Vor der Tür hat die Redaktion der ZDF-Satire-Sendung Heute-Show einen Männerchor auffahren lassen. "Wähler komm bald wieder, komm bald wieder zu uns", singt der. Damit steht er hier vor der Parteizentrale der Freien Demokraten genau richtig. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat sich die Wählerschaft der FDP gestern quasi halbiert. In Stuttgart fliegt sie damit aus der Regierung und kann sich nur knapp im Parlament halten. In Mainz dagegen unterläuft sie die Fünf-Prozent-Hürde deutlich.
Die Wähler haben die FDP sauber auf die Bretter gelegt. Manche in der Partei haben der drohenden Niederlage schon vor Schließen der Wahllokale argumentativ vorgebaut.
Parteichef Guido Westerwelle erklärte bereits um 17:22 Uhr, eine gute halbe Stunde vor der ersten Prognose, er werde auf gar keinen Fall zurücktreten. Die umstrittene Fraktionschefin und FDP-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, Birgit Homburger, machte schon "Sondereffekte" aus, die dem politischen Gegner zugutekämen. Und meinte damit natürlich die Atom-Katastrophe in Fukushima.
Auch nach der Niederlage geht die Suche nach Ausreden verzweifelt weiter - und wieder erklärt die Parteispitze erst mal alles mit der Atom-Debatte. Dazu kommt der Satz, den Guido Westerwelle seit einem Jahr von sich gibt, wenn er Neuaufbruch suggerieren will: "Wir haben verstanden." Er wiederholt den Satz an diesem Montag sogar noch zweimal nach der Präsidiumssitzung.
Immerhin bekennt Westerwelle, dass die Atom-Frage dann doch nicht das alles entscheidende Momentum war. Wäre die Partei besser aufgestellt gewesen, hätte die Debatte die Partei "nicht so empfindlich getroffen". Jetzt soll es erstmal einen geordneten Diskussionsprozess geben, findet Westerwelle. Bis zum 11. April soll dann klar sein, wie es inhaltlich und personell mit der Partei weitergeht. Darum: erstmal keine Personaldebatte.
Die wird Westerwelle kaum verhindern können. Schon mit seinem "Wir haben verstanden" hat sich mehr geschadet, als er sich vielleicht vorstellen mag. "Wie oft will er das eigentlich noch sagen", ereifert sich ein Vorstandsmitglied gegenüber sueddeutsche.de. Ein anderes äfft nach, wie Westerwelle den Satz mit generöser Attitüde von sich gibt. Westerwelle ist in Teilen der Parteiführung nur noch eine Witzfigur.
Tiefste Depression der Geschichte
Innerhalb von nur eineinhalb Jahren hat Westerwelle die Partei vom größten Wahlerfolg ihrer Geschichte in die tiefste Depression geführt. In Zahlen ausgedrückt: ein Absturz von 14,6 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 auf heute nur fünf Prozent - und selbst die erreichte die Partei nur mit Mühe.
In der FDP kocht es. Es sind zunächst die üblichen Verdächtigen, die sich kritisch äußern. Wolfgang Kubicki, Fraktionschef in Schleswig-Holstein, poltert, Homburger habe es versemmelt, sie müsse dringend weg: "Der Fraktionsvorsitz ist komplett fehlbesetzt."
Lasse Becker, Chef der Jungen Liberalen, fordert den Kopf von Rainer Brüderle. Der hatte den Atomschwenk vor Industrievertretern als reine Wahlkampfmasche abgetan - eine Offensichtlichkeit, die die Bundesregierung jedoch um keinen Preis öffentlich einräumen wollte.
Der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum fordert, die Jüngeren müssten jetzt in die erste Reihe. Generalsekretär Christian Lindner, Gesundheitsminister Philipp Rösler, solche Leute eben.
Noch greift kaum einer den großen Vorsitzenden offen an. Im FDP-Präsidium, das sich vor dem Parteivorstand traf, wurde nach Informationen von sueddeutsche.de nicht über Personalfragen geredet. Es sei klar, dass es Konsequenzen geben müsse, aber man solle nichts überstürzen, hieß es aus Parteikreisen.
An manchen Äußerungen aber lässt sich ablesen, dass Westerwelle Mühe haben wird, den Bundesparteitag im Mai politisch zu überleben. Noch-Präsidiumsmitglied Andreas Pinkwart stürmt an den Kameras vorbei und erklärt nur: "Es ist völlig klar, es wird nichts mehr so sein, wie es vorher war."
