Fiebersäfte werden unter Eltern derzeit gehandelt wie Gold. "Hast du noch einen Ibu-Saft daheim?", fragen Mütter mit fiebernden Kleinkindern hoffnungsvoll per Whatsapp im Freundeskreis nach. Andere Eltern tigern von Apotheke zu Apotheke, aber nur wenn sie Glück haben, ergattern sie noch irgendwo eines der letzten Fläschchen.
Angesichts des gravierenden Engpasses bei fiebersenkenden Medikamenten für Kleinkinder hat der Verband der Kinder- und Jugendärzte die Bundesregierung soeben zum Handeln aufgefordert. "Wir brauchen jetzt eine von der Politik angeschobene Beschaffungsaktion, um wie zu Beginn der Corona-Pandemie in einer Notlage schnell an Fiebersaft, bestimmte Antibiotika und andere selten gewordene Präparate für kleine Kinder zu kommen", sagte Verbandspräsident Thomas Fischbach der Rheinischen Post.
Muss die Politik eingreifen?
Unterstützung hat Fischbach bereits aus der CDU bekommen. "Noch vor Jahresende muss es einen Beschaffungsgipfel von Bund und Ländern geben, in dem Sofortmaßnahmen für diesen Winter koordiniert werden", sagte Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, dem Nachrichtenportal t-online. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) müsse sich "schnellstens" mit Ländern, Herstellern und Großhändlern abstimmen, sich um Lieferungen aus Nachbarländern bemühen und so rasch wie möglich einen Planungs- und Beschaffungsstab einrichten, forderte er. Wichtige Kinderarzneimittel, vor allem Fiebersenker, Antibiotika oder Hustenmittel, müssten jetzt zentral vom Bundesgesundheitsministerium gekauft, gelagert und verteilt werden.
Eingriffe der Politik haben bei früheren Problemen mit der Arzneimittelversorgung durchaus kurzfristig geholfen. So fehlte es Anfang des Jahres an dem Brustkrebsmedikament Tamoxifen. Die Notsituation löste sich auf, weil das Bundesgesundheitsministerium die Einfuhr der Tabletten aus dem Ausland erlaubte und Unternehmen Sonderschichten fuhren.
Allerdings ist der aktuelle Mangel an Fiebersäften für Kinder keineswegs mit den Engpässen bei anderen Arzneimitteln vergleichbar. Er geht weder auf Lieferschwierigkeiten einzelner Hersteller zurück noch darauf, dass Arzneimittel in Deutschland zu schlecht bezahlt werden. Derzeit sind schlicht und ergreifend mehr Kinder krank als sonst.
Kein Tag ohne Meldung eines Engpasses
"Es ist nicht so, dass immer weniger Fiebersaft in den Markt gekommen wäre", erklärt ein Specher des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung und verweist auf eine detaillierte Analyse der Verfügbakeit von fiebersenkenden Säften durch sein Amt: "Die Einfuhr solcher Säfte hat in den vergangenen Monaten sogar immer weiter zugenommen." Das Institut appelliert deshalb an Apotheken, Ärzte und Eltern, in der aktuellen Notsituation keine Vorratshaltung zu betreiben und älteren Kindern Tabletten statt Säfte zu geben. Auch bekommen Apotheken selbst angemischte Schmerzmittelsäfte erstattet, was die Lage zumindest etwas entspanne.
Auch wenn der Mangel an Fiebersäften seine ganz eigene Ursache hat: Dass es immer wieder Engpässe auch bei überlebenswichtigen Arzneien wie Antibiotika oder Krebsmedikamenten gibt, ist mittlerweile Normalität in Deutschland geworden. Es vergehe kaum noch ein Tag, an dem es keine Engpassmeldung aus der Klinikapotheke gebe, sagt Bernd Mühlbauer, stellvertretender Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Dafür sieht Mühlbauer eine Vielzahl von Gründen. Akute Probleme in Fabriken in China oder Indien, wohin ein Großteil der Arzneimittelproduktion verlagert sei, wirkten sich mitunter drastisch auf den europäischen Markt aus. Am bedeutsamsten sei aber die Preispolitik bei Arzneimitteln in Deutschland. Die Rabattverträge der Krankenkassen nähmen zum Teil absurde Ausmaße an, sagt Mühlbauer, "als würde VW einen Golf für 13,50 Euro verkaufen müssen". Die Lösung für das Gros der Probleme liegt seiner Ansicht nach deshalb auf der Hand: "Führt die Alltags-Arzneimittel zu einem vernünftigen Preis zurück, damit sich die Herstellung auch in Irland und Italien wieder lohnt, dann wird es keine Engpässe mehr geben", so der Pharmakologe, "dann braucht es auch kein zentrales Beschaffungsprogramm durch den Staat."
Es werde an einer Lösung gearbeitet, sagte Gesundheitsminister Lauterbach am Donnerstag und kündigte an, in der kommenden Woche konkrete Maßnahmen bekannt zu geben. Vor zwei Wochen hieß es bereits aus dem Ministerium, Lieferketten sollten breiter angelegt und das Vergaberecht geändert werden. Das solle die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern mindern. Zudem sollten Krankenkassen nicht länger gezwungen sein, Medikamente und Wirkstoffe dort einzukaufen, wo sie am billigsten sind.