Fernsehduelle im US-Wahlkampf:Angst vor dem fatalen Seufzer

Drei Mal 90 Minuten können die Wahl in den USA entscheiden. Tagelang trainieren die Duellanten für die TV-Duelle wie für einen Boxkampf. Während Mitt Romney dabei alles auf eine Karte setzen muss, hat Präsident Obama nur eine große Sorge.

Christian Wernicke, Washington

Es ist Mitt Romneys letzte Chance. Der Republikaner liegt klar zurück im Zweikampf um das Weiße Haus, er muss dringend punkten: ein, zwei verbale Volltreffer gegen Barack Obama, obendrein vielleicht ein Aussetzer des Amtsinhabers - schon könnte am Mittwochabend das Rennen um die Macht in Amerika kippen. Dann stehen sich die beiden Kontrahenten zum ersten Mal direkt gegenüber, und mindestens 50, vielleicht auch mehr als 60 Millionen Landsleute schauen zu. Amerikas präsidentielle TV-Duelle mögen oft enttäuschen, weil langweilen - aber der Showdown im Studio ist Kult. Seit Jahrzehnten.

Einer der prominentesten Romney-Vertrauten, Chris Christie, der wortgewaltige Gouverneur von New Jersey, hat am Wochenende den republikanischen Traum farbig ausgemalt. Viele Wähler würden erst jetzt Notiz nehmen vom Wahlkampf, für Millionen Amerikaner sei der in einem Saal der Universität von Denver inszenierte Schlagabtausch "die erste Begegnung" mit beiden Herren. "Mittwochabend bringt den Neustart dieser Kampagne", orakelt Christie, "ab Donnerstagmorgen wird dieses Rennen eine neue Geschichte haben."

Das ist republikanisches Wunschdenken. Die historische Erfahrung lehrt etwas anderes. Nur sehr selten, so die Analysen der Demoskopen, haben die 1960 erfundenen TV-Debatten den bis dahin im Wahlkampf herrschenden Trend gebrochen und entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis des Urnengangs gehabt.

Diese Grundlehre mag Romney betrüben, aber eine zweite Regel sollte ihm Mut machen: In den sieben Fernsehschlachten seit 1976, bei denen sich ein amtierendes Staatsoberhaupt der Attacken eines Herausforderers erwehren musste, sah der vermeintlich unerfahrene Möchtegern-Präsident besser aus als der jeweilige Regent.

Den Mythos von der Macht der Mattscheibe in Amerikas Präsidentschafts-Kampagnen begründete die allererste Debatte. Am 26. September 1960 hatten sich der Republikaner Richard Nixon, der damalige Vizepräsident, und sein bis dato eher unbekannter Widerpart, der demokratische Senator John F. Kennedy, in einem Fernsehstudio eingefunden - und jene Millionen Amerikaner, die damals das Duell nur per Radio verfolgten, urteilten hinterher, Nixon sei klarer Sieger gewesen. Nur, im Fernsehen sah die Sache anders aus.

Völlig anders. JFK, damals 43 Jahre jung, blickte selbstbewusst in die Kamera. Selbst im Grauraster des damaligen Schwarz-Weiß-Fernsehens wirkte der von kalifornischer Sonne gebräunte Senator frisch, ja dynamisch. Nixon litt derweil. Der Vizepräsident hatte gerade eine schmerzhafte Knieoperation hinter sich, er hatte Fieber und sich obendrein auf dem Weg ins Studio an der Autotür die Wunde übel gestoßen. JFK war geschminkt, Nixon hatte die Maske abgelehnt. Sein Gesicht war fahl, Schweißperlen traten ihm auf Stirn und Wangen.

Romneys Chancen stehen gut

Und er begriff schnell, dass er verloren hatte: Kurz nach der Sendung erkundigte sich seine eigene Mutter, ob ihr Sohn krank sei. Vor seinem fatalen Auftritt hatte Nixon knapp vorn gelegen, nach dem vierten und letzten Duell hatte Kennedy vier Prozentpunkte Vorsprung.

