Finanzhilfen:Geld und Menschenrecht

Der Türkei helfen – wie geht das?

Einem anderen Staat unter die Arme greifen, wie von Andrea Nahles im Fall der Türkei angedeutet - das ist leichter gesagt als getan. Der Bund hat zwar eine Menge Instrumente dafür, doch für eine ernstliche Wirtschaftskrise wie in der Türkei reichen die meisten nicht. Zumal die Türkei nicht irgendein Land ist.

Schließlich gilt sie als aufstrebendes Schwellenland - weswegen die letzten Entwicklungshilfemittel 2008 ausliefen, nach 50 Jahren der Entwicklungszusammenarbeit. "Eine Wiederaufnahme ist angesichts des hohen Entwicklungsstandes der Türkei nicht geplant", heißt es im Entwicklungsministerium. Unterstützungen gab es zuletzt nur im Zusammenhang mit dem Syrienkrieg. Seit 2012 flossen nach Angaben des Ministeriums noch 290 Millionen Euro in die Türkei. Allerdings zugunsten syrischer Flüchtlinge.

Deutlich höher fallen die Ausfuhrversicherungen aus, die der Bund an deutsche Exporteure vergeben hat. Allein im ersten Halbjahr hat er Lieferungen in die Türkei mit 832 Millionen Euro an Exportkreditgarantien abgesichert. Für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern sind solche Hermes-Bürgschaften wichtig; deutsche Firmen müssen so nicht fürchten, auf offenen Rechnungen sitzen zu bleiben. Viel Spielraum allerdings hat die Bundesregierung hier nicht: Gedeckelt sind die Garantien ohnehin nicht mehr, und über die Einordnung in Risikogruppen befindet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit, OECD. An diesem Risiko wiederum bemisst sich, ob und wie teuer die Kreditgarantien vergeben werden.

Bliebe noch die Allzweckwaffe des Bundes, die staatseigene Bankengruppe KfW. Sie springt oft ein, wenn es brenzlig wird; zuletzt übernahm sie auf Geheiß des Bundes sogar Anteile eines Stromnetzbetreibers, um den Einstieg chinesischer Investoren zu verhindern. Mit Hilfen für klamme Staaten hat die Staatsbank einige Erfahrung: Als es beim ersten Rettungspaket für Griechenland schnell gehen musste, vergab sie 15,2 Milliarden Euro als Notkredit für Athen. Allerdings handelt sie nur auf Basis ordentlicher "Zuweisungsschreiben" - und nicht auf eigenes Risiko. Der Bund müsste einspringen, sollte die Türkei am Ende säumig bleiben.

Michael Bauchmüller

Erdoğan versucht wegen der Wirtschaftskrise, die EU milde zu stimmen. Sollte die Bundesregierung ihm nun aus der Patsche helfen?

Von Stefan Braun

Andrea Nahles, die SPD-Chefin, dürfte gewusst haben, was sie mit ihrer Botschaft auslösen würde. Als sie am Wochenende sagte, es könne der Moment kommen, an dem man der wirtschaftlich in die Krise geratenen Türkei helfen müsse, war klar: Das hat heftige Reaktionen zur Folge.

Die Türkei des Recep Tayyip Erdoğan - das ist ein großes Reizthema in Deutschland. Und wenn die Vorsitzende der Sozialdemokraten fordert, ausgerechnet diesem Land müsse man möglicherweise zur Seite springen, ist Aufregung programmiert. Zu sehr hat Erdoğan Deutschland provoziert; zu oft hat er signalisiert, dass ihn deutsche Ermahnungen zum Beispiel in Sachen Menschenrechte nicht interessieren.

Also sagte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock, sie lehne bedingungslose Hilfen für das Land ab. "Finanzielle Hilfe kann es nur unter der Bedingung der Rückkehr zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geben", sagte Baerbock. Nicht anders klang der außenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt. Der Christdemokrat sagte, von Hilfen halte er wenig, solange sich das Regime in Ankara beim Thema Meinungsfreiheit nicht grundsätzlich ändere. "Wenn er da nicht rauskommt aus der Ecke, macht es keinen Sinn, Wirtschaftshilfen oder Finanzhilfen zu gewähren." Dass die Journalistin Meşale Tolu nun ausreisen darf, ändert erst einmal nicht viel.

Noch deutlicher gaben sich Politiker von FDP und CSU. Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff erklärte: "Hier muss man nicht helfen." Er sprach von einem "absurden" Vorschlag und warf der SPD "eine Art Helfersyndrom vor". Es bestehe keine Ansteckungsgefahr für die Weltwirtschaft durch die Türkei und also kein Handlungsbedarf. Ähnlich eindeutig formulierte der bayerische Finanzminister Albert Füracker sein Nein. Der CSU-Politiker betonte, Hilfen seien "weder notwendig noch ratsam". Im übrigen sei der Internationale Währungsfonds der Ansprechpartner. Ein Diktum, das der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger von der CDU wiederholte.

Was indes bei allen Wortmeldungen deutlich wurde: Kaum einer rief bedingungslos Nein; die meisten sagten bedingungsvoll Jein. Denn alle wissen, wie heikel es wäre, wenn die Türkei in die totale Krise geraten würde. Selbst harte Kritiker einer Hilfe wie Lambsdorff betonen, dass auf keinen Fall alle Brücken zur Türkei abgebrochen werden dürften. Helfen, wenn die Bedingungen passen - das ist der Ton, der bei den meisten mitschwingt.

Auch Regierungssprecher Steffen Seibert hinterließ am Montag diesen Eindruck. Der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel erklärte zunächst, dass Hilfen nicht zur Debatte stünden - und sagte einen Satz später, dass eine instabile Türkei nicht im Interesse Berlins sein könne. Aus diesem Grund, so Seibert, würden sich vor dem geplanten Besuch von Erdoğan in Deutschland Ende September ja auch die Finanz- und Wirtschaftsminister der beiden Länder treffen.

Bis dahin dürfte die Debatte weitergehen. Und dann wird sich auch zeigen, ob Andrea Nahles einfach mal eine Idee lancieren wollte - oder mit einem konkreten Vorschlag aufwartet. Anders als ihre Kritiker ist sie bei den Bedingungen bislang reichlich unpräzise geblieben.

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