Fidel und Raúl Castro:Brüder, zur Sonne

Nur sterben darf er nicht: Fidel kann mit seinem Bruder Raúl Castro an Neujahr das 50-jährige Machtjubiläum feiern.

Carlos Widmann

"Old soldiers never die", heißt es bei den Amerikanern: Alte Soldaten sterben nicht, sie verblassen nur allmählich. Ähnliches gilt für lebenslange Diktatoren, die einem Volk ihren Stempel aufdrücken konnten. Mao, schon dreißig Jahre tot, lebt fort in seinem Mausoleum, in Millionen von Bildern, Statuen und Devotionalien, ein verehrter, unantastbarer Massenmörder.

Fidel und Raúl Castro: In deutschen Kanzlern gemessen regieren die Castro Brothers schon etwas länger als Hitler, Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt und Schmidt zusammen.

In deutschen Kanzlern gemessen regieren die Castro Brothers schon etwas länger als Hitler, Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt und Schmidt zusammen.

(Foto: Foto: AFP (Archivbild))

Fidel Castro hingegen verbirgt seinen Eintritt in die Ewigkeit hinter einem hinausgezogenen Aufenthalt auf Erden. Bei weitergehender Herztätigkeit hat für ihn das Nachleben längst begonnen. Wie aus dem Jenseits meldet er sich jede Woche in der Parteipresse zu Wort, seiner Ankündigung treu: "Ich sage nicht Adieu, Genossen, sondern kämpfe weiter als ein Soldat der Ideen."

Ob all die Botschaften wirklich von Fidel, 82, stammen, ist nicht verbürgt. Jeder parodistisch begabte Kubaner könnte den Spätstil des Líder Máximo mühelos imitieren. Über den Zeitpunkt seines Todes werden weisungsgebundene Vertrauensärzte bestimmen. Die Luxusklinik des Politbüros verfügt über alle lebensverlängernden Apparaturen.

Für Liebhaber der Kontinuität könnte die Lage somit kaum günstiger sein: Das Verdämmern des Patriarchen bietet die Chance eines fließenden Übergangs, der weder die Kubaner verstören noch die Amerikaner auf den Plan rufen soll. Zur totalen Kontrolle der Republik, die der kleine Bruder Raúl, 77, geerbt hat, gehört auch die Verfügungsmacht über den Körper des Comandante. Selbst ein dementer oder komatöser Fidel könnte der Partei und dem Volk weiterhin als Leitfigur dienen.

Kraftloser Massenjubel

Am Neujahrstag 2009 feiert Kuba das 50. Jubiläum der Machtübernahme des politisch unverwüstlichen Bruderpaares. Fidel Alejandro und Raúl Modesto Castro Ruz haben mit ihren bärtigen Kumpanen am 1. Januar 1959 den Diktator Fulgencio Batista verjagt, dessen Schergen und Getreue (und im selben Schwung viele Revolutionsgegner) erschießen lassen, um Schritt für Schritt die volle Gewalt über Staat und Gesellschaft zu gewinnen.

Sofern der biologische Faktor nicht doch noch als Spielverderber eingreift, werden sich die Gebrüder Castro - wie bisher schon 49 Mal - vom kraftloser klingenden Massenjubel ins Neue Jahr begleiten lassen. Die große Mehrheit der heutigen Kubaner war bei ihrem Sieg noch nicht geboren.

Ein halbes Jahrhundert an der Macht, und das im sprichwörtlich labilen, einst so putschfreudigen Lateinamerika, stellt eine imponierende Leistung dar. In deutschen Kanzlern gemessen, regieren die Castro Brothers schon etwas länger als Hitler, Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt und Schmidt zusammen.

Doch verfügt auch Fidel über das nicht enden wollende Charisma ostasiatischer Götzen, das die Gründerväter Rotchinas und Nordkoreas übers Grab hinaus ausstrahlen? Eine postume Rolle wird ihm nicht wirklich zugetraut. Auch wenn er unsichtbar bleibt, ist Fidel Castros physische Präsenz für das ihn überlebende Regime unentbehrlich. Der große Bruder darf nicht sterben, solang der kleine herrschen will.