TV-Duell USA Wahl Barack Obama Mitt Romney

Barack Obama ging zwei Tage lang in Las Vegas in Klausur. Er mühte sich an John Kerry ab.

(Foto: AFP)

Ähnlich eindeutig sollte sich das Blatt nur noch einmal wenden. Im Jahr 2000 wähnte sich der damalige Vizepräsident Al Gore vor dem ersten Schlagabtausch mit George W. Bush sicher, Umfragen sahen ihn acht Punkte vorn. Nach drei Debatten jedoch hatte der Demokrat alles verspielt, plötzlich genoss der Republikaner einen Vorteil von vier Prozent.

Entscheidend für den Umschwung waren nicht irgendwelche Pannen auf Seiten Gores. Die Republikaner gewannen das Duell im sogenannten Spin Room, wo treue Deuter beider Lager den Journalisten wieder und wieder erklärten, warum ihr Mann gewonnen habe. Bushs "Spin-Doktoren" verbreiteten damals die Deutung, Gore sei überheblich gewesen und habe mit seinen häufigen, laut vernehmbaren Seufzern seinen Gegner respektlos behandelt. Die Presse interpretierte Bush zum Sieger, das Volk folgte.

Barack Obama kennt die Gefahr, im Fernsehen arrogant zu wirken. Während des Vorwahlkampfs 2008 äußerte er einmal in einem TV-Duell herablassend, seine neben ihm stehende Nemesis Hillary Clinton sei "liebenswert genug". Prompt verlor der ansonsten so begabte Orator die nächste Primary. Um solche Patzer zu vermeiden, üben beide Kontrahenten tagelang gestanzte Sätze ein. Beide trainieren wie Boxer, mit Sparringspartnern.

Mitt Romney nutzt die Dienste von Rob Portman, der schon 2008 für John McCain die Obama-Kopie spielte. Und Barack Obama, der zwei Tage lang in Las Vegas in Klausur gegangen ist, müht sich an John Kerry ab. Der unterlegene Präsidentschaftsbewerber von 2004 stammt aus Massachusetts, also jenem Staat, wo Romney einst als Gouverneur regierte.

Romney hat, wie alle Herausforderer seit 1976, eine gute Chance. In jenem Jahr setzte sich der Reigen der TV-Debatten fort (zuvor hatte Nixon, der Präsident von 1969 bis 1974, sich jedem neuen Teleduell verweigert). Und Jimmy Carter, der Demokrat, führte den Amtsinhaber Gerald Ford ebenso vor, wie es vier Jahre später der Republikaner Ronald Reagan mit ihm anstellte. Als Grund für diese Schwäche aller Amtsinhaber hat der Politologe Samuel Popkin den Kokon ausgemacht, in dem jeder Präsident lebt: "Keiner seiner Mitarbeiter stellt wirklich mal die Motive eines Präsidenten infrage, niemand fordert ihn heraus."

Popkin hat es selbst erlebt, 1980 diente er Carter als Sparringspartner für die Duelle mit Reagan. Nach zehn Minuten habe Carter das Training abbrechen wollen, so wütend sei er gewesen über all den ungewohnten Widerspruch. "Ich fürchtete, der Secret Service würde mir die Knie wegschlagen." In der wirklichen Debatte gewann Reagan klar - aber das bestätigte damals nur den Trend. Die Umfragen prophezeiten bereits, Carter werde untergehen.

Anmerkung der Redaktion: Die unterschiedliche Wirkung der Debatte zwischen Nixon und Kennedy 1960 auf TV- und Radio-Rezipienten ist umstritten. Es gibt Zweifel an der Aussagekraft der Umfrage, der zufolge Nixon bei Radiohörern besser abschnitt. Mehr zu Mythen und zur Geschichte der amerikanischen TV-Duelle lesen Sie in diesem SZ.de-Artikel.

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