dollar setzten die Ultraislamisten mit dem Verkauf von Rohöl und Raffinerieprodukten täglich um, schätzte das zuständige Regionalkommando des US-Militärs, bevor es am 23. September die ersten Luftangriffe im Irak und in Syrien gegen die Kämpfer des selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi flog.

Die improvisierten Raffinerien und in geringerem Maße auch Ölförderanlagen in den IS-Gebieten wurden daher schnell zu Zielen für die Kampfjets aus den USA und verbündeten europäischen und arabischen Staaten. Inzwischen zeigen die Bomben Wirkung. Allerdings nicht nur so, wie es sich die Mitglieder der Anti-IS-Koalition wünschen.

"Niemand hat genaue Zahlen"

Laut einem Bericht der Internationalen Energieagentur vom Dienstag ist die Tagesproduktion in den vom IS gehaltenen Gebieten von 70 000 Barrel (à 159 Liter) im Sommer inzwischen auf etwa 20 000 Barrel gesunken. Der Einbruch ist spürbar: Die Einnahmen beliefen sich demnach nur mehr auf geschätzt eine Million Dollar am Tag. Die Menge des über die Grenzen in die Türkei, die irakischen Kurdengebiete, nach Iran und Jordanien geschmuggelten Öls sei von 30 000 auf 10 000 Barrel zurückgegangen.

Allerdings gaukeln diese Zahlen vor, dass es exakte Erkenntnisse über Förderung und Verkäufe aus den IS-Gebieten gäbe - die so nicht existieren. "Niemand hat genaue Zahlen, alle Schätzungen, auch die des US-Militärs, beruhen auf einer Reihe von Annahmen, die wiederum nur zu einem Teil auf gesicherten Informationen fußen", warnt der Nahostexperte David Butter vom Londoner Think Tank Chatham House, "und IS veröffentlicht keine Statistiken."

Mindestens 16 improvisierte Raffinerien sollen bei den Luftschlägen bisher zerstört worden sein. Jede von ihnen kann 300 bis 500 Barrel Öl pro Tag verarbeiten. "Die Angriffe haben zumindest vorübergehend Auswirkungen", sagt Butter, allerdings ließen sich die Anlagen binnen zehn bis 15 Tagen durch neue ersetzen, die jenseits der türkischen Grenze für 200 000 bis 300 000 Dollar zu bekommen seien.

Anzeichen für die Anschläge auf Raffinerien sind steigende Preise

Ein deutliches Anzeichen dafür, dass Diesel und Benzin knapper werden, sind Berichte aus Syrien über einen starken Anstieg der Preise, auch in von Rebellen gehaltenen Gebieten wie Aleppo, die von der Versorgung aus den vom IS gehaltenen Ölfeldern um Deir al-Sor und Hassakah abhängig sind. Sie sind die einzigen nennenswerten Energiequellen in den nicht von Regierungstruppen gehaltenen Gebieten.

So kostete ein Barrel Diesel in Aleppo Anfang Oktober bereits umgerechnet 112 Dollar, während der Preis im Sommer noch bei etwa 75 Dollar gelegen habe, wie ein lokaler Händler dem Internetportal Al-Monitor sagte. Dadurch steigen auch die Preise für Lebensmittel, Transport und Strom. Der muss in den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten mit Dieselgeneratoren erzeugt werden, weil das Regime die Versorgungsleitungen gekappt hat.

So verschlechtern sich die ohnehin schon äußerst harschen Lebensbedingungen auch dort weiter, wo noch nicht der Islamische Staat herrscht. Zu den Preissteigerungen beigetragen haben könnten nach Butters Meinung neben den Bombardements aber auch andere Faktoren, etwa eine höhere Nachfrage wegen des näher rückenden Winters. Zudem seien vor allem die Ölfelder in Syrien nur mit hohem technischen Aufwand auszubeuten, den der IS offenbar immer weniger zu bewältigen in der Lage sei.

Treibstoff verteilen, um sich bei der Bevölkerung beliebt zu machen

In den vom IS kontrollierten Gebieten leben schätzungsweise sechs bis acht Millionen Menschen - sie sind die wichtigsten Abnehmer für das, was übrig bleibt, wenn die Kämpfer ihre Pick-ups und Panzer mit Sprit versorgt haben. Angeblich verteilen die Milizionäre gelegentlich Treibstoff, um sich bei der Bevölkerung beliebt zu machen. Von Händlern hingegen kassieren sie an Kontrollposten Wegzoll.

Das Schmuggelgeschäft wiederum lässt sich kaum wirksam eindämmen. Die türkische Regierung betont zwar, sie unternehme dafür große Anstrengungen, aber das Netz aus vielen kleinen Händlern auf beiden Seiten der Grenze besteht schon viel länger, als der Krieg in Syrien dauert. Früher verkauften sie hoch subventionierten Diesel aus Syrien gewinnbringend in der Türkei weiter, heute tauschen die gleichen Händler Rohöl aus Syrien gegen Benzin und Diesel aus dem Nachbarland. Manche von ihnen besitzen nicht einmal Tankwagen, sondern fahren Fässer auf Pick-ups oder im Kofferraum durch die teils unwegsamen Gegenden.

Über Zwischenhändler landen Öl, Diesel und Benzin aus dem Kalifat sogar in Gebieten, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, davon ist Butter überzeugt. Bislang konnte das Regime dank großzügiger Öllieferungen aus Iran seinen Bedarf über die Raffinerie in der Hafenstadt Baniyas decken - doch seit August sind mehrere Tanker dort nicht planmäßig angekommen, sodass das Regime seine Preise um ein Drittel erhöhen musste. Bei 25 Dollar pro Barrel Rohöl, die der IS bis vor Kurzem verlangte, einem Viertel des Weltmarktpreises, lohnt sich das Geschäft für alle Beteiligten immer noch.

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SZ vom 16.10.2014/ahem
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