Europäische Volkspartei:13 Parteien fordern Rauswurf von Orbáns Fidesz

Hungary Prime Minister Viktor Orban arrives for a family photo during the first day of the EU summit meeting, Thursday

Das umstrittene Notstandsgesetz, erlaubt es Premier Viktor Orbán, ohne zeitliche Begrenzung per Dekret zu regieren.

(Foto: Thierry Roge/imago images)
  • In einem Brief fordern 13 Parteien der Europäischen Volkspartei, die Fidesz-Partei von Premier Viktor Orbán wegen des ungarischen Notstandsgesetz auszuschließen.
  • Orbán schreibt in seiner Antwort an die EVP-Zentrale: "Ich habe keine Zeit für so etwas." Er sei damit beschäftigt, die Gesundheit der Ungarn zu schützen.
  • CDU und CSU unterstützen den Antrag nicht. Sie finden, es gäbe wegen der Corona-Krise derzeit deutlich wichtigeres zu tun.
  • In der CDU gilt es als entscheidend, ob Orbán nach der Corona-Pandemie die Kompetenzen, die er sich jetzt ohne zeitliche Begrenzung angeeignet habe, wieder abgebe.

Von Matthias Kolb, Brüssel, und Robert Roßmann, Berlin

Der Brief an Donald Tusk umfasst nur eine Seite, aber sein Inhalt ist sehr klar. Dem Präsidenten der Europäischen Volkspartei (EVP) wird mitgeteilt, dass 13 Mitglieder der christdemokratischen Parteienfamilie den endgültigen Ausschluss der ungarischen Regierungspartei Fidesz fordern. Deren Mitgliedschaft ist seit März 2019 suspendiert, weil Fidesz "mangelnden Respekt vor dem Rechtsstaat" zeige. Die Unterzeichner sind "tief besorgt" über die Entwicklungen in Ungarn und vor allem über das umstrittene Gesetz, das den nationalen Notstand ohne zeitliche Begrenzung ausrufe und es Premier Viktor Orbán erlaubt, per Dekret zu regieren.

Unterschrieben haben den Brief an Tusk die Vorsitzenden der christdemokratischen Parteien aus Schweden, Belgien, Luxemburg, Finnland, den Niederlanden und Litauen sowie aus Tschechien und der Slowakei. Hinzu kommen die Regierungschefs aus Norwegen und Griechenland, Erna Solberg und Kyriakos Mitsotakis; Dänemarks Christdemokraten haben den Rauswurf von Fidesz in einem separaten Antrag gefordert. Es ist quasi der zweite Anlauf der bekannten Orbán-Kritiker, dessen Partei auszuschließen. Nicht dabei sind allerdings CDU und CSU, die im Machtgefüge der EVP aber eine entscheidende Rolle spielen.

Was der Pole Donald Tusk über den Platz von Fidesz in der Parteienfamilie denkt, ist kein Geheimnis. Vor seiner Wahl zum EVP-Chef im November hatte der frühere EU-Ratspräsident betont, dass die EVP unter keinen Umständen ihre Werte, die Bürgerrechte, das Rechtsstaatsprinzip und Anstand "auf dem Altar von Sicherheit und Ordnung opfern" werde. Eine solche Strategie warfen Kritiker Orbán während der sogenannten Flüchtlingskrise vor und sehen sich nun bestätigt: Er nutze die Corona-Pandemie aus, um seine Macht zu sichern.

In einem Brief an alle EVP-Parteien nannte es Tusk "politisch gefährlich und moralisch unakzeptabel", einen permanenten Ausnahmezustand auszurufen. Der Brief der 13 Parteien würde es Tusk nach den EVP-Regularien erlauben, aktiv zu werden, doch während der Corona-Pandemie, einer drohenden Rezession und strengen Ausgangsbeschränkungen ist es schwer vorstellbar, eine Sondersitzung der "Politischen Versammlung" einzurufen. Und die nächste reguläre Sitzung des Gremiums, das einem Ausschluss zustimmen muss, ist erst für Mitte Juni vorgesehen. Orbán selbst reagierte am Freitag auf den Brief der 13 EVP-Parteien mit einem Schreiben an den EVP-Generalsekretär: "Bei allem Respekt, ich habe keine Zeit für so etwas." In Zeiten der Corona-Pandemie nutze er "all seine Zeit" dafür, das Leben der Ungarn zu schützen, schrieb er und ergänzte: "Ich bin bereit, über jedes Thema zu diskutieren, wenn die Pandemie vorbei ist."

