Feier in Berlin:Polonaise statt Schweigeminute

Nach Anschlag in Hanau - Mahnwache Brandenburger Tor

Am Tag nach den Morden in Hanau trafen sich Menschen am Brandenburger Tor zu einer spontanen Gedenkveranstaltung.

(Foto: dpa)

Während Ende Februar bei einer Mahnwache der Opfer des Mordanschlags von Hanau gedacht wurde, feierten Mitarbeiter des Bundestags ganz in der Nähe eine Karnevalsparty. So wild, dass die Polizei kam.

Von Boris Herrmann, Berlin

Dass in diesem Jahr die traditionelle Karnevalsparty im Bundestag abgesagt wurde, hatte nicht mit Corona zu tun. Sondern mit Hanau. An Weiberfastnacht, dem 20. Februar, ab 16.33 Uhr hätte es eigentlich losgehen sollen im sogenannten "Lampenladen", der Kantine des Paul-Löbe-Hauses. Auf dem Reichstagsgebäude hingen die Flaggen an diesem Tag auf Halbmast, es war der Tag nach den rassistischen Morden im hessischen Hanau. Für 18 Uhr war zu einer Mahnwache vor dem Brandenburger Tor aufgerufen worden. Die Vorstellung, dass gleichzeitig Narren durch Räume des Bundestages ziehen, erscheint höchst abwegig.

Man möchte meinen, dass es sich bei der Absage der Party um eine Selbstverständlichkeit handelte. Aber so selbstverständlich war das für einige offenbar nicht.

Nach SZ-Informationen begann noch während der Gedenkfeier für die Opfer von Hanau eine Ersatzkarnevalsparty, die sich bis tief in die Nacht zog. Und zwar nicht in einer Kneipe oder in einem privaten Wohnzimmer, sondern auf der fünften Etage des Bundestagsgebäudes Unter den Linden 74. Von da sind es nur ein paar Schritte bis zum Brandenburger Tor.

Die Feierlaune war groß

Einer, der dabei war, berichtet von einem ausgelassenen Gelage mit rund 100 Leuten, darunter hochrangige Verwaltungsbeamte des Bundestags. Während vor dem Brandenburger Tor eine Schweigeminute abgehalten wurde und sich die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) sowie Politiker nahezu aller Fraktionen an einer Menschenkette beteiligten, soll auf der Party auch ein Kostümwettbewerb stattgefunden haben. Der Preis sei an eine Gruppe gegangen, die als Nimm-2-Bonbons verkleidet war, heißt es.

Der SZ liegen Fotos von der Feier vor, darauf ist auch eine Art Menschenkette zu erkennen, allerdings in Form einer Polonaise. Der Augenzeuge sagt: "Im Nachhinein wurde natürlich darüber diskutiert, ob das so gut war, und was das für ein Bild macht, aber direkt auf der Party, da stand dann doch das Feiern im Vordergrund."

Wie groß die Feierlaune einiger Jecken an diesem Tag war, lässt sich auch aus E-Mails herauslesen, die der SZ vorliegen. Demnach hatte der Direktor der Bundestagsverwaltung, Horst Risse, eine Karnevalsfeier im trauerbeflaggten Bundestag ausdrücklich untersagt. Der harte Kern der Narren ließ sich davon aber offenbar nicht stoppen. Vor allem auf Betreiben der "Unterabteilungsleiterin ZV" (ZV steht für Zentrale Verwaltung) soll ein Ersatzkarneval in den Bundestags-Büros Unter den Linden organisiert worden sein.

Beförderung statt Rüge

Teile der Belegschaft waren "schockiert", als sie davon erfuhren, wie aus einer hausinternen Rundmail vom 3. März hervorgeht. "Besonders irritierend dabei ist, dass ranghohe Beamte unserer Verwaltung ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht wurden. Sie stellten nicht nur die Räume zur Verfügung, sondern organisierten auch Getränke und Essen", heißt es da.

