Süddeutsche Zeitung

Rechtspopulismus:Orbán will Europas Rechte einen

Nach dem Austritt seiner Fidesz aus der Europäischen Volkspartei geht der ungarische Ministerpräsident weiter auf Konfrontationskurs zu Brüssel. Treffen mit Lega-Chef Matteo Salvini und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sind schon geplant.

Von Cathrin Kahlweit und Matthias Kolb, Brüssel/Wien

In seinem wöchentlichen Interview auf Kossuth Radio, Propaganda-Werkzeug und aktueller Gradmesser der Stimmung von Viktor Orbán, kommentierte Ungarns Ministerpräsident den Abschied der Regierungspartei Fidesz aus der EVP-Parteienfamilie lakonisch: "Es war gut, es war schön, aber wir hatten genug". Als sei der Austritt nur eine Lappalie, hatte am Donnerstag Ungarns Familienministerin Katalin Novák das Schreiben von Fidesz an die EVP in den sozialen Medien mit einem hingeworfenen "Auf Wiedersehen" begleitet.

Orbán kritisierte die EU, die sich weniger mit der Erschöpfung und den Sorgen der Bevölkerung als vielmehr mit Impfpässen befasse. "Mein Gott", lästerte er, "das ist nun mal das Brüssel, das wir haben. Damit müssen wir leben".

Fidesz-Vize Novák warf der EVP, zu der auch CDU und CSU gehören, erneut die Förderung der Migration, einen "Linksdruck" sowie den Bruch von Zusagen vor. Tatsächlich war Fidesz nach einer Änderung der Geschäftsordnung der EVP-Fraktion im Europaparlament einer möglichen Suspendierung der Fidesz-Abgeordneten nur zuvorgekommen.

Orbán sagte im Radio, Italien, Polen und Ungarn würden nun versuchen, "die europäische Rechte neu zu organisieren". In naher Zukunft sei ein persönliches Treffen mit Lega-Chef Matteo Salvini und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki geplant. Morawiecki ist Mitglied der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), wo Chef Jarosław Kaczyński alles bestimmt.

In Brüssel wird Orbáns Ankündigung mit einer Mischung aus Skepsis und Gelassenheit gesehen. Einerseits haben sich die Machtverhältnisse nach dem Austritt der zwölf Fidesz-Abgeordneten kaum verändert: Die EVP-Fraktion bleibt mit 175 Abgeordneten deutlich vor Sozialdemokraten (145 Sitze) und Liberalen (98) die stärkste Gruppe. Die drei Gruppen kommen also auf 418 der 705 Sitze. Rechnet man die 73 Grünen hinzu, so ist dies eine dicke pro-europäische Mehrheit.

Über eine rechte Superfraktion wird seit 15 Jahren geraunt

Andererseits verweisen Beobachter darauf, dass seit 15 Jahren über eine Art rechte Superfraktion geraunt wird - ohne Ergebnis. Bisher dominiert Orbáns polnischer Wunschpartner die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), in der die PiS 27 der 63 Mitglieder stellt. Salvinis Lega stellt mit 27 Abgeordneten die größte Gruppe in der rechten Fraktion Identität und Demokratie (ID), zu der auch die AfD gehört. Ein breites rechtes Bündnis hat potenziell Vorteile: Je größer die Fraktion, desto mehr Redezeit sowie Geld und Mitarbeiter.

Orbán und Kaczyński halten wenig voneinander

Herausforderungen gibt es genug: Fidesz ist kleiner als die Delegationen von PiS, Lega oder Marine Le Pens Rassemblement National, die 23 Abgeordnete umfasst. Nach SZ-Informationen betont PiS, weiter in der EKR bestimmen zu wollen. Zudem halten Orbán und Kaczyński wenig voneinander, wie etwa der ehemalige CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok berichtet, der beide seit Jahrzehnten kennt: "Für Orbán ist Kaczyński ein seltsamer Kauz."

Als inhaltliche Hürde gilt die Sicht auf Russland: Während die polnische PiS Wladimir Putins Regierung als Bedrohung ansieht, pflegt Orbáns Fidesz-Partei enge Beziehungen zu Moskau. Auch der Italiener Salvini wurde mehrfach von Putin empfangen, er kritisiert Russlands Präsident ebenso wenig wie Marine Le Pen, deren Partei Kredite einer kremlnahen Bank erhalten hat.

Neben der Frage nach der Dominanz gibt es auch Probleme im italienischen Lager: Zur EKR gehören bisher die postfaschistischen Fratelli d'Italia, deren Chefin Giorgia Meloni sogar die Parteifamilie anführt. Die "Brüder Italiens" unterstützen als einzige Partei nicht die neue Regierung von Mario Draghi, der sich sogar die EU-kritische Lega angeschlossen hat. Beide sind jedoch Rivalen im selben Wählersegment. Die Zeiten, in denen Salvini in der Lega alles bestimmen konnte, sind eh vorbei: Die moderaten Kräfte um seinen Stellvertreter Giancarlo Giorgetti, den Minister für wirtschaftliche Entwicklung, hoffen darauf, in die EVP aufgenommen zu werden. Sie wollen das populistische und fremdenfeindliche Gepolter hinter sich lassen und die schmelzende Wählerschaft von Silvio Berlusconis Forza Italia erreichen, die weiter zu Europas Christdemokraten gehören.

Aus der EVP ist unterdessen zu hören, dass die Laune eher gering sei, neue Mitglieder aufzunehmen. "Nach dem Rauswurf von Fidesz haben sich die Gewichte verschoben, so inhaltlich geeint waren wir schon lange nicht mehr", sagt ein Insider. Und auch Elmar Brok, der weiter bestens unter Europas Christdemokraten vernetzt ist, begrüßt den Austritt von Fidesz, weil der EVP so eine monatelange Hängepartie erspart bleibt. Sein Fazit: "Orbán hat es einfach übertrieben und bis auf den Österreicher Sebastian Kurz und den Slowenen Janez Janša alle Verbündeten verloren."

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