CDU fürchtet Spaltung der Europäischen Volkspartei

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat auf die Kritik an der unklaren Position der deutschen Christdemokraten noch nicht öffentlich reagiert. In ihrem Umfeld hieß es am Freitag, Kramp-Karrenbauer habe wegen der Corona-Krise derzeit deutlich wichtigeres zu tun. Die Position der CDU sei aber klar: Einerseits verurteile man völlig eindeutig nicht hinnehmbare Verhaltensweisen Orbáns, anderseits wolle man aber auch eine Spaltung der EVP vermeiden. Es sei deshalb gut, dass man Orbáns Partei Fidesz durch die geltende Suspendierung derzeit "auf Halbdistanz" halte. Fidesz habe dadurch keinen Einfluss auf Entscheidungen der EVP, gleichzeitig vermeide man die Spaltung. Denn ein Rauswurf von Fidesz würde ja auch zu Problemen mit einigen anderen Mitgliedsparteien führen, die eine Trennung von Fidesz ablehnten.

In der CDU wird oft auf das Beispiel der Tories verwiesen. Mit dem Ausstieg der britischen Konservativen aus der EVP 2009 habe die Abwendung der Partei von der EU begonnen, die am Ende zum Brexit geführt habe. Gerade in einer Zeit, in der eine starke und handlungsfähige EU notwendig sei, dürfe man nicht leichtfertig ein Land aus der Union treiben. Außerdem habe man dadurch, dass Fidesz nur suspendiert habe, immerhin vermieden, dass Orbán zum Beispiel mit dem Italiener Matteo Salvini eine neue Allianz geschmiedet habe.

In der CDU-Spitze hieß es, dass man wisse, dass man sich mit einer derartigen Mittelweg-Position in der öffentlichen Wahrnehmung nur schwer behaupten könne. Man halte die Position aber weiterhin für richtig. Entscheidend werde sein, ob Orban nach der Corona-Krise die Kompetenzen, die er sich jetzt angeeignet hat, wieder abgibt. Wenn er das nicht tun sollte, und die Zumutungen blieben, gebe es tatsächlich eine neue Lage.

In der Führung der CSU wird ähnlich argumentiert. Auch dort wird darauf verwiesen, dass man die Aufmerksamkeit jetzt doch erst einmal auf die Bewältigung der Corona-Krise richten sollte. Sicher ist bisher nur, dass sich Kramp-Karrenbauer mit CSU-Chef Markus Söder absprechen werden, bevor sie reagieren. Auch Söder hat bisher öffentliche Stellungnahmen vermieden. Auf eine Frage der Nürnberger Nachrichten, wie sehr es ihn sorge, dass Orbán im Windschatten der Krise eine Autokratie schaffe, antwortete er eher ausweichend: "Viele Nationalstaaten sind zu sehr auf sich fixiert, es fehlt der europäische Geist."

Am Freitag meldete sich mit dem Österreicher Johannes Hahn ein EVP-Vizepräsident zu Wort und nannte die Entwicklung im Spiegel "absolut besorgniserregend". Für Hahn, der in der EU-Kommission für den Haushalt zuständig ist, darf es bei der Einhaltung der Verträge "keinen Rabatt geben". Er verwies darauf, dass derzeit 14 EU-Mitgliedstaaten, die Notstandsgesetze erlassen hätten, was zumeist im engen Schulterschluss mit Opposition und Parlament geschehen sei. "Ich verstehe nicht, warum Ungarn einen anderen Weg beschreitet, zumal ­Orbáns Regierung ja ohnehin mit einer Zweidrittelmehrheit regiert", sagte der ÖVP-Politiker.

