Fernsehauftritt des ägyptischen Präsidenten:Mursis Rede stachelt Opposition zu weiteren Protesten an

Die Fernsehansprache ist für die Demonstranten ein "unseriöses" Gesprächsangebot: Ägyptens Präsident Mursi zeigte kaum Kompromissbereitschaft, gab aber seinen Widersachern die Schuld an der Gewalt. Jetzt wirkt auch US-Präsident Obama auf den islamistischen Staatschef ein.

US-Präsident Barack Obama hat sich "tief beunruhigt" über die tödlichen Auseinandersetzungen in Ägypten geäußert. In einem am Donnerstag geführten Telefonat mit dem ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi sagte Obama nach Angaben des Weißen Hauses, führende Politiker aus allen politischen Lagern sollten ihre Differenzen beiseitelassen und sich auf einen Weg vorwärts für Ägypten einigen. Sie müssten ihren Anhängern klarmachen, dass Gewalt "unannehmbar" sei.

Obama begrüßte zugleich Mursis Einladung zu einem Dialog der politischen Parteien am Samstag im Kairoer Präsidentenpalast. Dafür dürfe es "keine Vorbedingungen" geben, fügte er hinzu. Die Oppositionsführer rief er auf, an dem Treffen teilzunehmen. Der US-Präsident bekräftige die "anhaltende Unterstützung der USA für das ägyptische Volk und seinen Übergang zu einer Demokratie, die die Rechte aller Ägypter respektiert".

Mursi hatte zuvor Vertreter von Opposition und Justiz zu Gesprächen über die politische Zukunft des Landes eingeladen. Bei einer am Donnerstagabend im Staatsfernsehen übertragenen Rede machte Mursi aber keine nennenswerten Zugeständnisse an die Opposition. Lediglich zum Verzicht auf Artikel VI der Erklärung sei er bereit. Dieser hätte es ihm erlaubt, ohne Rücksprache "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Revolution, die Einheit und die nationale Sicherheit zu wahren". Er erwartete aber einen "produktiven Dialog".

Demonstranten fordern "rote Karte" für Mursi

Von der Opposition wurde Mursis Rede mit Entsetzen und Spott aufgenommen. Verärgerte Demonstranten setzten laut Berichten des Staatsfernsehens daraufhin Büroräume der Muslimbruderschaft in Kairo in Brand. Ein Reporter des US-Fernsehsenders CNN berichtete dagegen, um ein Uhr nachts seien an dem Gebäude "keine Zeichen eines Feuers oder signifikanter Schäden" zu erkennen gewesen.

Für Freitag sind in Kairo weitere Proteste zu erwarten. Die Jugendbewegung des 6. April hat auf ihrer Facebook-Seite angekündigt, dass die Demonstranten Mursi die "rote Karte" zeigen wollen. "Das ist eine vollständige Diktatur", sagte ein Oppositioneller.

"Unseriöses" Gesprächsangebot

Der vor allem bei der städtischen Jugend und den Sozialisten beliebte linke Aktivist Hamdien Sabahi wies das Dialogangebot von Mursi in der Nacht zum Freitag als "unseriös" zurück. Eine Sprecherin der Opposition sah in der Rede Mursis "keine passende Antwort auf die politische Krise". "Ähnliche Reden haben wir schon vom Mubarak-Regime und vom Obersten Militärrat gehört", sagte Mona Esat von der Sozialistischen Bündnispartei. Auch der Schriftsteller Alaa al-Aswani sagte im Gespräch mit einem ägyptischen Fernsehsender, Mursis Ansprache habe ihn stark an die Reden des gestürzten Langzeit-Machthabers Mubarak erinnert.

Die Schuld an der Gewalt gab Mursi seinen politischen Gegnern. Zuvor waren nach Informationen des Senders al-Dschasira vom Donnerstagabend bei den Straßenkämpfen in Kairo und Suez sieben Menschen getötet und insgesamt 771 verletzt worden. Die Polizei nahm 150 Verdächtige fest. Die Krawalle hatten am Mittwoch begonnen, als Muslimbrüder Zelte zerstörten, die Aktivisten aus Protest gegen die Machtpolitik der Islamisten vor dem Präsidentenpalast aufgebaut hatten. Die Zusammenstöße zwischen den Oppositionellen und Anhängern der regierenden Islamisten-Parteien waren die heftigsten Ausschreitungen seit Mursis Amtsantritt.

Die liberalen und linken Parteien verlangen eine Überarbeitung des von den Islamisten formulierten Entwurfs für eine neue Verfassung. Außerdem bestehen sie auf einer Verschiebung der Volksabstimmung über die Verfassung, die für den 15. Dezember geplant ist. Mursi lehnt das ab. Sollte die Mehrheit der Bürger gegen den Entwurf stimmen, sei er aber bereit, eine neue Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, sagte er in der Ansprache vom Donnerstagabend. Für den Entwurf wird aber eine Mehrheit erwartet, da er von der Muslimbruderschaft und anderen islamistischen Fraktionen getragen wird. Mursi erklärte dazu, Demokratie bedeute, dass "sich die Minderheit dem Willen der Mehrheit beugt".

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