Während Fidel seine persönliche Macht konsolidierte, avancierte Raúl zur mausgrauen Eminenz: Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Brüder, zur Sonne

Raúl trug schon einen Pferdeschwanz, als die Hippies noch nicht erfunden waren. Unter den pittoresken Guerrilleros war er die kurioseste Erscheinung: ein schmächtiger Bursche mit einem verfilzten Zopf hinter der Baskenmütze und einem dünnen, rattenhaften Schnurrbart. Mit Fidel - mit dem er angeblich nur die Mutter gemeinsam hat - hätte ihn in der Sierra Maestra niemand verwechselt; der war in jeder Hinsicht einen Kopf größer: physisch, intellektuell, rhetorisch.

Castro, Reuters

Ich kenne ihn nur als Revolutionär", pflegte Fidel Castro über Raúl zu sagen, "dass er auch mein Bruder ist, habe ich vergessen."

(Foto: Foto: Reuters (Archivbild))

Dennoch wurde Comandante Raúl mit 28 Verteidigungsminister Kubas, und bald war der Zopf ab: Den für junge Westler attraktiven Habitus musste er aufgeben zugunsten der Uniform und der tellerförmigen Generalsmütze der sowjetischen Sponsoren. Mit dem KGB hatte Raúl schon als Student, auf einer Ostblock-Reise, Kontakt hergestellt. Lange vor Fidel war er Kommunist geworden. Als solcher hatte er Beziehungen zu einer Weltmacht und konnte sich dem Bruder selbstbewusster unterordnen als andere Comandantes.

Blutsbande bieten im Hause Castro keine Loyalitäts-Garantie

Während Fidel seine persönliche Macht konsolidierte, indem er schon 1960 die Reihen der Revolutionäre von Freiheitsschwärmern und Demokraten säuberte und sich Kubas kleine KP als Herrschaftsinstrument angeniete, avancierte Raúl zur mausgrauen Eminenz, zum Schatten des Comandante en Jefe. "Ich kenne ihn nur als Revolutionär", pflegte Fidel nonchalant zu sagen; "dass er auch mein Bruder ist, habe ich vergessen."

Blutsbande bieten im Hause Castro tatsächlich keine Loyalitäts-Garantie. Im Klan des Patriarchen war immer der Wurm drin: "Gusanos" (Würmer) hießen die Kubaner, die nach Florida flüchteten; Fidel selbst hatte der davoneilenden Elite diese prägnante Injurie nachgerufen. Dem Gewürm schloss sich bald seine Schwester Juanita an, und seither ist die Auslandsabteilung des Castro-Klans gewachsen.

Tochter Alina leitete in Miami eine castrofeindliche Talk-Show, die schwangere Geliebte von Fidels Sohn Alex folgte ihr dorthin, und ein Enkel Fidels wächst unter Würmern auf. Ja, zwei Halbbrüder des ältesten Castro-Sohnes Fidelito wurden ins Repräsentantenhaus in Washington gewählt - als Republikaner natürlich.

Raúl indessen ist revolutionäres Urgestein, der letzte jener alten Kämpfer, die fünfzig Jahre lang von Säuberungen, Verbannungen und Erschießungen verschont blieben. Er wurde Castros Stellvertreter in allen Ämtern: Staatspräsident, Regierungschef, Parteisekretär, Oberkommandierender.

Und mit Raúl wuchs die neue Nomenklatura heran: Die Barbudos, die Bartträger der Guerrilla-Zeit wurden ersetzt durch die Internacionalistas von den Kampffronten in der weiten Dritten Welt. Sie nannten sich "Büffel" oder "Killer", hatten in Äthiopien und Angola gekämpft oder in Lateinamerika den Revolutionsexport mit der Kalaschnikow versucht.

Gemessen am bärtigen Bruder, wird dem jüngeren Castro seit jeher Pragmatismus nachgesagt - lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Brüder, zur Sonne

Diese männerbündische Elite von Geheimnisträgern und Sondermissionaren hatte "von allem zwei": zwei Frauen, zwei Wohnungen, zwei Autos, zwei Pistolen, zwei Reisepässe. Als Moskau unter Gorbatschow sparsamer wurde, machten die Büffel sich als rettende Devisenbringer verdient. Ihr Revier war der Kokainschmuggel von Kolumbien in die USA.

Gabriel García Márquez ist es 1994 gelungen, den Schriftsteller Norberto Fuentes aus kubanischen Kerkern ins Ausland zu retten. Diesem früheren Revolutionär und Raúl-Intimus ist der Einblick in die Geheimoperationen zu danken, die das Castro-Regime in den achtziger Jahren vor dem Untergang bewahrten.