Orbán und der Preis der CSU-nahen Stiftung

Die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung prüft nach Angaben ihres Vorsitzenden, des Europaabgeordneten Markus Ferber, ob sie Orbán den im Jahr 2001 verliehenen Franz-Josef-Strauß-Preis aberkennen solle. Die Stiftung sei "nicht verantwortlich für fundamentale anderweitige Entwicklungen ihrer Preisträger, die zum damaligen Zeitpunkt weder vorhersehbar waren noch heute eine Verleihung unseres Preises ermöglichen würden", teilte sie mit. Aus dem Umfeld von Markus Söders hieß es am Freitag, die Erklärung Ferbers sei in enger Abstimmung mit dem CSU-Chef geschrieben worden. Es sei jetzt allerdings vor allem an der EU-Kommission und nicht an der EVP auf Orbáns Maßnahmen zu reagieren. Die Kommission verfüge über deutlich wirksamere Mittel.

Es ist also nicht damit zu rechnen, dass sich die Christdemokraten in den großen westeuropäischen Ländern positionieren. Italien, Spanien und Frankreich sind von der Corona-Pandemie besonders betroffen, weshalb das Agieren Viktor Orbáns für die dortigen konservativen Parteien geringe Priorität haben dürfte. Hinzu kommt, dass in allen drei Ländern mit Matteo Salvinis Lega, dem Rassemblement National von Marine Le Pen und Vox in Spanien deutliche rechtere Parteien Erfolge feiern - diese dürften einen Rauswurf von Fidesz propagandistisch ausschlachten.

Zumindest in Brüssel wird die Debatte über das ungarische Notstandsgesetz anhalten. Zahlreiche EU-Abgeordnete, vor allem aus den Fraktionen der Grünen, Sozialdemokraten, Liberalen und Linken, laufen seit Tagen Sturm. David Sassoli, der Präsident des Europaparlaments, erhielt am Donnerstag den Auftrag, die Europäische Kommission "zu fragen, wie sie auf das vom ungarischen Parlament verabschiedete Gesetz zu reagieren beabsichtigt", wie er mitteilte. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte ebenfalls am Donnerstag erklärt, dass sie "besonders besorgt" über die Lage in Ungarn sei und man die Entwicklung genau beobachte. Das EU-Parlament hatte im Oktober 2018 dafür gestimmt, ein "Artikel 7"-Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn einzuleiten.

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

Unterdessen bringt Europastaatsminister Michael Roth (SPD) finanzielle Sanktionen ins Spiel. "Es ist unserer Bevölkerung nicht zu erklären, dass Staaten einen großen Teil ihrer öffentlichen Investitionen mit EU-Geld finanzieren und dann die Prinzipien der EU verletzen", sagte er der Welt. Roth warb dafür, bei den aktuellen Verhandlungen über den EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 die Möglichkeit zu schaffen, solche Sanktionen mit qualifizierter Mehrheit zu verhängen.

Am Donnerstag hatten bereits die Regierungen von 16 EU-Mitgliedern, darunter Deutschland und Frankreich, in einer "Rechtsstaatlichkeit in Zeiten von Covid-19" gefordert, dass sich die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie getroffenen Notfallmaßnahmen "auf das Allernötigste beschränken" sowie "angemessen und befristet" sein sollten. EU-Diplomaten zufolge war dies eine Reaktion auf den Beschluss des Parlaments in Budapest, doch Ungarn wurde nicht explizit erwähnt. Dies nutzte die Fidesz-Regierung, für einen PR-Stunt - und erklärte öffentlich, dass man die Erklärung natürlich mittrage und deren Inhalt unterstütze.

Zur SZ-Startseite

MeinungUngarn
:Die EU ist auch nach der Corona-Krise gefährdet

Viktor Orbán demonstriert, wie schnell eine Demokratie zur Autokratie werden kann. Das wird die Europäische Union noch lange nach dem Virus beschäftigen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: