FDP-Vorstand Kubicki plädiert für Öffnung zur SPD:"Steinbrück ist ein guter Mann"

In der Krise sehnen sich die Menschen nach einer sozial-liberalen Geisteshaltung, meint Wolfgang Kubicki. Der FDP-Vorstand regt im Gespräch mit sueddeutsche.de eine Neuauflage rot-gelber Zusammenarbeit an, fordert Biss im Umgang mit der Union - und verrät, warum ihn die Parteitagsrede von FDP-Chef Rösler "regelrecht euphorisiert" hat.

Oliver Das Gupta

sueddeutsche.de: Herr Kubicki, Parteichef Rösler hat knapp ein halbes Jahr nach Amtsübernahme eine Rede gehalten, die er markig angekündigt hatte. Hat er nun geliefert?

Ausserordentlicher FDP-Bundesparteitag

Der Vorsitzende der FPD-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, will enger mit der SPD zusammenarbeiten.

(Foto: dapd)

Wolfgang Kubicki: Es ist nicht möglich, die Außenwirkung der FDP von heute auf morgen zu ändern. Man darf nicht erwarten, dass ein Personalwechsel oder eine einzelne Rede Weltgeschichte schreibt. Angesichts der Umfragewerte und Wahlergebnisse lastet ein großer Druck auf ihm. Deshalb dachte ich vorher: Der Rösler ist nicht zu beneiden.

sueddeutsche.de: Die Marke FDP hat derzeit "verschissen", so haben sie das vor einiger Zeit zusammengefasst.

Kubicki: Das würde ich heute nicht mehr so sagen. Aber die Marke ist sicherlich ramponiert. Deshalb ist es höchste Zeit, den Namen der FDP aufzupolieren. Philipp Röslers Rede war unter den genannten Umständen sehr ordentlich, an einer bestimmten Stelle hat er mich sogar regelrecht euphorisiert.

sueddeutsche.de: Welche Passage meinen Sie?

Kubicki: Das erste Mal höre ich von meiner Bundespartei dezidiert, dass Regeln für den Finanzmarkt entwickelt und die Macht der Banken begrenzt werden muss, damit sich die krisenhaften Symptome nicht mehr wiederholen können. Bisher wurde der fatale Eindruck vermittelt, die FDP sei mit ihrer ideologischen Grundausrichtung mitverantwortlich für die Krise - und das ist ja nachgewiesenermaßen falsch.

sueddeutsche.de: Haben Sie sich nicht auf die "Weisheit des Marktes" verlassen?

Kubicki: Nein, das sind doch Vorurteile. Aber wir haben eben auch zugelassen, dass dieser Eindruck entsteht. Die Rede des Bundesvorsitzenden markiert hier einen Wendepunkt: Er dokumentiert, dass es in der Vergangenheit gerade die Liberalen waren, die Ordnung in die Märkte gebracht und sich für Regeln eingesetzt haben. Diese Botschaft müssen wir hinaustragen: Wir sind die Partei der Sozialen Marktwirtschaft, nicht der Exzesse.

sueddeutsche.de: Können Sie sagen, was Sie darunter verstehen?

Kubicki: Ich will nicht akzeptieren, dass Vorstände, die ihre Institute in die Krise gebracht haben, mit Millionen abgefunden werden und die Mitarbeiter werden entlassen. Ich will nicht akzeptieren, dass im Finanzmarkt ein Wettsystem etabliert wird, das wir beim Glücksspiel unterbinden wollen. Ich will nicht akzeptieren, dass es Hedgefonds gibt, die ihre Gewinne dadurch erzielen, dass sie auf den Untergang von Staaten setzen. Und ich will nicht akzeptieren, dass die Einschätzung einiger weniger Ratingagenturen dazu führt, dass Kurse Achterbahn fahren.

sueddeutsche.de: Zuletzt sorgte die aus Versehen erfolgte Abwertung Frankreichs durch Standard & Poor's für Wirbel.

Kubicki: Wir müssen die Macht der Ratingagenturen brechen. Diese Agenturen sind niemandem verantwortlich und werden von denen bezahlt, deren miserable Produkte sie anpreisen.

sueddeutsche.de: Sie sagen, die fünf Bundesminister seien in der Koalition nicht klar erkennbar. Was sollte konkret geschehen?

Kubicki: Kantiges Auftreten innerhalb der Koalition. Finanzminister Wolfgang Schäuble und CSU-Chef Horst Seehofer watschen uns immer wieder ab, als ob wir kleine Kinder wären.

sueddeutsche.de: Also: Mehr Attacke?

