Süddeutsche Zeitung

Festnahmen in der Türkei:Erdoğan vergibt keinem

  • Nach einer Großrazzia gegen Polizisten und Journalisten sind noch 24 Menschen in Haft. Ihnen wird vorgeworfen, eine "bewaffnete Terrororganisation" gegründet zu haben, zudem Fälschung und Verleumdung.
  • Die Festnahmen sind ein weiterer Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Präsident Erdoğan und seinem Gegner Gülen.
  • Die Europäische Union verurteilt die Operation. Erdoğan sagte daraufhin, Brüssel solle sich "um seine eigenen Angelegenheiten kümmern".

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Fuat Avni hat wieder alles im Voraus gewusst. Wer Fuat Avni ist, weiß dagegen keiner. Man weiß nur, er ist der bekannteste Twitterer der Türkei, aber seinen Namen kennt man nicht. Der Unbekannte warnte schon vor Tagen vor einer großen Verhaftungswelle und nannte Namen. Am Sonntag war es soweit. Polizisten zogen vor dem Redaktionsgebäude der regierungskritischen Zeitung Zaman auf. Als die Beamten Chefredakteur Ekrem Dumanlı abführten, umringten bereits etwa 2000 Menschen aus Protest die Polizeiwagen. Zaman ist das Sprachrohr der Gülen-Bewegung. Der Prediger Fethullah Gülen, der seit 1999 im US-Exil lebt, ist einer der härtesten Kritiker von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan.

Die Festgenommenen, von denen 24 am Montag noch in Haft waren, sollen alle Sympathisanten von Gülen sein. Darunter sind neben mehreren Journalisten und TV-Produzenten auch - wie schon in den vergangenen Monaten - hohe Polizeioffiziere. Ihnen allen wird laut Staatsanwaltschaft Istanbul vorgeworfen, eine "bewaffnete Terrororganisation" gegründet zu haben, zudem Fälschung und Verleumdung.

Die Polizisten und Journalisten sollen 2010 auch eine islamische Gruppe namens Tahşiyeciler "fälschlicherweise" beschuldigt haben, zu al-Qaida zu gehören. Darauf wurden deren Mitglieder inhaftiert. Der Ex-Polizeichef von Hakkari, Tufan Ergüder, der die Vorwürfe 2010 öffentlich begründete, wurde nun auch festgenommen. "Zeit der Abrechnung", titelte am Montag das regierungsnahe Blatt Yeni Safak.

Mit der Großrazzia in 13 Provinzen hat die Auseinandersetzung zwischen Erdoğan und Gülen einen neuen Höhepunkt erreicht. "Der Verdächtige Nummer eins ist Gülen", titelte die ebenfalls regierungsnahe Zeitung Akşam. Seit genau vor einem Jahr Korruptionsermittlungen die Türkei erschütterten, wirft Erdoğan Gülen vor, er habe einen "zivilen Coup" geplant. Die Korruptionsvorwürfe gegen mehrere Ministersöhne, Politiker und regierungsnahe Unternehmer nannte Erdoğan eine "Verschwörung" und machte dafür Gülen-nahe Staatsanwälte verantwortlich. Oppositionschef Kemal Kılıcdaroğlu bezeichnete wiederum das, was nun in der Türkei passiert, als Schritte zu einem "Putsch".

Fuat Avni, der Mysteriöse, hatte auch Festnahmen von Journalisten säkularer Massenmedien, wie Hürriyet, vorausgesagt. Dann aber mitgeteilt, diese seien noch verschont worden, weil die Aktion im Voraus bekannt wurde. Die englischsprachige Hürriyet Daily News kommentierte: "Die Medien-Razzia vergrößert die politische Konfusion in der Türkei." Selbst einigen Regierungsbefürwortern ging die Aktion zu weit. So meinte der Kommentator von Yeni Şafak, Abdülkadir Selvi, die Türkei blamiere sich in der Welt: "Ich sage es ganz klar, es war falsch, die Journalisten festzunehmen."

Justizgesetze wurden vergangene Woche verschärft

Aus der EU und aus den USA kam ebenfalls heftige Kritik. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini meinte, die jüngste Operation sei nicht vereinbar mit europäischen Werten und Standards. Erdoğan sagte daraufhin, Brüssel solle sich "um seine eigenen Angelegenheiten kümmern". Woraufhin Mogherini sich am Montag "sehr überrascht" zeigte. Die Türkei verhandelt mit der EU seit 2005 über einen Beitritt, die Gespräche aber stocken seit Langem. Die USA appellierten "als Freund und Verbündeter" an die Türkei, sicherzustellen, dass ihre Handlungen die demokratischen Fundamente des Landes nicht verletzen. Und der deutsche Grünen-Chef Cem Özdemir sprach von einem "weiteren Alarmsignal" dafür, dass sich die Türkei von Europa und der Demokratie entferne.

In der Türkei erinnerte man daran, dass erst vergangene Woche die Justizgesetze verschärft wurden und nun bereits bei "logischem Verdacht" Durchsuchungen möglich sind. Zuvor musste ein Verdacht "begründet" sein. Das Gesetz wird dafür sorgen, dass in höchsten Gerichten mehr als 150 Richterposten neu besetzt werden.

Erdoğan, lange Weggefährte Gülens, hatte schon am Freitag angekündigt, man werde die Anhänger des Predigers "bis in ihre Schlupfwinkel" verfolgen. Gülen selbst sprach in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung von einer "Hexenjagd" in seinem Land. Der Prediger wirft Erdoğan vor, die Türkei in einen "Ein-Mann-Staat" zu verwandeln. Erdoğan wiederum beschuldigt Gülen, dessen Gemeinde unterwandere den Staat, um eine gewählte Regierung "zu beseitigen".

Die Korruptionsverfahren vom vergangenen Dezember wurden inzwischen eingestellt, die ermittelnden Staatsanwälte versetzt. Nur im Parlament beschäftigt sich noch ein Untersuchungsausschuss damit. Der hörte jüngst mehrere von Erdoğan nach Bekanntwerden der Vorwürfe entlassene Minister. In die Medien drang davon nur wenig, über den Ausschuss darf nicht berichtet werden.

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SZ vom 16.12.2014/anri
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