FDP-Parteitag in Berlin:"Der kann Wahlkampf, der kann Liberalismus"

Lesezeit: 4 min

Volker Wissing (rechts) war der erklärte Wunschkandidat von FDP-Chef Lindner (links). (Foto: dpa)

Parteichef Christian Lindner gesteht Fehler bei den Jamaika-Verhandlungen ein - und gibt ein Ziel aus: Er will, dass die Liberalen wieder mitregieren. Helfen soll dabei der neue Generalsekretär Volker Wissing.

Von Daniel Brössler, Berlin

Mehr als eine Stunde hat der FDP-Chef gesprochen, mehr als eine Minute haben das die Delegierten im Berliner Estrel-Kongresszentrum stehend mit rhythmischem Applaus quittiert. Christian Lindner könnte das jetzt noch ein bisschen länger laufen lassen, aber vielleicht denkt er: Jetzt nicht übertreiben. Sein Auftritt ist gut gelaufen. Er kann zufrieden mit sich sein, aber allzu zu offen zeigen will er das nicht. Lindner versucht es, in Maßen, mit Demut.

Es ist ein Parteitag, auf dem nicht über Lindner abgestimmt wird. Und doch entscheidet sich hier auch sein politisches Schicksal. Lindner sagt auf diesem Parteitag Dinge, an die man ihn noch erinnern wird. Und er ist angewiesen darauf, dass Volker Wissing, sein neuer Mann für den Posten des Generalsekretärs, mit einem möglichst guten Resultat gewählt wird. Seit Monaten dümpelt die FDP in Umfragen nicht weit über fünf Prozent. In einem Jahr ist Bundestagswahl. Lindner muss zeigen, dass er die Partei aus der Gefahrenzone führen kann. Dafür braucht er diesen Parteitag. Dringend.

"Endlich": ein Parteitag unter Pandemiebedingungen

Und ein normaler Parteitag ist es sicher nicht. Auf Schritt und Tritt fordern Warnhinweise am Boden die Delegierten auf, Maske zu tragen und Abstand zu halten. Nur an ihren fest zugewiesenen Plätzen dürfen sie die Maske abnehmen. In der Halle bewegen dürfen sie sich nur im Uhrzeigersinn. Köpfe zusammenstecken, Klatsch austauschen - das ist schwierig auf diesem Parteitag. Die FDP wagt als erste Partei während der Pandemie das Experiment eines Parteitages auf Bundesebene. Lindner würdigt das mit einem Stoßseufzer: "Endlich. Endlich wieder ein Bundesarteitag."

Tatsächlich ist es ein Parteitag, der den Liberalen in Erinnerung bleiben dürfte - nicht nur wegen der besonderen Umstände. Das hat auch zu tun mit dem Auftreten Lindners, das in Form und Inhalt aus dem Rahmen fällt. Lindner spricht immer frei. Diesmal aber soll es auf keinen Fall so aussehen, als halte er sich an irgendetwas fest, auch nicht am frisch desinfizierten gelben Pult. Lindner stellt sich gleich am Anfang ein paar Meter daneben auf die freie Bühne und bleibt dann konsequent in der Pose des Motivationsredners. In dieser Pose redet er darüber, dass es keinen zweiten Lockdown geben dürfe, dass, wenn nötig, "intelligentere Maßnahmen" ergriffen werden müssten. So spricht er auch über die Wirtschaft. "Wir brauchen ein Wunder", ruft er. Ein Wirtschaftswunder müsse nach der Corona-Krise her - so wie einst in den Anfangsjahren der Bundesrepublik.

In der Pose des Motivationsredners: Christian Lindner. (Foto: dpa)

Lindners großes Thema aber ist das Regieren. "Ich möchte, dass wir uns das Ziel setzen, dass im nächsten Jahr die Freien Demokraten gebraucht werden, um eine Mehrheit im Deutschen Bundestag zu bilden", sagt er. Die FDP müsse so stark werden, dass sie über die Richtung mitentscheide, die das Land nehme. Das verbinde er "ganz persönlich", sagt Lindner, mit seiner Arbeit als Parteivorsitzender. "Mein persönliches Ziel als Parteivorsitzender ist nicht auf Platz zu spielen. Wir spielen, wenn es nach mir geht, auf Sieg", ruft er. So hat Lindner en passant sein Amt daran geknüpft, dass die Partei ab 2021 mitregiert. Dafür erntet er Applaus.

Das "ewige Jamaika": "Gebt ihr endlich zu, dass das ein Fehler war?"