Kubicki: Ich rede von aktiver Defensivarbeit, wenn wir angegriffen werden. Wir müssen uns wehren. Das allerdings sage ich auch schon seit Jahren.

sueddeutsche.de: Also eine Rückkehr zur Krachkoalition, "Wildsau" und "Gurkentruppe"?

Kubicki: Uns wird immer erzählt, dass es schlimm wäre, in einer Koalition zu streiten. Ist es nicht: Im Kalten Krieg galt das Prinzip "Flexible response": Haust du mir auf die linke Backe, halte ich dir nicht auch die rechte hin, sondern hau ich dir auch auf die linke Backe. Ich wünsche mir, dass die FDP-Minister ab und zu offen dokumentieren: Das ist die Position der FDP und davon geht unsere Politik aus. So machen wir das in Kiel. Und es funktioniert gut.

sueddeutsche.de: Was halten Sie eigentlich von Peer Steinbrück?

Kubicki: Das ist ein guter Mann. Manchmal etwas sehr schnell im Formulieren...

sueddeutsche.de: ...dafür sind Sie ja auch gefürchtet. Steinbrück vertrat zwischenzeitlich auch eine Finanzmarktpolitik, die er heute bereut.

Kubicki: Stimmt. Aber wie Sie schon sagen: Steinbrück ist einer, der den Mut hat, auch Fehleinschätzungen einzugestehen.

sueddeutsche.de: In den vergangenen zehn Jahren gab es nur eine sozialliberale Koalition.

Kubicki: Ja, leider.

sueddeutsche.de: Sozialdemokratisch ist für viele ihrer Parteifreunde ein Negativ-Attribut. Für sie nicht?

Kubicki: Ich bin kein Sozialdemokrat und ich werde auch keiner. Aber mir gefällt an der sozialliberalen Geisteshaltung, dass sie auf wirtschaftliche Leistung setzt und trotzdem darauf achtet, dass die Gesellschaft nicht auseinanderdriftet. Angesichts der Krisensituation wollen die Menschen genau die Synthese aus beiden Seiten: Sicherheit haben und gleichzeitig ihr Leben möglichst frei gestalten.

sueddeutsche.de: Wie stehen die Chancen auf eine sozialliberale Renaissance?

Kubicki: Grundsätzlich kann ich mir das gut vorstellen - es muss ja nicht in Schleswig-Holstein sein. Es ist vieles in Bewegung: Die Kanzlerin macht aus der CDU gerade eine Art SPD, vielleicht macht Genosse Sigmar Gabriel mit seiner SPD ja demnächst CDU-Politik. (lacht)

sueddeutsche.de: Vor der letzten Bundestagswahl wollte die SPD anbandeln, was aber stets am damaligen FDP-Chef Westerwelle scheiterte. Gibt es heute gemeinsame Schnittmengen, die zum Regieren reichen, zumindest in Ländern?

Kubicki: Es gibt bei den Sozialdemokraten nach wie vor einen großen Teil, mit dem man vernünftige Wirtschaftspolitik machen könnte. Die Agenda 2010 war ja im Kern liberale Politik. Momentan gibt es aber den Druck des linken Flügels, sie wollen Steinbrück als Kanzlerkandidaten verhindern.

sueddeutsche.de: Steinbrücks früherer Pressesprecher Torsten Albig ist heute Spitzenkandidat der Nord-SPD im Landtagswahlkampf. Ist das ein Mann, mit dem die FDP regieren könnte?

Kubicki: Das ist ein vernünftiger Mensch, mit ihm kann ich mir partiell eine Zusammenarbeit gut vorstellen. Wenn Sie Albig reden hören oder lesen, könnten Sie mitunter meinen, dass ich das geschrieben hätte. Das Problem ist seine Partei, die von Landeschef Ralf Stegner gemanagt wird. Und der hat immer noch nicht verwunden, dass er nicht Ministerpräsidentenkandidat ist.

sueddeutsche.de: Hand aufs Herz, Herr Kubicki. Wie groß ist Ihr Bammel vor der schleswig-holsteinischen Landtagswahl?

Kubicki: Bei mir persönlich gibt es keinen Bammel, weder vor Wahlen noch Ergebnissen.

sueddeutsche.de: Die Nord-FDP droht ein ähnliches Schicksal wie den Liberalen in Bremen, Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt: Sie flogen aus dem Parlament.

Kubicki: Seit 1992 bin ich Spitzenkandidat und noch bei jeder Wahl orakelte man, wir würden es nicht über fünf Prozent schaffen - beim letzten Mal hatten wir 14,9 Prozent. Ich peile bei der nächsten Wahl zwischen neun und elf Prozent an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: