Finanzen:Das Geld als Hebel

Der neue Haushaltskommissar Günther Oettinger will EU-Zahlungen künftig stärker an Bedingungen knüpfen - etwa rechtsstaatliches Wohlverhalten.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Kaum etwas hat in Europas Hauptstädten in den vergangenen Jahren mehr Frust geweckt als jene Mitgliedstaaten, die nach allgemeiner Ansicht Grundwerte der EU missachten und ungeschoren davonkommen. Ungarn etwa hat zweifelhafte Mediengesetze erlassen und sich jeglicher Solidarität in der Flüchtlingskrise verweigert; Polen stellt die Unabhängigkeit seiner Justiz infrage. Ein wirksames Gegenmittel gibt es nicht, denn das dafür vorgesehene Rechtsstaatsverfahren kann in letzter Konsequenz von einem befreundeten Mitgliedstaat blockiert werden.

Österreichs Kanzler will kürzen, wenn Länder sich beim Thema Migration "wegducken"

Seit Langem wird daher gefordert, einen anderen, möglicherweise kräftigeren Hebel anzusetzen: das Geld. Allein Polen erhält aus den verschiedenen Strukturfonds der EU in der laufenden Haushaltsperiode von 2014 bis 2020 mehr als 80 Milliarden Euro. Hier könne gekürzt werden, wenn sich Länder "bei der Lösung der Migrationsfrage weiterhin konsequent wegducken oder Steuerdumping auf Kosten der Nachbarn betreiben", sagt etwa Österreichs Kanzler Christian Kern. Deutsche Politiker haben sich ähnlich geäußert.

Bisher war die Diskussion abstrakt, nun wird es ernst. Der Hauptgrund: In den kommenden Monaten wird der neue "Mehrjährige Finanzrahmen" der EU für 2020-2027 erarbeitet. Und bei der Gelegenheit ließe sich an den Bedingungen schrauben, unter denen Geld aus den Strukturfonds fließt. Deutschland, der absolut gesehen größte Nettozahler der EU, warf jetzt einen Stein ins Wasser. In einer Stellungnahme zur "Kohäsionspolitik der EU nach 2020" zu Händen der EU-Kommission bat die Bundesregierung zu prüfen, "ob der Erhalt von EU-Kohäsionsmitteln auch an die Einhaltung von rechtsstaatlichen Grundprinzipien geknüpft sein kann". Die Kohäsionsmittel sollen den Rückstand der ärmeren zu den reicheren Mitgliedstaaten verringern; bis 2020 erhält Polen 23,2 Milliarden, mehr als ein Drittel des gesamten Topfes.

Der neue EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger nahm den Ball auf. Im Herbst muss er einen Vorschlag für den neuen Finanzrahmen präsentieren (was wegen des Brexit eventuell verschoben wird), aber schon am 28. Juni wird er ein Reflexionspapier zur Zukunft der EU-Finanzen vorlegen. Am Dienstag deutete der Schwabe an, was seiner Behörde vorschwebt. Der Kerngedanke lautet, eine stärkere "Konditionalität" einzuführen, sprich: die Auszahlungen vermehrt an Bedingungen zu knüpfen. Das sollen zum einen wirtschaftliche Vorgaben sein. Bisher scheren sich die Empfänger kaum um die "länderspezifischen Empfehlungen", die die EU an sie richtet. Man sei aber "nicht von jedem Kohäsionsprojekt überzeugt", sagte Oettinger, der gerne über überflüssige Hafenanlagen lästert. Manches biete Mehrwert, anderes sei bloß Strohfeuer. Künftig sollten zum Beispiel Länder mit einer schwachen digitalen Infrastruktur zum Ausbau ihres Glasfasernetzes gezwungen werden können.

Derselbe Gedanke findet sich im deutschen Positionspapier sowie in den Weißbuch-Ideen zur Reform der Euro-Zone. Die Umsetzung wird schwierig, denn auch die Empfängerländer müssen den neuen Regeln zustimmen. Oettinger glaubt dies mit einem Appell an die Vernunft erreichen zu können. Wegen des Brexit und neuer Prioritäten wie Flüchtlingshilfe, Sicherheit und Forschung werde insgesamt weniger Geld zur Verfügung stehen, das dafür gezielter verteilt werden müsse. Problematisch ist, dass die Länder-Empfehlungen damit fast Gesetzeskraft erhielten. Sie werden von den EU-Staaten im Ministerrat verabschiedet. Das sei demokratisch genug, sagt Oettinger. Sinnvoller wäre es, auch das Europäische Parlament einzuschalten.

Viel heikler noch ist die von Berlin und auch von Oettinger aufgeworfene Koppelung an rechtsstaatliches Wohlverhalten. Wie lässt sich der erwartbare Protest der Nehmerländer überwinden? Wer entscheidet, wann eingegriffen wird? Hier müssten nach Ansicht Oettingers zunächst Verfahren entwickelt werden, "wie wir einen Mitgliedstaat jenseits seiner wirtschaftlichen Stärken oder Schwächen evaluieren".

Aus Polen jedenfalls drang sofort ein markantes Zeichen des Widerstands. Die Pläne verstießen gegen den EU-Vertrag, erklärte Ministerpräsidentin Beata Szydło lakonisch. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich skeptisch. Er halte nichts von dieser Verknüpfung. Er habe zwar Lust, manchmal so vorzugehen. Doch das wäre "Gift für den Kontinent".

Der EU steht, so scheint es, eine weitere hässliche, aber unumgängliche Diskussion bevor.

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