Allerdings weiß Lindner, dass er das nicht einfach so stehen lassen kann. Denn da war ja noch was. Lindner nennt es das "ewige Jamaika". Sein Auszug aus den Verhandlungen mit CDU, CSU und Grünen 2017 verfolgt Lindner bis heute. Ständig werde er danach gefragt, lamentiert er. "Gebt ihr es endlich zu, dass das ein Fehler war?": So sei er gerade erst wieder im Kommunal-Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen gefragt worden. Die Antwort sei "immer gleich: nein". Dann aber kommt es: Er würde nun, gibt Lindner zu, den "speziellen Jamaika-Abend etwas anders gestalten".

Das ist zumindest das Eingeständnis eines Kommunikationsversagens. Auch dafür gibt es Applaus. Besser wäre es gewesen, räumt Lindner nun ein, nicht einfach die Gespräche zu verlassen, sondern an die Öffentlichkeit zu gehen und eine "zweitägige Denkpause" zu verlangen und fünf Knackpunkte zu benennen: Solidaritätszuschlag, Digitalministerium, Bildungsreform, Einwanderungsgesetz und Rentenpolitik. "Dann", meint Lindner, "hätte nämlich zwei Tage lang die deutsche Öffentlichkeit über die Forderungen der FDP diskutiert." Beim nächsten Mal werde es ohnehin ganz anders kommen, die handelnden Personen seien ja andere, beendet er das Thema. Soll heißen: Ohne Angela Merkel wird es einfacher.

Womit Lindner schon fast bei Volker Wissing wäre, dem Mann, der nach seinem Willen die bisherige Generalsekretärin Linda Teuteberg ablösen soll, die erst vergangenes Jahr mit knapp 93 Prozent der Stimmen gewählt worden war und die der Parteichef recht unsanft aus dem Amt befördert hat. Für Wissing findet Lindner lobende Worte: "Der kann Wahlkampf, der kann Liberalismus, der kann Regierung." Wissing ist einer der Architekten der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Rheinland-Pfalz, dort wirkt er als Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister. Wissing formuliert es dann so: Er habe "positive Erfahrungen mit ungewöhnlichen Regierungskonstellationen". Es liegt allerdings eine gewisse Ironie darin, dass nun ausgerechnet Wissing Ampel-Phantasien auch im Bund beflügelt.

Der neue General: Finanzfachmann und Nervensäge

Wissing, 50 Jahre alt, stammt aus der Pfalz. Erst machte er eine Ausbildung zum Kirchenmusiker, studierte dann aber Jura und wurde Richter. Der FDP trat er 1998 als 28-Järiger bei, schon 2004 kam er in den Bundestag. Dort gehörte als Mitglied des Schaumburger Kreises zu den Konservativen in der FDP-Fraktion. Einen Namen machte er sich als Finanzfachmann - und als Nervensäge. Die Bundesregierung traktierte er seinerzeit mit zahllosen Fragen. Allein Wissing beschäftige eine halbe Abteilung, ätzten sie damals im SPD-geführten Finanzministerium.

Das ist eine Weile her, aber der Mann, der sich da auf dem Parteitag vorstellt, ist doch erst einmal der alte liberale Finanzexperte. Er spricht über die Wirtschaftskrise, warnt vor zu viel Staat. "Unsere Herausforderungen sind zu groß, um sich unter den Fittichen des Staates zu verstecken", sagt er. Und: "Statt jetzt den Motor der Kreativität anzuwerfen, hören wir jetzt die alte Leier." Wissing setzt auch sonst auf bewährte Formeln. "Wir sind nicht rechts, wir sind nicht links", sagt er. Für die Liberalen stehe die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen im Mittelpunkt. Damit beschreibt er den Grundkonsens der Liberalen. Die FDP-Delegierten hören das also nicht zum ersten Mal. Der Applaus fällt trotzdem mehr als freundlich aus. Zu spüren ist der Wunsch, Linderns neuem Mann einen guten Start zu verschaffen. 528 von 640 Delegierten geben ihm schließlich ihre Stimme. Das sind 82,8 Prozent. Deutlich weniger zwar als Teuteberg erhalten hatte, aber doch mehr als genug, um nicht als Misstrauensvotum gewertet zu werden. Das übliche "Gratulationsdefilee" müsse coronabedingt entfallen, sagt die Versammlungsleiterin. Das passt dann allerdings auch zur Stimmung.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

FDP
:Wissing könnte zum Architekten eines Ampel-Bündnisses werden

Der designierte FDP-Generalsekretär galt schon vor Jahren als Kandidat für einen Spitzenposten in Berlin. Dann brach Parteichef Lindner die Jamaika-Verhandlungen ab. 2021 stehen für Wissing gleich zwei wichtige Wahlen an.

Von Matthias Drobinski, Frankfurt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: