Süddeutsche Zeitung

Fidel Castro:Sprachlos in Havanna

In Kuba über Castro zu sprechen, war schwierig. Das Verhältnis zum "Máximo Líder" ist zwiegespalten - auch nach seinem Tod.

Von Benedikt Peters

"Es ist so seltsam", sagt Jorge. Er ist Ende zwanzig, lebt in Havanna und war zu Hause, als die Nachricht kam. Er erfuhr es aus dem Fernsehen. Plötzlich war da Staatschef Raúl Castro und verkündete, dass sein Bruder Fidel, der langjährige Revolutionsführer, gestorben sei. Er rief seine Mutter, sie setzte sich zu ihm vor den Bildschirm. Und dann blieben sie sitzen. Stundenlang. Und sprachen kaum ein Wort.

"Ich weiß nicht so recht, was ich denken soll", sagt Jorge am Telefon. "Klar bin ich irgendwie traurig. Aber letzten Endes wird sich an meinem Leben nichts ändern." Natürlich kennt er die Heldenerzählungen über Castro aus der Schule, aber so richtig verbunden habe er sich nie mit ihm gefühlt. "In den letzten Jahren hat man ihn ja auch kaum noch in der Öffentlichkeit gesehen."

Eigentlich hat Jorge einen anderen Vor- und natürlich auch einen Nachnamen. Den will er aber nicht im Netz lesen - eine Äußerung über den Tod Fidel Castros, noch dazu eine gleichgültige, das wäre zu gefährlich.

"Er ist ein Diktator", sagen manche Kubaner

Es war stets schwierig, in Kuba über Castro zu sprechen oder gar Kritik zu äußern. Wer etwas Negatives sagen wollte, schaute sich zuerst um, senkte die Stimme. In solchen Gesprächen aber ließ sich durchaus erfahren, dass das Verhältnis der Kubaner zu ihrem langjährigen Staatschef zwiegespalten ist. Die einen halten ihn für einen Helden, der viel Gutes getan hat. Die anderen sagen: "Er ist ein Diktator."

Als Fidel Castro vor mehr als einem halben Jahrhundert die Revolution anzettelte, begann erst einmal eine Heldensaga. Gemeinsam mit anderen Guerilleros - unter ihnen Ernesto "Che" Guevara - wollte der damals 32-jährige Diktator Fulgencio Batista verjagen, der sich an die Macht geputscht hatte und weite Teile der kubanischen Bevölkerung in Armut hielt.

Nach drei Jahren des Kampfes gelingt Castro der Durchbruch, im Triumphzug zieht er in Havanna ein, ganz in der Nähe von dort, wo heute Jorge und seine Mutter in einer Hochhauswohnung leben.

Unter Castro steigt Kuba zunächst zur internationalen Avantgarde auf. Als erstes Land Lateinamerikas gelang es Kuba, sich dauerhaft aus der Einflusssphäre der USA zu befreien, die den gesamten Kontinent traditionell als ihren "Hinterhof" betrachtet hatten. Und das schaffte ausgerechnet diese kleine Insel, die nur 90 Meilen vor Floridas Küste liegt.

Castros Erfolg und Charisma zog führende Linke aus aller Welt nach Havanna. Unter anderem zollten ihm der Philosoph Jean-Paul Sartre und der kolumbianische Jahrhundert-Autor Gabriel García Márquez Bewunderung. García Márquez gilt als einer von Castros engen Freunden.

Als Staatschef ließ Castro Militärkasernen zu Schulen umbauen und überzog Kuba mit kostenlosen Krankenhäusern. Jeder durfte studieren. Er schickte Tausende Freiwillige aufs Land, um der Bevölkerung Lesen und Schreiben beizubringen.

Davon profitiert die Insel noch heute: Der Analphabetismus ist praktisch ausgemerzt, ebenso die Kindersterblichkeit. Und die kubanischen Athleten sind bei internationalen Turnieren überdurchschnittlich erfolgreich. All das wäre ohne Castros Revolution undenkbar.

Weggefährten landen im Gefängnis - oder kommen rätselhaft zu Tode

Doch die Heldenerzählung um Fidel Castro bekam schnell Risse. Seine Regierung sorgte für soziale Reformen, nicht aber für Demokratie. Anfangs hatte Castro das noch versprochen. Inzwischen nannte er sich "Máximo Líder" ("Größter Führer") - und so regierte er auch das Land.