Schwarz-gelber Niedergang:Schlimmer geht's immer
Wie lange hält die Bundesregierung diese Serie von politischen Katastrophen noch durch? Seit dem gloriosen Wahlsieg vor anderthalb Jahren kennt die Erfolgskurve von Schwarz-Gelb nur einen Trend - abwärts. Was bisher geschah, wie Merkel und Westerwelle ihr Kapital verspielten:
Mitglieder des Parteivorstandes planen schon ohne Westerwelle. Ihnen würde eine Rochade im Bundeskabinett auf keinen Fall reichen. Die Überlegung: Brüderle geht, wird ersetzt durch Philipp Rösler, der schon in Niedersachen Wirtschaftsminister war. Als Gesundheitsminister rückt sein Staatssekretär Daniel Bahr nach, der als Landeschef der wichtigen FDP in Nordrhein-Westfalen dringend eine größere Bühne braucht.
Dazu soll Westerwelle angeblich bereit sein. Doch Parteivorstandsmitglieder wie der Baden-Württemberger und Europaabgeordnete Michael Theurer wollen mehr. Er habe Westerwelle gestern empfohlen, "sich auf das Außenamt zu konzentrieren", sagt er zu sueddeutsche.de.
Parteivorstandsmitglied Alexander Pokorny geht weiter. Er hat Westerwelle in der Sitzung gesagt, er glaube nicht, dass der noch die Kraft habe, das Ruder für die FDP herumzureißen. Die inhaltliche Aufstellung der Partei sei das Eine. Glaubwürdigkeit aber sei eine Frage der Personen. Er hat Westerwelle deshalb gebeten, sich genau zu überlegen, ob er im Mai noch einmal antreten wolle. Danach habe ein große Stille im Rund geherrscht.
Nur: Wer könnte den Bundesvorsitz von ihm übernehmen? Brüderle, bis vor einigen Wochen noch heißester Kandidat für eine Übergangslösung, hat sich selbst mit seiner erbarmungslosen Ehrlichkeit in Sachen Atom-Moratorium ins Abseits gestellt. Christian Lindner, 32, ist jetzt nicht viel älter als vor vier Monaten, als er zuletzt genannt und für zu jung befunden wurde. Von Rösler ist bekannt, dass er es zwar könnte, es aber nicht will. Ihm war es schon schwergefallen, überhaupt nach Berlin zu kommen. Und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger würde zwar können und vielleicht auch wollen, gilt aber in der Partei nicht als mehrheitsfähig.
Zudem müsste jemand mit dem nötigen politischen Gewicht gefunden werden, der mit offenem Visier auf Westerwelle zugeht und damit riskiert, sich selbst politisch zu schaden. Königsmörder hatten noch nie einen guten Stand - in keiner Partei.
Jüngere leisten Trauerarbeit
Hinzu kommt: Viele in der Partei sind unter Westerwelle großgeworden. Sie haben ihm einiges zu verdanken. Manch Jüngerer ist wegen Westerwelle überhaupt erst in die Partei eingetreten. "Die Leute müssen erst noch etwas Trauerarbeit leisten", sagt einer aus dem Parteivorstand. Erst dann werden sie erkennen, dass es für die FDP nur eine Zukunft ohne Westerwelle geben kann.
Ohne Königsmörder aber wird es nicht gehen. Zumindest nicht, solange Westerwelle glaubt, es besser zu machen als alle anderen. Davon scheint er nach wie vor überzeugt.
Manche hoffen da auf den liberalen Altmeister Hans-Dietrich Genscher. Genscher gilt als die graue Eminenz der Partei. Ohne ihn wäre Westerwelle nicht Parteichef. Kürzlich erst hat Genscher ihm attestiert, im Außenamt angekommen zu sein.
Das war allerdings vor der Entscheidung Westerwelles, sich im UN-Sicherheitsrat zu enthalten, als es um die Libyen-Resolution ging. Manche werten schon Genschers Schweigen zu diesem Vorgang als einen Affront gegen Westerwelle. Sollte Genscher öffentlich gegen seinen Ziehsohn vorgehen, wäre dies das sichere Ende der Ära Westerwelle. Doch so einfach wird es wohl auch Genscher den Westerwelle-Gegnern nicht machen.