Festnahme von Ratko Mladic:Der Bienenzüchter von Lazarevo

Ratko Mladic genoss gerne die frische Landluft: Bis zu seiner Festnahme soll sich der ehemalige General in einem nordserbischen Dorf bei einem Cousin versteckt haben - einige Nachbarn wussten wohl, wer er ist. Von der erfolgreichen Kommandoaktion profitiert vor allem Präsident Boris Tadic.

Enver Robelli

Die Meldung um 11 Uhr 34 schlug ein wie eine Bombe. Und diese Meldung kam zuerst aus Zagreb. Darum wollte es auch niemand sofort glauben, man sprach von einer Spekulation, wie so oft in den vergangenen Jahren. Die serbische Spezialpolizei, hieß es, habe während einer Geheimoperation Ratko Mladic festgenommen. Das meldete die kroatische Zeitung Jutarnji list am Donnerstag. Es vergingen nur wenige Minuten, da kam aus Belgrad eine halbe Bestätigung: In Lazarevo, einem Dorf in der Nähe von Zrenjanin in der nordserbischen Provinz Vojvodina, sei Milorad Komadic verhaftet worden. Der Mann sei dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic "sehr ähnlich". Zunächst müsse man aber die Ergebnisse der DNS-Analyse abwarten, das dürfte etwa drei Tage dauern.

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Doch bereits um 13 Uhr räumte Präsident Boris Tadic alle Zweifel aus. In einer eilig einberufenen Pressekonferenz teilte der prowestliche Politiker mit, dass es den Sicherheitskräften gelungen sei, Mladic aufzuspüren. Damit sei ein unrühmliches Kapitel der jüngeren Geschichte Serbiens abgeschlossen. Weitere Einzelheiten zur Festnahme gab Tadic nicht preis, bestätigte aber, dass das Auslieferungsverfahren im Gange sei. Der Verhaftete verhalte sich kooperativ, teilte die Radiostation B92 mit. Doch wurde die erste Vernehmung abgebrochen. Grund sei die "körperliche Schwäche" des 69-Jährigen, der sich nicht mitteilen habe können, sagte sein Anwalt Milos Saljic in Belgrad. Aus dem Justizministerium verlautete, eine Überstellung an das Haager Gericht sei innerhalb einer Woche zu erwarten.

Mladic war Befehlshaber der bosnisch-serbischen Armee während des Bosnien-Kriegs in den 1990er Jahren und gilt als der größte Kriegsverbrecher Jugoslawiens. Das Haager UN-Tribunal wirft ihm unter anderem vor, die Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajewo und den Völkermord in Srebrenica organisiert zu haben. Mladic war seit Ende 1996 auf der Flucht. Tadic sagte, die Behörden in Serbien würden nun untersuchen, wer dem General bei seiner Flucht geholfen habe. In der Vergangenheit hieß es immer wieder, Mladic genieße die Unterstützung der Armee. Lange erhielt er auch seine Rente. Bis 2008 soll er sich in der Trabantenstadt Neu-Belgrad versteckt haben.

Die Aktion zur Festnahme Mladics begann nach Angaben serbischer Medien am Donnerstag kurz nach fünf Uhr. Im Dorf Lazarevo leben offenbar mehrere Verwandte des Angeklagten. Ein Nachbar sagte, Mladic sei vermutlich erst kürzlich zu seinem Cousin Branko Mladic gezogen. Viele Dorfbewohner kennen den angeklagten Kriegsverbrecher persönlich. Nach dem Bosnien-Krieg kam Mladic offenbar häufig zu Besuch, hier soll er Bienen gezüchtet und die frische Luft genossen haben. Eine große Mehrheit der Serben verehrte ihn jahrelang als Nationalhelden. Die Toten von Sarajewo, der Genozid in Srebrenica mit fast 8000 Opfern, die Massenvergewaltigungen in Foca und in Visegrad - das alles hielt man lange für eine Erfindung des Westens. Doch je mehr das Ausmaß der Verbrechen zum Vorschein kam, desto kleiner wurde seine nationalistische Fangemeinde. Zuletzt war er nur noch ein Hindernis für die EU-Integration des Landes.

In Brüssel war Serbien zuletzt massiv in der Kritik gestanden, zu wenig für die Festnahme der Kriegsverbrecher zu unternehmen.

"Diese Vorwürfe sind jetzt ins Wasser gefallen", sagte Staatschef Tadic. Er erwartet, dass die EU Serbien bis Ende des Jahres den Kandidatenstatus gibt. Diesen Erfolg braucht er vor den Parlamentswahlen, die spätestens in einem Jahr stattfinden. Die Opposition sprach deshalb von einer wohl kalkulierten Aktion der Regierung. Es sei auffällig, dass Mladic just an dem Tag verhaftet wurde, an dem die EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton in Belgrad erwartet wurde. "Vielleicht wussten die Behörden die ganze Zeit, wo sich Mladic aufhält", sagte Tomislav Nikolic, der früher ein rabiater Nationalist war und sich nun mit seiner Fortschrittspartei als EU-Freund zu positionieren versucht.

Staatspräsident Tadic wies die Beschuldigungen zurück und warnte die Anhänger Mladics, der Staat werde hart gegen gewalttätige Ausschreitungen vorgehen. Die Verhaftung wurde in anderen Balkanstaaten begrüßt und als Chance zur Versöhnung bezeichnet. "Wir haben 16 Jahre auf diese Nachricht gewartet. Jetzt sind wir erleichtert", sagte Hajra Catic im Namen der "Mütter von Srebrenica".

Tadic ist zweifellos der große Sieger. Er geht schon jetzt in die Geschichte ein als derjenige, der nicht nur Mladic hinter Schloss und Riegel brachte. Seiner Regierung war im Juli 2008 auch die Festnahme des ehemaligen bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic gelungen. Eine kleine Hürde bleibt allerdings noch: Weiterhin auf der Flucht ist Goran Hadzic, der ehemalige Präsident der selbsternannten Republik Krajina in Kroatien. Die Suche nach dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher werde fortgesetzt, versprach Tadic. In Brüssel und in Washington dürfte jetzt niemand mehr an der Ernsthaftigkeit dieser Absicht zweifeln.

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