Ehemalige Weggefährten, die in der Sierra Maestra noch an seiner Seite gekämpft hatten, ließ er einsperren, etwa Huber Matos. Einst befehligte er als Kommandant Castros Rebellen, nun muss er zwanzig Jahre hinter Gittern verbüßen. Ein weiterer Rebellenkommandant, Camilo Cienfuegos, kommt unter rätselhaften Umständen bei einem Flugzeugabsturz zu Tode.

"Innerhalb der Revolution", so sagt es Castro einmal in einer Rede, sei alles erlaubt. "Außerhalb der Revolution nichts." Übersetzt heißt das: Castro bestimmt, was die Kubaner dürfen. Es ist nicht viel: Homosexualität war ebenso geächtet wie das Ausüben einer Religion und das Anhören westlicher Musik. Erst im hohen Alter revidierte Castro manches davon.

Von den 1990er Jahren an kommt es nach und nach zur Entspannung mit der katholischen Kirche und er trifft drei Päpste. 2010 bereute er in einem Zeitungsinterview die Verfolgung Homosexueller.

Demokratie im westlichen Sinne aber existiert in Kuba bis heute nicht. Von den 1960er Jahren an machte Castro die Karibikinsel zum Einparteienstaat. Die sogenannten "Komitees zur Verteidigung der Revolution" gibt es in jedem Häuserblock. Ihre Aufgabe ist es, jegliche Kritik an der Regierung im Keim zu ersticken.

Dass Kuba unter Castro nie demokratisch wurde, hat auch damit zu tun, dass er mitten im Kalten Krieg an die Macht kam. Seine sozialistische Umverteilungspolitik sowie die Enteignung von US-Konzernen brachte Castro schnell auf Konfrontationskurs zu den USA, 1961 brach deren damaliger Präsident Dwight D. Eisenhower die diplomatischen Beziehungen ab.

Castro band sein Land auch deswegen politisch und wirtschaftlich eng an die Sowjetunion, um nicht von Washington gestürzt zu werden. Einerseits war er damit erfolgreich - andererseits war es auch diese Gemengelage, die mit der Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf der Insel die Welt 1962 an den Rand eines Atomkriegs brachte.

Washingtons Politik half Castro, die Unterdrückung zu rechtfertigen

Es war nicht zuletzt die Politik der USA, die Castro half, seinen undemokratischen Kurs zu rechtfertigen. Washington unterstützte die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht 1961, es finanzierte Dissidenten und plante Attentate auf den Revolutionsführer - und lieferte ihm so das entscheidende Argument, mit dem sich kritische Stimmen unterdrücken ließen.

Zu vorsichtiger Entspannung kam es erst von 2008 an, als Barack Obama US-Präsident wurde und Kuba und die USA schließlich wieder diplomatische Beziehungen etablierten. Fidel hatte da die Macht aus gesundheitlichen Gründen schon an seinen fünf Jahre jüngeren Bruder Raúl abgegeben. Der sorgte zwar für vorsichtige kapitalistische Reformen, aber auch unter ihm lässt die Demokratie auf sich warten.

In seinen letzten Jahren beäugte Fidel die Reformen des Bruders argwöhnisch. Immer wieder meldete er sich mit kritischen Einlassungen in der Staatszeitung Granma zu Wort, in der er seine Kolumne "Reflexiones" ("Reflektionen") schrieb.

2015 veröffentlicht die Staatszeitung einen Brief Castros an die kubanischen Studenten (hier die deutsche Übersetzung). "Ich vertraue der Politik der Vereinigten Staaten nicht und habe kein Wort mit denen gewechselt", schreibt er. Er blieb wohl bei dieser Überzeugung - bis zuletzt.

Als sich die Nachricht von Castros Tod in Jorges Viertel verbreitete, sei es still geworden, sagt er. "Die Menschen haben die Musik abgeschaltet und sind in ihren Häusern geblieben." Inzwischen aber kehre das Leben langsam auf die Straße zurück. "Was sollen wir auch tun?", fragt Jorge. "Wir machen einfach weiter wie bisher."

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