Laut Fuentes war es Raúl, der den Rauschgiftschmugglern die ideologische Rechtfertigung des großen Bruders beibrachte: "Fidel sagt, wir müssen diese Sache mit sehr viel Takt anpacken. Aber Fidel sagt auch, die Kolonialmächte hätten schließlich alle ihre Kriege in Asien durch den Opiumhandel finanziert. Insofern stellt unsere Aktivität im Grunde die historische Vergeltung der unterdrückten Völker dar."

Eine Rechtfertigungsrede vor der UN-Vollversammlung hätte Fidel damit wohl kaum bestreiten können. Weshalb der Comandante - als die Amerikaner 1989 die Beweise vorlegten - zum altbewährten Mittel griff: einem Schauprozess in bester stalinistischer Tradition, Erschießungen im Morgengrauen inbegriffen.

Die Sündenböcke waren Raúls engste Freunde und Saufkumpane, Divisionsgeneral Arnaldo Ochoa und Geheimagent Tony de la Guardia. Ihre Selbstbezichtigungen hatten sie angestimmt in der Hoffnung, man werde, wie versprochen, ihr Leben schonen. Doch Raúl tat nichts dergleichen, sondern trat als Belastungszeuge auf.

Von dieser fast diabolisch anmutenden Rolle ist dem heutigen Staatspräsidenten Kubas nichts anzumerken. Im letzten Jahrzehnt hatte Raúl sich im Schatten Fidels zum zittrigen Rentnertyp entwickelt, der seine Ansprachen mühsam und mit bellender Kommandostimme vom Blatt las.

Seitdem der große Bruder aber interniert ist, wirkt Raúl gesünder, ja verjüngt, als hätte er eine erfolgreiche Entziehungskur hinter sich. Nicht mehr den Griesgram des ewigen Hangover-Opfers, sondern Gelassenheit, ja Bonhomie strahlt er aus.

Der schlaue Showman Lula da Silva hat ihn vorletzte Woche mit zur großen Strandparty nach Bahia eingeladen, wo die lateinamerikanischen Regierungschefs Beschwörungsformeln artikulierten, mit denen sie sich vom finanziellen Debakel der "größten Mächte des Planeten" (Raúl Castro) abkoppeln wollen. Allen Teilnehmern war zwar bewusst, dass das nicht gehen wird, aber ihre Völker hörten es gerne.

Bärtiger Museumswärter

Gemessen am bärtigen Bruder, wird dem jüngeren Castro seit jeher Pragmatismus nachgesagt. Aus den Streitkräften entwickelte Raúl eine Holding, die im Morast der Planwirtschaft einen Archipel funktionierender Betriebe unterhält. Mit westlichen Touristik-Konzernen betreibt er den florierenden Fremdenverkehr, ohne den das sozialistische Kuba zu existieren aufgehört hätte. 110 000 Barrel Erdöl pro Tag kommen - Insch'allah! - von Oberstleutnant Hugo Chávez in Venezuela.

Damit könnte das sozialistische Kuba sich abermals durchwursteln - weil die Kubaner sich kaum vermehren, weil der Bevölkerungsüberschuss in die USA abgewandert oder im Golf von Mexiko ertrunken ist, weil die meisten darben, aber niemand friert, weil Bürgerrechtler in Umerziehungslagern verschwinden, weil die besten Strände - wie unter Batista - für Ausländer reserviert sind, weil die Salsa zündet und die Prostituierten einen guten Ruf haben. Havanna, die einst so reiche Millionenstadt, lebte während der letzten Jahrzehnte von der fotogenen Exotik des Verfalls, mit Fidel als grimmigem Museumswärter, der für seine gescheiterte Revolution Eintrittsgeld verlangte.

Nur sterben darf er nicht. Es ist nicht vorgesehen. Kein Mensch weiß, was dann passieren würde. Implosion in Zeitlupe? Kleine Meutereien, die in Bürgerkrieg ausarten? Sollte "letztendlich" einmal Staatstrauer für Fidel verkündet werden, mag es zu Szenen kommen wie 1953 in Russland. Als Stalins Tod gemeldet wurde, weinten sogar Gefangene im Gulag.

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