Fast drei Monate ist der Vorfall jetzt her. Aber in der Bundestagsverwaltung wirkt der Streit immer noch nach. Bei der Präsidiumssitzung am Mittwoch ging es auch um jene Unterabteilungsleiterin, die sich um die Party-Organisation gekümmert haben soll. Sie handelte sich aber keine Rüge ein, vielmehr wurde jüngst ihre Beförderung zur "Abteilungsleiterin P" bekannt gegeben, wodurch sie künftig als Ministerialdirektorin zuständig für alle Fragen rund um das Parlament und die Abgeordneten wäre. Es soll sich um einen Posten der Besoldungsstufe B9 handeln, also auf Augenhöhe mit den wichtigsten Botschaftern der Bundesrepublik und dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes.

Sogar Anwohner sollen sich beschwert haben

Die Personalie lässt bei einigen Mitarbeitern den Ärger über die Vorkommnisse vom 20. Februar jetzt wieder hochkochen. Da werde jemand nach einer solchen Pietätlosigkeit auch noch mit dem nächsten Karriereschritt belohnt, heißt es.

Die Verwaltungsbeamtin lässt auf Anfrage zu ihrer Beteiligung an der Party wissen, sie sei nicht befugt, Auskünfte zu geben: "Bitte wenden Sie sich unmittelbar an die Pressestelle des Deutschen Bundestages." Diese teilt mit: "Bei der angesprochenen Zusammenkunft in einzelnen Büroräumen der Liegenschaft Unter den Linden 74 handelte es sich nicht um eine Faschingsfeier der Verwaltung, sondern um eine private, nicht öffentliche Zusammenkunft, an der außerhalb der Arbeitszeit nach Dienstschluss Beschäftigte der Bundestagsverwaltung teilgenommen haben."

Die Feiernden lösten stillen Alarm aus

Ein hochrangiger Beamter, der anonym bleiben will, wundert sich. "Mir ist es neu, dass Privatfeiern in Dienstgebäuden stattfinden können." Ein Augenzeuge findet, dass der Begriff "Zusammenkunft" das Ausmaß des Festes nur unzureichend beschreibe. Einer der Flure sei zur Tanzfläche umfunktioniert worden, Flaschen seien umgekippt, eine der Tapeten "durchgeweicht". Er sagt, "es sah schon sehr schlimm aus". Dabei hätten die Büros, in denen die Personalakten des Bundestages aufbewahrt werden, die ganze Zeit offen gestanden.

Die Tat eines Einzelnen

Tobias R., der am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven tötete, ehe er seine Mutter und sich selbst erschoss, handelte alleine. Das sagte Thomas Beck, der Stellvertreter des Generalbundesanwalts, am Donnerstag im Innenausschuss des hessischen Landtags. Es lägen bislang keine Erkenntnisse "zu möglichen Mittätern, Helfern, Mitwissern oder Einbindung in terroristische Strukturen" vor. Der Vater des Täters werde als Zeuge geführt, es gebe keine Hinweise auf eine Tatbeteiligung. Beck nannte die Tat einen "in Deutschland beispiellosen rassistischen Terroranschlag" - WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung hatten von einer zwischenzeitlichen Einschätzung des Bundeskriminalamts berichtet, der Täter sei, ungeachtet seiner rassistischen Tat, kein Anhänger einer rechtsextremen Ideologie gewesen. Beck sagte, dass die Ermittlungen noch mehrere Monate weitergehen würden, es seien noch "viel zu viele Ermittlungsstränge offen". So werde weiter nach möglichen Helfern des Täters gesucht. Angehörige der Opfer verfolgten die Sitzung des Innenausschusses in Wiesbaden per Livestream. Zuvor hatten sie vor dem Landtag Fotos der Ermordeten hochgehalten - sie fordern, besser über den Fortgang der Ermittlungen informiert zu werden. Bundesanwalt Beck sagte entsprechende Gespräche zu; allerdings könne man nicht über alle Details informieren, ohne die Ermittlungen zu gefährden. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) versprach den Angehörigen weitere Unterstützung. mad

