Festakt für Altkanzler Kohl in Berlin:Der alte Mann, die Marke und 13 Plätze bis zum Erzfeind

Merkels Rede? Nun gut. Das Geschenk? Na ja. Juncker? Großartig. Was aber überwiegt, ist die Erleichterung, dass es beim Festakt für Helmut Kohl mit einem alten Feind so etwas wie Annäherung gibt. Wäre nur diese Briefmarke nicht gewesen.

Thorsten Denkler, Berlin

Als Schäuble nicht an seinem Platz ist, da steht doch kurz die Frage im Raum, ob ein Eklat den Abend überschatten könnte. Im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums hat sich versammelt, was in der CDU und der Welt Rang und Namen hat und vor allem hatte. Ehemalige Minister, Ministerpräsidenten und Regierungschefs. Weggefährten, Mitstreiter, Freunde.

Nur wo Wolfgang Schäuble sein sollte, da klafft eine Lücke zwischen zwei Stühlen, als der Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering, den Festakt zur Ehren des 30. Jahrestages der Kanzlerwerdung Helmut Kohls eröffnet. Es sind immerhin 13 Sitzplätze von hier bis zu der Lücke, in der Helmut Kohls Rollstuhl Platz gefunden hat. Aber vielleicht ist der Abstand immer noch zu gering für einen wie Schäuble.

Zehn Minuten zu spät rollt Schäuble an seinen Platz. Eine gewisse Erleichterung ist unter denen erkennbar, die gebangt hatten. Schäuble kommt gerade noch rechtzeitig, um Pöttering zu hören, wie er mit donnernder Stimme auch ihn begrüßt, den "Bundesminister der Finanzen, Wolfgang Schäuble!". Applaus brandet auf, lauter und länger noch, als der, mit dem Kohl empfangen wurde. Als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen, setzt Pöttering nach: "Wir freuen uns sehr, dass Sie hier sind!"

Der Moment muss eine Genugtuung sein für Schäuble. Vielleicht sieht er in dem Moment, dass auch Kohl Beifall spendet. Es ist eine Geste der - sagen wir - Versöhnung, von der manche sagen würden, dass sie eine paar Jahre zuvor nicht denkbar gewesen wäre.

Es folgen Grußworte und Reden. "Mit Stolz im Herzen" spricht der amerikanische Botschafter Philipp D. Murphy. John Major, britischer Ex-Premier, ruft via Videobotschaft: "Kohl forever!" Spaniens früherer Ministerpräsident Felipe González nennt Kohl den "größten Kanzler seit Bismarck". Für George Bush sen. ist Kohl der "größte Staatsmann, den Europa je hatte".

Romano Prodi, einst Italiens Regierungschef und später Präsident der EU-Kommission, weiß über Kohl zu berichten: "Wenn Kohl einmal Ja zu etwas gesagt hat, war er nicht mehr zu stoppen." Das ist mit Merkel heute dann doch etwas anders.

Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker erlaubt sich einen menschlichen Zugang: "Über Helmut Kohl ist noch nicht alles oft genug gesagt worden", frotzelt er. Um ihm dann voller Respekt zu wünschen: "Alles Gute, Gottes Segen. Pass auf dich auf. Mach es gut."

Damit haben die Genannten mehr über Kohl zu sagen gewusst als Kanzlerin Merkel in ihrer anschließenden Rede. Eine kleine Anekdote erzählt sie immerhin. Dass Kohl sie zu sich zitiert und gefragt habe, wie sie sich denn so "mit Frauen verstünde". Merkel erzählt, dass sie mit der Frage nicht gerechnet habe. Und dann habe sie Kohl zu Frauenministerin gemacht. Nun ja.

Merkel spult die Kohl-Jahre herab, ohne sie groß zu werten. Das konstruktive Misstrauensvotum, die geistig moralische Wende, der Nato-Doppelbeschluss. Die Wende. Der Euro.

"Es war eine fantastische Zeit"

Sie schwärmt ein wenig von Kohls angeblicher Haushaltsdisziplin, zitiert ihn mit den Worten: "Zu viele haben zu lange auf Kosten anderer gelebt." Über ihre Verhältnisse also. Das sagt Merkel heute immer noch. Geändert hat sich schon mit Kohl damals wenig.

Als sie zum Ende kommt, muss sie irgendwie überleiten. Zu dem Geschenk, dass Kohl bekommen soll. "Seine 16 Jahre währende Kanzlerschaft hat unser Land und Europa geprägt", beginnt sie. Große Worte für einen großen Mann. Irgendwie scheint ihr in dem Moment gewahr zu werden, dass das, was jetzt kommt, doch ein wenig komisch wirken könnte. Sagt irgendwas davon, dass es der Künstler geschafft habe, diesen großen Mann auf so etwas Kleines zu bekommen.

Um es kurz zu machen: Zum Dank gibt's 'ne Briefmarke. Ja, okay, eine Sonderbriefmarke. Und dass sie für eine lebende Person gedruckt wird, gibt es auch nicht alle Tage. Aber es ist dann eben doch nur eine Briefmarke.

Kohl lässt sich neben eine großformatige Version der Marke rollen. Von hinten im Publikum ist sie dennoch kaum zu erkennen. Er scheint es gelassen zu nehmen. Ist aber schwierig zu sagen. Sein Gesicht wirkt maskenhaft, vom Schlaganfall gezeichnet.

Jetzt redet er, Helmut Kohl, Kanzler der Einheit, Ehrenbürger Europas. So huldigt ihn die Videoleinwand hinter ihm. Laut ist seine Stimme, aber er spricht undeutlich, verschluckt ganze Sätze. Typisch für seine Krankheit.

Kohl dankt allen, die hierhergekommen sind. Er habe nicht vor, eine Rede zu halten, sagt er, verweist dann auf die Rede seines Freundes Kardinal Karl Lehmann, der wegen einer Knieoperation nicht da sein konnte. Lehmanns Worte hat stellvertretend Prälat Karl Jüsten vorgetragen. Kohl empfiehlt, die Rede noch mal nachzulesen.

Überraschenderweise bedankt er sich "bei denen, die mich provoziert haben, die mich herausgefordert haben". Was großes Rätselraten auslöst, wen er damit gemeint haben könnte. Aber: "Es war eine fantastische Zeit." Vielleicht will er nur sagen, dass ohne diese Verbal-Gemetzel mit seinen Gegnern die ganze Kanzlerschaft nur halb so viel Spaß gemacht hätte.

Eines aber noch zum Schluss: "Ich bin 82 Jahre alt. Ich weiß nicht, was der liebe Gott mit mir vorhat. Aber eines weiß ich: Wir müssen weitermachen mit dem Ziel zu einem friedlichen Europa." - "Es lebe Deutschland, es lebe Europa!"

Schäuble erwähnt er nicht. Das war aber vielleicht auch gar nicht nötig. Er hat Schäuble applaudiert und Schäuble am Ende ihm. Mehr muss nach so langen Jahren der Feindschaft dann auch nicht mehr sein.

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