Die Musik sei so laut gewesen, dass sich Anwohner beschwert hätten. Der Partyteilnehmer erzählt, er habe gesehen, wie gegen 23 Uhr etwa sechs Beamte der Berliner Landespolizei anrückten und darum baten, die Lautstärke zu drosseln. Die Party sei dann aber fröhlich weitergegangen. Später, so berichten mehrere Verwaltungsbeamte, sei dann auch noch die eigentlich zuständige Bundestagspolizei gekommen. Nachdem der Pförtner sich gegen 21 Uhr in den Feierabend verabschiedet habe, hätten vermutlich die Raucher, die sich gegenseitig die Tür aufhielten, einen stillen Alarm ausgelöst, heißt es.

In dem Gebäude befinden sich neben den Bundestagsbüros und dem Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds auch mehrere Privatwohnungen. Zwei der damaligen Mieter bestätigen, etwas von der Party mitbekommen zu haben, bestreiten aber, die Polizei angerufen zu haben. Alle anderen Mieter erklärten, sie seien an diesem Abend nicht zu Hause gewesen.

Die Berliner Polizei teilt mit, es sei kein Einsatz für diesen Abend unter der genannten Adresse dokumentiert. Bezüglich des Einsatzes der Bundestagspolizei heißt es aus gut unterrichteten Kreisen, von "zwölf Vorgängen" an diesem Tag seien nur noch fünf einsehbar. "Dann wird der Vorgang unter den nicht sichtbaren sieben sein." Mehrere Bundestagsmitarbeiter sprechen deshalb von einem Maulkorb-Erlass. Dass es keinen polizeilichen Einsatzbericht gebe, liege sicherlich daran, dass die Verwaltung dafür gesorgt habe, dass der Vorfall nicht nachvollziehbar ist, vermuten sie.

Dass Beamte der Bundestagspolizei am Ort des Geschehens waren, steht inzwischen aber außer Frage. Das bestätigte die Bundestagsverwaltung am Mittwoch der SZ: "Die Polizei beim Deutschen Bundestag ist nach Dienstschluss des Pfortenpersonals für die Sicherung der Eingänge verantwortlich. Sie war zur Prüfung der Situation am Eingang der Liegenschaft Unter den Linden 74 vor Ort." Über eine Anwesenheit von Beamten der Berliner Landespolizei sei der Bundestagsverwaltung dagegen nichts bekannt.

"Unschöne rassistische Bemerkung"

Bleibt noch die Frage, ob es wirklich nur ein Zufall ist, dass in der Zwischenzeit der allseits beliebte Hausmeister des Gebäudes abgezogen und der Vertrag mit dessen Firma gekündigt wurde, er soll sich nach der Feier bitter beschwert haben über den Zustand der fünften Etage. Der ehemalige Hausmeister bestätigt, dass eine Karnevalsveranstaltung stattgefunden habe, "aus unterschiedlichen Gründen" will er keine weiteren Informationen erteilen.

Feiern bis die Polizei kommt trotz Hanau - es liegt auf der Hand, dass diese Geschichte aus Sicht der Bundestags-Direktion lieber nicht die große Runde machen soll. Ein Teilnehmer berichtet, dass auch die eine oder andere "sehr unschöne rassistische Bemerkung" gefallen sei, an den Wortlaut kann er sich nicht mehr erinnern: "Es ging in die Richtung, dass sich jemand durch den Mord an Ausländern nicht die Karnevalsparty versauen lassen will." Aber das sei ein Einzelfall gewesen. Ein Einzelfall, an dem sich an diesem Abend offenbar niemand störte. Zehn Menschen wurden von einem Rassisten ermordet, kann man da nicht ohne Alaaf nach Hause gehen? Ein Teilnehmer sagt: "Bei mir und den meisten wurde diese Überlegung durch den zunehmenden Alkoholkonsum verdrängt."

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